Burka
Ein Pamphlet
In Frankreich soll die Burka verboten werden, in Belgien wurde sie es. Mir scheint: ein Schritt in die falsche Richtung! Sollten wir uns nicht vielmehr Gedanken über die Gründe machen, warum die Muslima eine Burka trägt? Was sind das für Wesen dahinter? Zumindest das kann man von Außen leicht erkennen, oft sehr dickliche. Dürfen wir ihnen zumuten, sich unverhüllt unserer westlichen Sicht auszusetzen? Und wir sollten auch fragen, ob wir uns das zumuten wollen?...
Ankunft in Marokko - eine autobiographische Skizze
Unsere erste Reise nach Marokko fiel in das Jahr 1982 und war eine Gruppenfahrt; genau genommen: die gängige Königsstädte-Tour, Rabat, Meknés, Fes und Marrakesch – das ganze Programm in 10 Tagen. Schon dieser erste Satz ist nicht ganz wahr. Tatsächlich flogen wir drei Wochen früher, um dann die Gruppe zum vereinbarten Zeitpunkt am Flughafen in Casablanca zu treffen. Wir landeten in Casa, nahmen ein kleines Hotelzimmer, verbrachten zwei Tage dort, schnupperten ein wenig in den Basaren, die diese uns so europäisch...
Frauen in Marokko – Impressionen
Ein junges Mädchen, das wir vor den Mauern des Agadir-Gartens in Marrakesch nach dem Weg fragten, sagte, wir müssten unverzüglich umkehren, es sei zu gefährlich hier. Ich musterte die herumlungernden Burschen, die im Schatten unter Palmen saßen und griff meine Handtasche fester, Aber sie meinte die Mittagsonne. Wir gingen mit ihr zurück, sie wollte uns zum Platz führen, wo wir ein Taxi nehmen konnten, um der Hitze zu entkommen. Sie sprach Englisch und schnell...
Spinatgrün. Etwas über Naturgedichte
Sie war nicht böse gemeint, die freundschaftlich-kritische Frage, die mir ein Kollege und lyrischer Mittäter beiläufig stellte: Warum unter meinen Sachen so viele Naturgedichte seien? Und er fügte hinzu: Sind nicht die Dinge der Menschen buchstäblich bedeutender, ist die Natur nicht ein von uns gemachtes freundliches Phantom? Warum so viel Energie der Beobachtung von etwas widmen, das uns so fremd ist, daß wir es erst präparieren, mit Eigenem durchtränken müssen, um überhaupt ewas zu fassen zu bekommen?...
Fünf Fragen an Ron Winkler
Natürlich gab es Strategien, auch unbewusste, gleichwohl ist der Band kein Konzeptalbum. Die Übergänge sind fließend. Man verändert sich selbst ja auch eher sukzessive als abrupt. Eine der Ideen für die neuen Gedichte war die der Kontamination. Einer Kontamination mit Interessen und Sprechweisen des eigenen Oeuvres, vor allem aber einer Kontamination mit jener grundlegenden Verstörung, die uns umgibt und erfasst und die voller struktureller, aber auch individueller Absurditäten ist...
Schwarze Messe
Buchmessen sollte man, wenn man selber schreibt und keinen Erfolg damit hat, nicht besuchen, außer man ist Masochist. In dieser Zeit spare ich mir den Besuch bei der Domina und löse für ein paar Euro ein Buchmessenticket. Frankfurt am Main ist mir allerdings zu weit weg, um per Anhalter, geschweige denn als Sachsen-Anhalter (sic), hinzufahren. Da unterstütze ich lieber die lokale Schmerzkünstlerin und fahre immer frühjahrs zur Leipziger Buchmesse. Die ist gleich um die Ecke und bietet mir das komplette Programm.
Die Verfertigung der Welt im Kinderauge. Eine Vorlesung in drei Kapitellen
So, wie ich in den neunziger Jahren ein Seiteneinsteiger in der Archäologie war, bin ich kein Verfasser von Kinderliteratur von Anfang an, vielmehr habe ich mich auf den recht verschlungenen und wieder nicht verschlungenen Wegen diesem lohnenden und weithin verkannten Metier genähert, mit Zweifeln und Schreibtischflucht, mit der Einsicht in die Notwendigkeit, dass das Kommunizieren zur rechten Zeit am günstigen Ort mir zudem, wenn man so will, als Nebenweg, die Kinderliteratur eröffnet hat, wofür ich heute dankbar bin...
