Kolumne

Die geleugnete Geschichte

Über das Werk Dogan Akhanlis

Dogan Akhanli wurde festgenommen.“

Die Nachricht, am frühen Samstagmorgen, war ein Schock. Warum ausgerechnet Dogan, warum schon wieder er? Dogan hatte in den Achtzigern zweieinhalb Jahre in Haft in Istanbul verbracht, wurde gefoltert. Danach kam er nach Deutschland. Als er 2010 nach Istanbul reiste, um seinen Vater ein letztes Mal zu sehen, wurde er noch am Flughafen festgenommen und unter absurden Anschuldigungen inhaftiert. Als er freigelassen wurde, war sein Vater bereits gestorben. Er wurde freigesprochen, die hanebüchene Anklage widerlegt. Und trotzdem wurde 2013 der Freispruch aufgehoben und ein erneuter Haftbefehl ausgestellt. Dieser Haftbefehl, mit einer Dringlichkeitsnote via Interpol ausgestellt, sorgte am Samstag für seine Festnahme. Er war in Spanien. Im Urlaub.

Ausgerechnet ihn sucht sich das AKP-Regime aus, um seinen Gegnern eine Botschaft zu senden: Ihr seid selbst innerhalb der EU nicht mehr sicher vor uns. Dieses Regime, das binnen eines Jahres mehr als 55.000 Menschen inhaftiert hat, das gerade neue Gefängnisse mit einer Kapazität für weitere 100.000 bauen lässt, dieses Regime, das wieder foltert, und das sich nur mit einem einzigen Mittel an die Macht klammen kann: Indem es Angst verbreitet.

Wenn Erdogan damit eines erreicht, dann dies: Dass Dogans Bücher von viel mehr Menschen gelesen werden als bisher. Und sie müssen gelesen werden. Gerade jetzt. Dogan Akhanli ist ein stiller und bedachter, dabei wortgewaltiger Verfechter der Menschenrechte und des Lebens. Die verheerenden Genozide ziehen sich als roter Faden durch sein Werk. Seine Stimme ist es, die den Despoten stört, und seine Feder, die er tief in die Wunden der Geschichte stößt. Baron Lyttons Ausspruch, „Die Feder ist mächtiger als das Schwert“, beweist sich in Dogan Akhanlis Büchern.

Bislang liegen davon nur zwei auf Deutsch vor. Als erster türkischer Autor hat er den Völkermord an den Armeniern zum zentralen Thema eines Romans gemacht. „Die Richter des jüngsten Gerichts“ ist ein Schlaglicht auf die Verbrechen, die in der Türkei bis heute geleugnet werden, ein Buch, das den Opfern ebenso folgt wie den Tätern und dem Schweigen ihre Geschichten entgegensetzt. Der Band bildet den Abschluss einer Trilogie, die sich auch mit den politisch-gesellschaftlichen Verwerfungen in der Türkei in den Siebziger und Achtziger Jahren befasst, und deren erste beiden Bände bislang nur auf Türkisch publiziert sind. Es wird Zeit, dass sich ein Verlag findet, der sie nach Deutschland bringt.

Die Tage ohne Vater“, in der Türkei 2008, hierzulande 2016 erschienen, ist ein Roman, der geschickt mit autobiografischen Bezügen spielt. Der Musiker Mehmet flüchtet in den frühen Neunzigern nach Köln, wo er im Stadtteil Ehrenfeld lebt, wie der Autor selbst, der auch auf einer Metaebene auftaucht. Der Roman erzählt eine Liebesgeschichte zwischen Istanbul und Köln, eine schwierige Identitätssuche in Annäherung und Abgrenzung zum Vater, einem Mathematiker mit Emotionsproblemen, ist zugleich eine Liebeserklärung an Heinrich Böll und an den Rhein – aber auch eine hintergründige Auseinandersetzung mit der politischen Lage in der Türkei rund um den Militärputsch von 1980.

Um die Frage nach der Identität dreht sich auch sein 2013 uraufgeführtes Theaterstück „Annes Schweigen“. „Anne“, das ist Türkisch und heißt „Mutter“. Und als die Mutter der Deutschtürkin Sabiha stirbt, macht sie eine Entdeckung, die ihre ganze Existenz in Frage stellt. Sie, die sich zu türkischen Nationalisten hingezogen fühlte, wird plötzlich mit ihren armenischen Wurzeln konfrontiert, von der ihr die Mutter nie erzählt hatte. Das Stück hinterfragt geschickt die Konstrukte, auf denen wir unsere Überzeugungen aufbauen und die Identität, die wir uns geben, oder die uns gegeben wird, es weist auf die Zufälligkeit unserer Existenz und unserer Herkunft. Eine Frage, die gerade heute wieder brandaktuell ist und doch in all den ziellosen Debatten um Obergrenzen und Fluchtgründe weitgehend ignoriert wird – weil sie ein Ende der einfachen Antworten bedeuten würde.

Einfache Antworten gibt es nicht in den Büchern Dogan Akhanlis. Aber Fragen, die wieder neue Fragen aufwerfen – und den Zweifel, der ihnen innewohnt. Dogan Akhanlis Stimme wird gehört. Wie auch die Stimmen all der anderen, die Erdogan gerne ersticken würde. Mit jeder Provokation, mit jeder Menschenrechtsverletzung, mit jedem Verbrechen, das er begeht, sorgt er nur dafür, dass diese Stimmen umso lauter und umso deutlicher vernehmbar werden.

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