Neue Schulen

Julia Grinberg

Neue Schulen #9
Gedichte: 
Kommentar: 

wir müssen reden –

„wie eben im leben: du verreckst und jemand sagt dir: der da macht die allerbesten kanus.“

Auch wenn es schwierig ist, da müssen wir durch. Durchs Leben, durch die nächste Metamorphose, die erste Liebe, einsame Spaziergänge bei Regen – man geht einmal mehr durch diesen einen Park, in dem man zu zweit war und ist sich selbst zu viel. Und immer die Frage im Hinterkopf – Wofür eigentlich alles? Einen Augenblick nicht aufgepasst, kommt Gott um die Ecke: „Wir müssen reden!“. Lieber nicht.

Sich die Frage nach dem Wofür zu stellen, kann eine religiöse Geste sein. Genauso könnte gefragt sein – Was ist heilig? Was bleibt?
Es ist schwierig, Gedichte von Julia Grinberg auszuwählen, die sich mit weniger begnügen als mit der Suche nach ebenjener Heiligkeit, nach dem gewissen Gral, den man im Geiste längst aufgegeben hatte.
Die erstaunliche Qualität dieser Gedichte liegt meiner Meinung nach in zwei einfachen Dingen –  Erstens, sie sind ehrlich. Zweitens, sie bieten Antworten. Fangen wir am Ende an.

Antworten
Poetisches Denken, so dachte ich, sei suchendes Denken. Im Gegensatz zu einem religiösen Suchen, sei diese Art Suche allerdings nicht darauf ausgerichtet, Sicherheit zu schaffen. Im Gegenteil, sie beschwöre die Unsicherheit herauf. Überhaupt, sei der Akt des Schreibens ein fragendes unsicheres Unterfangen. Glaube ich eine Antwort gefunden zu haben, muss ich bereit sein, sie sofort auf den Prüfstand zu stellen. Ohne zu zögern hinterfragen. Zerreißen und wieder zurück zur Ursprungsfrage – Was bleibt überhaupt?
Diese Gedichte pfeifen auf solche Vereinfachungen. Sie erzählen. Julia Grinberg manifestiert in ihren Texten den Körper eines Ichs, in dem sie Bekenntnisse liefert. Was hier Konturen annimmt, kann ein schonungsloses Tagebuch sein, eine Inventur, die Beschreibung einer Landschaft, die im Moment des Beschreibens gerade erblickt wird. Auf das Mittelbare wird zu Gunsten des Unmittelbaren verzichtet. Und der Gewinn daraus?

„wie eben im leben: du verreckst und jemand sagt dir: der da macht die allerbesten kanus.“

Stimmt.

„ethik und ästhetik sind nicht zu verachten, besonders im herbst.“

Stimmt ebenso.

„aber ich weiß - ein sonnenlächeln / ist das lächeln eines verkäufers. äußerst freundlich, unbeständig.“

Stimmt auffallend.

Antworten sind hier beiläufig, schweben luftig in den Raum, nisten sich fest. Wer bei Grinbergs absurden Pflanzenbeschreibungen, Knospenwelten, Dolden, den hundert Leben mit denen an einer Leine Gassi gegangen wird nicht lachen muss, hat verloren. Wer dahinter nicht das bittre Leben durchscheinen sieht – auch. Sie führt uns vor Augen, dass es stimmt – erst in der Komödie kommt wahre Tragik zum Vorschein. Die Tragödie, in ihrer komischen Unbeholfenheit, tröstet.
Wo es nun einfach werden könnte, wird es allerdings erst recht kompliziert. An der Stelle, wo Grinbergs Gedichte von Gott handeln, wo ein Ich verzweifelt und darin erbaulich wird, scheint etwas durch ihre Sprache hindurch. Etwas windet sich immer und immer abseits des Blicks und lässt sich nicht einfangen.

„die blätter sind fast ab, aber die beeren - die dolden! - / hängen üppig. denke an grimm-märchen, gebrechliche hexen. die haare fast ab, aber / der schmuck - geduldig! - hängt üppiger denn je. // radle an kurz geschorenen feldern vorbei, durch die schneisen. die laubfarben, geradezu / grell. auf einem holunderstrauch sitzt eine lackschwarze amsel mit lackschwarzen augen, / pickt beeren. es ist sonnig, aber ich weiß - ein sonnenlächeln / ist das lächeln eines verkäufers. äußerst freundlich, unbeständig.“
 

Ehrlichkeit
Eine Drohung. Die Szenerien dieser Gedichte sind augenscheinlich ausgedachte, ein herbei phantasierter Mythos, Blödsinn. Bitte, aber wie grausam? Wahrsprechen im Gedicht bedeutet, sich für einen Moment der bösesten Lüge auszusetzen. Nicht die Authentizität sei Ehrlichkeit, nicht das Fehlen von Gesten, keine Überlagerung des Lyrischen Ichs mit einer bestimmten Person – es ist die grausame Klarheit.

„hab keine angst, ich werde dich lieben.“

Im gleichen Maße –

„reptiloide platanen liebe ich für dünnhäutigkeit, ihre diskrete art von enthäutung, für dicke /
fäuste der radikal beschnittenen exemplare, für großzügige blätter, für weichstoppelige /
kugeln. magnolien liebe ich für rauledrige schnabelige knospen, für die biegung der äste, /
fürs triumphale lebensbejahen, fürs üppige schäumen, für die ehrliche schnelllebigkeit, für / bittren geruch, durch den der tod sickert.“

Was ist, wenn die Welt doch einfach ist? Bin ich zu kompliziert? – Nein, die Welt ist verflucht kompliziert, zu kompliziert für dich und du dabei ein Idiot, Dummkopf, Pathetiker, zu früh am Ziel angekommen und dann auch noch am falschen.
Körper werfen Spiegelbilder. Seelen werfen Spiegelbilder. „Seelchen“, schreibt Dirk Uwe Hansen in einem Gedicht. Allein für solche Findungen lohnt es sich, die Dichotomie von Körper und Seele (Seelchen) wieder zu bemühen. Um Grinbergs Gedichte zu umschreiben, muss ich vom Ursprünglichen sprechen, von Inkarnation, dem Menschlichwerden des Göttlichen. Und mit  Ursprung ist keineswegs das Natürliche gemeint. Das natürliche Geschlecht, das natürliche Alter, die natürliche Ordnung, Rollenbilder – entfremden wir uns von ihnen! Die Entfremdung selbst bringt Angelerntes, Klassisches, Vorgedachtes ins Wanken und lässt es gnadenlos einstürzen.

In drei Absätzen heißt der Gedichtzyklus von Julia Grinberg, alle Gedichte in je drei Absätze gegliedert. Ob die Dreifaltigkeit eine Rolle spielt – vollkommen egal. Was wir geliefert bekommen, ist ein Beispiel dafür, wie sich Leben in einen Menschen einschreibt und ein Mensch im Gegenzug in den Text. Wenn wir wollen, können wir hier sehen, wie es geht. Wie WAS geht? Vieles vielleicht. Sie macht ein Angebot. Welches? Das weißt du.

 

 

 

 

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