Die Hausaussuchung in Lenggries – ein Volkslied aus Bayern und: wo der Staat nichts zu suchen hat
Die arkadischen Phantasien der Stadtbevölkerung weisen, wenn nicht in den völligen Fiktionsraum, so doch in der Zeit nach hinten, und sind in Bezug auf die Realität des Vorgestellten höchst zweifelhaft. Die topische Vorstellung vom holden Schäferleben ignoriert alles, was am Landleben harte Arbeit ist; was dem gegenüber gesetzt wird, würde man heute vielleicht mit der trivialisierten Schwundstufe des Wortes „romantisch“ umschreiben. Zum Klang der Laute segeln die gebratenen Tauben in den Hals, an den sich die seidenweichen...
Ein gemeinsamer Körper, der in zwei Hälften zerfiel – Liebesgedichte von Michael Basse
Hier lieben sich zwei. Ein männliches Ich, ein weibliches Du – das ist vermutlich der älteste Topos überhaupt: In Michael Basses Neuerscheinung erfreuen wir uns an 42 Liebesgedichten, in denen es nicht nur um Liebe geht.
Liebe geht durch den Äther: skype connected ist der fünfte Gedichtband des Münchner Dichters und Übersetzers. Michael Basse ist 1957 in Bad Salzuflen (NRW) geboren und hauptsächlich für den Hörfunk tätig...
„Ich wurde in Ketten geboren. Es war windig und trockenes Laub schlug gegen die Krankenhauswände. Ich war am Leben.“ Zum 75. Geburtstag von Leonard Cohen.
Deutschland-Radio Kultur stellte letzte Woche die Frage, ob Leonard Cohen, wäre er dem Schreiben treu geblieben, ein großer Schriftsteller geworden wäre. Meine Antwort ist: ganz bestimmt wäre er das.
Ich hörte Leonard Cohen das erste Mal im Alter von ungefähr vierzehn Jahren. Es war die Zeit, in der ich Lieder, die mir gefielen, hunderte Mal hintereinander abspielte, um sie dann für Jahrzehnte nicht mehr zu beachten
Traumsequenz
Was ist Sprache für einen Dichter, für einen türkischen Dichter – einen Dichter der Welt? Was ist Sprache für jemanden, der sein Leben lang in seinem Land bleibt? – Heimat. Die deutsche Sprache war für unglaublich viele Dichter, Denker, Musiker, Künstler, Filmemacher, Schauspieler – und ihre Familien Fluchtpunkt, Nische und Asyl. Nicht nur 1933 bis 1945, sondern seit Jahrhunderten. Seit Martin Luther, in Eisenach in einer Kammer der Wartburg versteckt, im Dezember 1521 begann, die ersten Texte...
Postmoderne in der türkischen Literatur - Kriterien für eine Annäherung an Ahmet Hamdi Tanpınars, Bilge Karasus und Orhan Pamuks Werke
Die Diskussion Moderne-Postmoderne ist die Diskussion über eine Krise unserer Zivilisation. Diese Krise erscheint umso eklatanter, je direkter die zerstörerischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts als eine verhängnisvolle Kette von Wirtschafts- und Gesellschaftskrisen, Kriegen und Massenverelendung ihre Wirkung ausüben können. Vorsichtige Zeitgenossen reden statt einer Krise – verharmlosend – von Orientierungslosigkeit, die sich allerdings weltweit ausbreitet. Die große Zahl der im 20. Jahrhundert aufgekeimten, gegensätzlichen Ideologien und „Ismen“ sind...
Die Entdeckung der Gegenwart im längsten Stück - John Cage in Halberstadt
Die Kinder wollen nicht aussteigen, als wir endlich das Burchardi-Kloster nördlich der Innenstadt von Halberstadt gefunden haben und etwas entfernt einen Parkplatz. Sie haben genug von Besichtigungen – nach Dom, Domschatz und Gleim-Museum, wo sie sich zu zweit auf den nachgebauten Schreibtischstuhl von Johann Wilhelm Ludwig Gleim zwängten und sitzen blieben. Ein wahres Designermodell der Epoche, in dessen grün gepolsterten Lehnen kleine Schubladen versteckt sind und das sicher Eindruck gemacht hatte bei Gleims inständig hergebetenen Dichterkollegen Herder, Lessing, Klopstock...
