Die Verfertigung der Welt im Kinderauge

Essay

Autor:
André Schinkel
 

Essay

Die Verfertigung der Welt im Kinderauge. Eine Vorlesung in drei Kapitellen

Für Jürgen Jankofsky

 

ERSTES KAPITELL: DAS MEERSCHWEINCHEN IM KARTOFFELSALAT

a. Exile on Laucha street

Die Verfertigung der Welt im Kinderauge – als Thema und Motto einer Vorlesung, meine Damen und Herren, liebe Freunde der höheren Weihen, scheint das beinahe etwas vermessen, aber ich will seh’n, dass ich mich dem, und unter Ihren, will ich hoffen, aufmerksamen Augen und Ohren stellen kann.
So, wie ich in den neunziger Jahren ein Seiteneinsteiger in der Archäologie war, bin ich kein Verfasser von Kinderliteratur von Anfang an, vielmehr habe ich mich auf den recht verschlungenen und wieder nicht verschlungenen Wegen diesem lohnenden und weithin verkannten Metier genähert, mit Zweifeln und Schreibtischflucht, mit der Einsicht in die Notwendigkeit, dass das Kommunizieren zur rechten Zeit am günstigen Ort mir zudem, wenn man so will, als Nebenweg, die Kinderliteratur eröffnet hat, wofür ich heute dankbar bin. Und das war zugebenermaßen nicht immer so.

Ich bin gebürtiger Lyriker, müssen Sie wissen, und ich habe lange einzig nach dem Dunklen, Hohen und Erhabenen getrachtet … und es auch teilweise erreicht, ja, ja, das sage ich ganz unbescheiden und schäme mich doch ein wenig dabei. Ich bin also zunächst Lyriker; und wenn ich ein doofer Zeitgeistheini wäre, würde ich geflissentlich dazu sagen: „Und das tut mir auch leid!“ Ehrlich.

Aber dem ist nicht so: Alles würde ich noch einmal so auf mich nehmen, auch den Blödsinn, den ich gemacht habe … er hat mich gleichsam immer am Leben gehalten. So habe ich die Höhen und die Tiefen der Liebe erlebt, der Verzagtheit und der Trauer; und so bin ich irgendwie dem treu geblieben und konnte dem treu bleiben, was mich seit jeher um die Häuser treibt, die Felshöhlen auch, an die Sassen und Feuerstätten der Alten, in die Bibliotheken des Geists, auch der Euphorie zuweilen, in den Abgrund des Zweifels, auf den seltenen Parnass des gelungenen Augenblicks und so weiter. Die Albernheit nicht zu vergessen. Zorn und Verletztheit. Den Ruch der Erfüllung. Den Zwiespalt, ein Vater zu sein, was anstrengend ist, lehrreich, göttlich, und in dem man mit einem Geschenk bedacht wird, das unaufwiegbar ist: der Liebe seiner Kinder.
Ich bin also Lyriker, und das tut mir auch leid … ach, nein, das muss es ja nicht. Ich bin schon jetzt ganz durcheinander. Von der Lyrik, das wissen wir, leben wir nur in dem großen Traumland, in dem uns ein Stadion voller Zuhörer reserviert ist, die in Zwei-Stunden-Abständen hinein- und hinausgelassen werden und wo wir mit dem Signieren unserer Gedichtbände nicht hinterherkommen. Man muss sich also etwas ausdenken und doch noch etwas Vernünftiges werden, Lehrer zum Beispiel oder Kinderbuchautor. Gut und schön, werden Sie nun sagen, Lehrer werden ist etwas ganz und gar Vernünftiges, aber, mit Verlaub, Kinderbuchautor?
Ich habe ja auch gar nicht gesagt, dass ich Kinderbuchautor werden will, für immer; ab und an vielleicht, aber es muss dazwischen Pausen geben, in denen ich mich erholen kann und komplizierte Gedichte schreiben vielleicht, die Sie dann toll finden dürfen, aufregend, geheimnisvoll, anstrengend oder Kacke womöglich, sie müssen es mir nicht so genau sagen. Kinderbuchautor jedenfalls ist anstrengend, anstrengender als Lyriker sein oder Lehrer sein wollen, zumindest für mich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich dafür eigne, auch, da ich feststellen durfte, dass innerhalb des Haifischbeckens Literaturbetrieb es ein eingelassenes Haifischbecken Kinderbuchautorenverlagsconnection gibt, in dem geben sich die Weißen und die Tigerhaie die Klinke in die Hand. Man will es nicht glauben, aber es ist so und wird auch so bleiben.

Was kann man also tun, wenn man Kinderbuchautor werden will und es nicht zugeben darf, weil gleich das bierernst den Kopf wiegende Gelberg’sche Gekicher über einen kommt. Man schreibt erstmal ein paar lustige Texte, sofern man lustig kann und hofft, die Kinder mögen sie … und hofft, ein Janko käme daher, der ein Auge und ein Ohr für die Dinge hat, von denen man gar nicht weiß, dass man sie auch kann … Oder man bekommt ein paar Kinder, damit man nach dem Durcheilen des Milch-, Windel- und Breichen-Gebirges irgendwann weiß, wie Kinder reden und funktionieren. Und man hofft, es gibt irgendwann eine Gelegenheit, diese Texte auch anderen Kindern zu zeigen, sie in Anthologien gedruckt zu sehen und so fort. Man wird also, ohne dass man das will – ein Kinderbuchautor sein – ein Kinderbuchautor; und man staunt, was man alles irgendwie kann und freut sich, wenn man’s irgendwann besser kann als irgendwie, denn unsere Kinder haben etwas Besseres verdient.

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