Frauen in Marokko

Aufsatz

Autor:
Charlotte Ueckert
 

Essay

Frauen in Marokko – Impressionen

Ein junges Mädchen, das wir vor den Mauern des Agadir-Gartens in Marrakesch nach dem Weg fragten, sagte, wir müssten unverzüglich umkehren, es sei zu gefährlich hier. Ich musterte die herumlungernden Burschen, die im Schatten unter Palmen saßen und griff meine Handtasche fester, Aber sie meinte die Mittagsonne. Wir gingen mit ihr zurück, sie wollte uns zum Platz führen, wo wir ein Taxi nehmen konnten, um der Hitze zu entkommen. Sie sprach Englisch und schnell war der Kontakt zwischen uns geschlossen. Im Gegensatz zu den jungen Männern, die sich uns als heimliche Führer durch die Altstadt anboten, ging sie neben uns, nicht ein paar Meter voraus. Zekia hatte gerade eine Prüfung als Biologiestudentin hinter sich und war auf dem Weg von der Universität nach Hause.
Ich habe sie mehrfach getroffen, jedes Mal trug sie eine Djellaba und das traditionelle Kopftuch, bewegte sich aber mit einer Selbstverständlichkeit durch die Gassen, die ja vor allem durch massive Männerpräsenz geprägt sind, dass ich neidisch wurde. Selbst wenn ich darauf achtete, Arme und Beine zu verhüllen und einen Sonnenhut auf dem Kopf zu tragen - als Ausländerin genoss ich nur Achtung, wenn ich so tat, als sei ich allein auf der Welt. Mit Zekia war ich Teilhaberin des städtischen Lebens.
Zekia und ich verabredeten uns, sie wollte mich in der Medina, der Altstadt besuchen, wo ich für einige Zeit wohnte. Zekia, ein junges Mädchen aus Marrakesch, Halbwaise, deren „Familienoberhaupt“, der ältere Bruder, in Deutschland lebt. Im letzten Jahr war sie verlobt, aber der junge Mann starb bei einem Unfall. Ich fragte sie nach ihren Zukunftsplänen: zu Ende studieren und reisen, natürlich gern nach Deutschland. Falls das nicht möglich sein sollte, sagte sie, sei sie froh, eine Frau zu sein, denn dann könne sie immer noch heiraten und Kinder kriegen. An Berufstätigkeit könne sie nicht denken. Bei hoher Akademikerarbeitslosigkeit rechne sie nicht damit, nach dem Studium etwas zu finden.   
Das Schulsystem in Marokko bietet auch den Frauen eine gute Ausbildung, etwa ein Drittel der jungen Leute, die Schulen und Universitäten besuchen, sind Mädchen. Nur ist es schwer, damit etwas anderes zu machen als den Heiratswert in höhere Schichten zu steigern.
Der Kontakt zu den arabischen Frauen wird in der Regel über ihre Männer hergestellt. Der Drechsler Ahmed, an dessen Laden wir täglich vorbeikamen, war immer sehr hilfsbereit, wenn es galt irgendetwas für den provisorischen Haushalt zu besorgen, den wir in der Medina führten, ohne die Hilfe einer „Fatima“, einer einheimischen Haushälterin. Ahmed lädt uns zum Couscous-Essen in seine Wohnung ein. Auf dem Weg dahin ging auch er mehrere Meter vor uns, damit eventuell anwesende Polizei ihn nicht etwa verdächtigt, ein „illegaler Führer“ zu sein. Wie viel einfacher sind freundschaftliche Kontakte zu Frauen!
Ahmeds Familie lebt im ersten Stock, wir stapfen mitten durch die Wohnung der Familie unten. Gekocht wird auf der Balkonbrüstung in den Hof, hinter einem Vorhang. Seine hübsche, korpulente Frau kennt er von Kindheit an, sie begrüßt uns mit Wangenküssen und hat ihre Füße ebenso mit Hennamustern geschmückt wie die ihrer drei kleinen Töchter. Wir werden vor den Fernseher gesetzt, die kleinen Mädchen nähern sich uns schüchtern oder keck, je nach Alter. Während die Eltern sich hinter dem Vorhang zu schaffen machen, blicken wir mit den Mädchen in den Fernseher hoch auf der Kommode, dem einzigen Möbelstück außer ein paar Polstern auf der Erde. Dann essen erst die Kinder im Hof, danach wir Erwachsenen vor dem Fernsehapparat, auf geflochtenen Matten sitzend, dicke Polster im Rücken und greifen in die Schale mit dem im tagine gekochten Couscous. Es schmeckt genauso gut wie am Abend vorher im Spezialitätenrestaurant. Ahmed und wir essen mit Gabeln, Ahmeds Frau ißt mit der Hand, wirft gute Fleischstücke auf unsere Seite. Sie hat nie außerhalb des Hauses gearbeitet - und ihr Mann ist stolz auf sie. Während er das Französisch, Englisch und Deutsch der Händler spricht, lächelt sie nur und schweigt. Sie und die Kinder sind den ganzen Tag zu Hause. Spazierengehen kennt sie nicht, Spielplätze und Parks sind weit entfernt und allenfalls für einen Familienausflug am Wochenende geeignet.

Noch einmal sind wir privat zu Gast in einer marokkanischen Familie. Außerhalb von Marrakesch besuchen wir die Freundin einer in Marokko verheirateten Deutschen, eine Witwe und deren halbwüchsige Kinder. Ihre Älteste, bald neunzehn, wird demnächst heiraten, ihre Kochkünste werden ebenso herausgehoben wie die Handarbeiten, die sie gestickt hat. Draußen ist herrlichstes Wetter, aber der Tee wird drinnen vor dem Fernseher serviert. Es gibt einen indischen Spielfilm, und die triviale Handlung läßt sich fast erraten, so dass ich meine deutsche Bekannte frage, ob sie nicht von den anderen herausbekommen könne, ob meine Vermutungen über den Gang der Handlung im Erb- und Liebesdrama stimmen. Denn begleitet wird der Film von arabischen Untertiteln. „Das wird nicht gehen“, sagte die Deutsche zu mir, „sie können doch nicht lesen.“

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