Metaphysik in Anführungszeichen - im Gespräch mit Walter Helmut Fritz
"Ich habe das Glück gehabt,/ ein ereignisloses Leben zu führen" zitiert der Karlsruher Schriftsteller Walter Helmut Fritz den italienischen Maler Morandi in einem seiner Portraitgedichte. Fritz lebt zurückgezogen, fast öffentlichkeitsscheu; seine Gedichte und Prosatexte sind knapp, präzise, lakonisch und unauffällig - Eigenschaften, die Fritz zu einem der bedeutendsten deutschen Nachkriegs-Lyriker gemacht haben, und zwar abseits des lärmenden, ereignisreichen Literaturbetriebs...
Danke, dass es Dich gibt, Herta Müller!
Der Kurs, den ich besucht habe, ist vorbei. Der Dozent hätte sich die Mühe sparen können: Ich möchte in die Luft springen. Fliegen. Doch zunächst verlasse ich den Raum und gehe zur Toilette, um mein Gesicht zu waschen.
Vier Stunden später, auf der Autobahn. Es regnet nicht, aber ich sehe kaum etwas. Mein Blick verschwimmt. Ich weine. Es ist wahr! Ich rechnete schon lange damit, aber letztes Jahr hat Fortuna einem anderen gelacht … Gestern Abend, bei der Lesung mit Richard, Helmut, Horst und Johann, war noch alles offen. Möglich. Jetzt ist es aber sicher...
Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen
„Was für eine Freude! Endlich ein Dichter, ein wirklicher Dichter! Man traut seinen eigenen Augen kaum. Und wieder wird einem bewußt, wie künstlich all diese Unterschiede sind zwischen früher und heute, zwischen Traditionalismus und Modernismus, zwischen Reim und Nicht-Reim und so weiter. Die einzige wirkliche Unterscheidung ist die zwischen gut und schlecht, zwischen Talent und Nicht-Talent.“ So äußerte sich der Kritiker Odd Solumsmoen im Arbeiderbladet am 9. Dezember 1961 über Olav H. Hauges vierten Gedichtband...
Kurz nachgedacht: über Stolterfohts seltsame Parolen
Gregor Dotzauer schlägt in einer Rezension zu der von Thomas Geiger herausgegebenen Anthologie „Laute Verse“ ob der Vielfalt der lyrischen Sprechweisen vor, sich auf einen Satz von Max Bense zu einigen, den Ulf Stolterfoht für „unangreifbar“ hält: „Literatur ist Sprache in einem unwahrscheinlichen Zustand.“ Das hört sich nach einer hochintelligenten, kaum zu überbietenden Feststellung an und ist, wenn man gründlich darüber nachdenkt, ein kurzgebratener Quatsch mit doppelter Käsesoße...
Gabe gegen Gabe. Felix Philipp Ingolds Lyrik der Moderne
Wo und wie arbeitet ein Lyriker? Einem berühmt berüchtigten Gedicht zufolge geht er, so fernab wie möglich von aller Zivilisation, in Feld und Wald vor sich hin, streng darauf achtend, dass er nichts sucht, damit ihn das, was er nicht sucht, finden und bei der Schreibhand nehmen kann. Wo und wie arbeitet der Lyriker Felix Philipp Ingold? „Der öffentliche Raum ist der Resonanzraum, aus dem ich die ersten noch unverbundenen Daten für mein Schreiben gewinne...
Eine Poetikvorlesung von Herta Müller im Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
Ich kannte sie nicht. Hatte gehört, dass sie den Literaturnobelpreis bekommen hat. Der Titel ihres Buches: Atemschaukel. Ach, dachte ich, das ist mir zu konstruiert, so mit Gewalt poetisch. Dennoch freute ich mich, dass eine Frau aus Rumänien mit zweisprachigem Hintergrund, mit den Securitate-Erfahrungen diese Ehrung erfährt. ...
Persische Dichtung – neu übersetzt - Im Gespräch mit Ali Ghazanfari
Ich habe versucht, die richtige Bedeutung der Wörter intensiver und gefühlvoller widerzuspiegeln, weshalb auch fast drei Jahre vergingen, bis sie erschienen. Dazu kam noch ein wichtiges Element. Als ein Dichter, der sowohl persische, als auch deutsche Gedichte schreibt, empfinde ich es als menschliche Aufgabe, zur Intensivierung der bilateralen kulturellen Beziehungen beizutragen, und diese Werke sind unter anderem ein Schritt in diese Richtung...
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