# 006

IN AUGENSCHEIN - Gespräche über anonymisierte Texte (# 006). Zu Gast: Silke Peters

I:I.

 

Schauen andere oder auch ich

andere nur als was da rumläuft an?

Das ist – weniger als fremd?


Haben andere oder auch ich einen Reiz erspäht,

eh überhaupt geschaut wurde da?


Siehst du oder du fremde Wesen verborgen

in mir oder irgend wem?


Bist du erlöst, wenn dein Blick

in der freien Natur, also außerhalb,

dich et-wen oder –was antreffen lässt in wem?


Nach Art einer einmal getroffenen Einrichtung, es heißt

Möbelstück. Möbelstück. Es heißt M.

 

Ein Text über Wahrnehmung und die Intuition der Wahrnehmung. Ich nenne das gerne Sensation: das, was uns zieht, was den Blick interessiert, ohne dass wir es genau erfassen können. Als Dichter ist man diesem Mechanismus ja meistens auf der Spur und trainiert seine intuitive Wahrnehmung täglich. Zugleich der Gestus des Nachfragens, wie das bei den anderen eigentlich ist. Wohin mich dieses Training eigentlich gebracht hat. Das ist eine Aufgabe mit der ich auch gerne Leute losschicke, wenn ich Schreibunterricht gebe – die intuitive Aufmerksamkeit über eine lange Strecke halten, außerhalb des alltäglichen Wahrnehmungsmodus. Der Text bewegt sich erst in Fragen, im Vagen, „fremde Wesen“ und dann bricht die dichterische Setzung herein, recht plötzlich: „Möbelstück. Möbelstück. Es heißt M.“ Man muss sich entscheiden, was es denn nun ist und sein soll. Die Dinge werden durch den Text festgesetzt. Die Schrumpfung von „Möbelstück“ zu „M“ bildet diesen Wahrnehmungsprozess auch stilistisch ab: das Subjektive kommt durch. Abkürzungen sind ja immer privatistisch, reine Setzung. Dass „M“ nach „Möbelstück“ steht, ist eine relativ aggressive Geste, die dem Fragenden antwortet; durch die Reihenfolge wird auch die Möglichkeit zur freien Ergänzung, die jede Abkürzung haben könnte, abgeschnitten. In diesem Sinne bildet der Text tatsächlich den Akt des Schreibens ab: auch das eine feste Setzung, zu der Mut gehört. Im Wahrnehmen ist man noch offen, wird gegen das Außen fast durchsichtig, und dann muss man sich entscheiden, eine Zeile zu schreiben. Ich finde, da gehört schon Mut dazu.

Es heißt M. Es heißt Mut.

Ja. Und hier kommt die Abkürzung wirklich wie ein Faustschlag, nach vier Strophen Frage. Die Entscheidung ist hart. Aber das ist genau der Balanceakt, um den es geht, zugleich wahrnehmungsoffen und entscheidungsstark zu sein. Zugleich verhandelt der Text, wie Benennung funktioniert. Er benennt die Brutalität der Benennung. Diesen Akt der Vereinbarung nimmt man als Dichter ja nicht so ganz ernst. Dieser Fingerzeig wird hier präsentiert, durch die doppelte Nennung. Wie weit will ich mich von Vereinbarungen entfernen, wie eng will ich mit Vereinbarungen zusammenleben? Denn der Ehrgeiz läuft natürlich immer in die Richtung, die Dinge so zu sagen, wie sie noch nicht gesagt worden sind. Auch die Benennung ist ein Spiel, das man mit anderen spielt – bis man sich ins Verstehen gespielt hat. Alles Schibboleths, an denen man erkennt, woher der andere kommt. Aber ich muss sagen, dass ich den Stil als solchen hier nicht erkenne.