Kurz nachgedacht: über Stolterfohts seltsame Parolen

Essay

Autor:
Frank Milautzcki
 

Essay

Kurz nachgedacht: über Stolterfohts seltsame Parolen

Dahinter steckt das alte und längst überholte Paradigma, das man sich von der Physik geliehen hat, das Anwachsen von Information sei der unwahrscheinlichere Zustand und das Versinken im Chaos der natürlichere, dem wiederum eine grundfalsche Annahme zugrunde liegt, die Informationsmenge in geordneten Zuständen überträfe jene von „chaotischen“. Man muß heute nicht mehr darüber streiten, daß die Physik sich jahrhundertelang eigentlich nur ein paar klar strukturierte Sonderfälle in der Welt herausgesucht hat, um Regelhaftigkeiten formulieren zu können und bei hochkomplexen Geschehnissen keine Sprache dafür hat.

Es ist eher so, daß mit jeder Entscheidung des Autors das Auftreten des Speziellen zwingender wird. Wenn aus dem unendlich großen Gesamtpool an Möglichkeiten eine Auswahl erfolgt, dann verwirklichen hierbei interne Prozesse, die weder regellos noch zusammenhanglos sind,  rahmende Formate, die für die anwesende Frage Informationen aufscheinen lassen, welche eine geeignete Antwort darstellen können. Je nach Stimmung, Konzentration, Laune und Begehrlichkeit trifft sich eine Entscheidung. Und sie trifft sich im Kontext, im momentanen, nicht auswechselbaren, also „bedeutenden“ Kontext, der von außen chaotisch erscheint aber intern zwingend ist, voller „Bedeutung“ (ein semantisches Geschehen, welches das syntaktische erst zum Schwingen bringt). Ein Kontext, der in der nächsten Sekunde, durch ein vorbeifahrendes Auto oder ein herumsummendes Insekt, schon entscheidend verändert und gestört sein kann, und der sich mit jedem niedergeschriebenen Wort tatsächlich Wort um Wort erweitert, verändert, um Zusammenhänge anreichert und Informationsschwangerschaften austrägt. Nichts daran ist unwahrscheinlich. Es ist alles vollkommen normal und natürlich, zwangsläufig - weil Sprache ein natürliches Geschehen ist und kein Zustand. Es gibt kein „Material Sprache“ im Außerhalb, also die pure Syntax. Die Sprache bewegt sich immer im Innerhalb und versucht das Außerhalb zu betreuen und vertraut damit zu werden. Sie wirkt dabei immer weltverändernd, auch als internes Geschehen, weil sie Zusammenhänge regelt, herstellt, verstärkt oder auflöst. Der Sprechakt ist Weltgeschehen. Jedem Wort, das niedergeschrieben ist, liegt eine Geschichte zugrunde, deren aufgezeichnete Spur es ist. Da es niedergeschrieben ist, kann man es davon isolieren und materialistisch betrachten. So entsteht Text.

„Was in der Sprache gemacht wird, hat eine semantische Bedeutung, Prosa und Poesie; was mit der Sprache gemacht wird, Text, hat eine statistische Bedeutung. Wenn aber der ästhetische Prozeß ein statistischer Prozeß ist, der zur besonderen Klasse der Information, der ästhetischen Information führt, dann hat das, was wir Text nennen, bereits die Chance, ein ästhetisches Gebilde zu sein. Immer ist die statistische Textmaterialität die Voraussetzung einer ästhetischen Textphänomenalität.“ schreibt Max Bense in seiner „Texttheorie“. Das hört sich hochspeziell an. Bense sagt, Kunst erzeugen heißt „Ordnung schaffen“, wenn man den materiellen Teil der Sprache, einen Text, künstlerisch anordnet, bearbeitet, umbaut, entsteht etwas, dessen Vorhandensein zuvor „unwahrscheinlich“ war.
Hier springt Stolterfoht auf. Und hier wimmelt es von ungenauen Erkenntnissen und schlecht begründeten Voraussetzungen, weil redundant gedacht wird. Die Idee das Geschehen um die Sprache aufzuteilen verführt dazu, die materiellen Anteile zu isolieren und sie zu einem Muster, einem ästhetisch betrachtbaren Etwas zu degenerieren, zu einer materiellen Struktur. Daß diese letztendlich dann doch semantisch wirkt, wirken muß, weil Sprache nicht einseitig materiell funktioniert, darauf bauen auch die Dichter der Materialität auf. Sonst würden sie ihre Gedichte als Buchstabensalate in Galerien präsentieren, auf Leinwände aufgezogen, und nicht in Büchern. Natürlich hat Sprache einen materiellen Anteil, erzeugt neben allem anderen auch „Text“, aber es ist dies ein Aspektraum, der eine vereinzelte Qualität wiedergibt, eine für das Wesen der Sprache nicht sehr repräsentable Eigenschaft, die erst mit der Erfindung der Schrift auftaucht.
Ein ziemlich karges Dichtergeschäft, das Wesen der Sprache auf seine mögliche Materialität zu begrenzen und dann damit zu spielen. Man weiß schließlich: die anderen Eigenschaften der Sprache, die nicht wegzudividieren sind, machen daraus am Ende dann doch wieder ein Gedicht.