Hier fangen die Geschichten an
„Wir sind gekommen, um auf dieser Erde eine Vision zu verwirklichen, und nun ist alles Kino und Hollywood“, so lautet das bittere Fazit des namenlosen Protagonisten in Amos Oz‘ 1964 entstandener Geschichte „Die Verbesserung der Welt“. Der in die Jahre gekommene, einsame und hasserfüllte Kibbuznik rechnet hart mit der israelischen Gesellschaft ab. Er ist ein zynischer Visionär, von dem sich die anderen Bewohner des Kibbuz fernhalten, obwohl sie ihn mit einem Heiligenschein versehen, denn Menschen wie ihm „ist es zu verdanken, dass der Kibbuz besteht.“
Das Konzept der „Verbesserung der Welt“ ist heute vor allem aus der Kabbala bekannt. Mit „Tikkun Olam“, so der hebräische Originalbegriff, ist eigentlich die Wiederherstellung der kosmischen Harmonie gemeint. Die Hauptfiguren in Amoz Oz‘ erstem Erzählband Wo die Schakale heulen, nach rund 50 Jahren nun endlich in deutscher Sprache erschienen, sind allerdings nicht die Mystiker oder die Orthodoxen, die den Spagat zwischen Tradition und säkularer Gesellschaft nicht schaffen.
Die Harmonie, die Oz‘ Charaktere wiederherzustellen versuchen, ist irdischer, banaler; sind sie doch vor allem damit beschäftigt, Beziehungen zu kitten oder aufzubauen. Elieser Dror in „All die Flüsse“ ist ein Beispiel dafür, dass ihnen das oft genug misslingt. Die Begegnung des jungen Briefmarkensammlers und Fabrikleiters mit der Shoah-Überlebenden und Dichterin Tova lässt sein Leben derart aus den Fugen geraten, dass sich der Ich-Erzähler verhaspelt, die Chronologie der Ereignisse gerät ihm durcheinander.
Wo wir beim Thema Chronologie sind: Zeitgleich mit Wo die Schakale heulen brachte Suhrkamp dieses Jahr Oz‘ brandneuen Essayband Liebe Fanatiker heraus. Die Doppelveröffentlichung ist ein genialer Coup, schließlich erklärt sein Erstlingswerk eben auch, was den späteren Mitbegründer der Friedensbewegung Schalom Achschaw zu dem hellsichtigen Menschen gemacht hat, der sich mit seinen 79 Jahren nach wie vor in aktuelle politische Debatten einmischt, wie ja nicht zuletzt sein Kommentar zum globalen Phänomen Fanatismus beweist.
Doch es ist müßig zu fragen, wer oder was Oz politisiert hat. In einem Staat, in dem der Frieden seit jeher fragil ist und den der Rechtfertigungszwang bisweilen aufreibt, wird das Private allzu oft politisch. Das veranschaulicht auf besonders eindringliche Weise die Erzählung „Beduinen und Kreuzottern“, die sich um arabisch-jüdische Konflikte dreht. Allerdings stehen nicht etwa bewaffnete Auseinandersetzungen im Zentrum, sondern Kommunikationsbarrieren verbaler und nonverbaler Art. Die Begegnung der Kibbuz-Bewohnerin Ge’ulah mit einem Beduinen zeigt die Zerrissenheit der jungen Frau und der israelischen Gesellschaft im Allgemeinen, das Schwanken zwischen Argwohn und Neugier, Versöhnung und Vergeltung.
In diversen Zeitungsinterviews erzählte Oz, seine frühe Entscheidung für ein Leben im Kibbuz sei ein Akt der Rebellion gegen seinen konservativen, intellektuellen Vater gewesen. Die drei Jahrzehnte des engen Zusammenlebens mit anderen Kibbuzniks beschreibt er hingegen als die ultimative „Universität des Lebens“. Tatsächlich kommen die wenigen Gelehrten, die er in seinen Geschichten auftauchen lässt, nicht eben gut weg. Die Geisteswissenschaftler Dr. Kleinberger und Josef Jarden wirken wie Relikte aus einer längst vergangenen Zeit im Zwischenkriegseuropa, wie sie da Schach spielen zwischen Regalen mit schweren Büchern, Miniaturen und Briefmarkenalben. In „Fremdes Feuer“ sind sie indes kaum mehr als Randgestalten. Nicht etwa der Familienpatriarch steht im Mittelpunkt der Geschichte um eine komplizierte Beziehungskonstellation, sondern die verwitwete Lilli Dannenberg, die viel von der deutschen Sprache hält und wenig von der hebräischen. Ihr fehle es an Nuancen, behauptet sie - und geht sogar noch weiter: „Hebräisch ist eine derart pathetische Sprache, alles ist Bibel und Kommentar.“
Wie um das Gegenteil zu beweisen, kehrt Oz in seinen Erzählungen den Nuancenreichtum des Hebräischen heraus, das als wiederbelebte antike Sprache eine beispiellose Geschichte hat. (Ein Reichtum, den Mirjam Presslers Übersetzung übrigens mehr als nur erahnen lässt.) Die letzte Geschichte seines Bandes ist dann auch tatsächlich im biblischen Israel angesiedelt. „Auf dieser bösen Erde“ ist eine sehr freie Interpretation der tragischen Geschichte Jiftachs aus dem Buch Richter. Wenn Oz den biblischen Duktus imitiert, ist das auch ein augenzwinkernder Verweis auf die „pathetische Sprache“. Gleichzeitig gelingt es dem Autor, aus der wenig zugänglichen biblischen Figur einen nahbaren Menschen aus Fleisch und Blut zu machen, den weniger die äußeren Umstände in die Knie zwingen als vielmehr seine eigenen inneren Kämpfe.
Letztlich dient seine Jiftach-Erzählung als eine Art Folie für seine literarischen Momentaufnahmen aus dem jungen Staat Israel - denn sein Protagonist tritt nicht in erster Linie als Heerführer oder Richter auf, sondern verkörpert das Topos des jüdischen Arbeiters und Farmers, auf das sich im 19. Jahrhundert die frühen Zionisten und Hebraisten beriefen. Bezeichnenderweise findet der russische Dichter Ossip Mandelstam, der Ende der 30er dem stalinistischen Terror zum Opfer fiel, für sein Jüdischsein die Metapher „Blut, schwergeworden vom Erbe der Schafzüchter, Patriarchen und Könige“.
Es bleibt die Frage, weshalb seine Figuren merkwürdig blass und austauschbar wirken, wo der junge Oz als Erzähler doch fast alles richtig macht. Ihre Namen bleiben kaum haften. Was stattdessen in Erinnerung bleibt, das sind die oft anrührenden Geschichten von Menschen, die Stärke demonstrieren und doch leise an ihren unerfüllten Sehnsüchten verzweifeln. Auch die weitläufigen, kargen Landschaften mit ihrer wilden Flora und Fauna brennen sich der Leserin ins Gedächtnis ein. Sie bilden den Schreibgrund von Oz‘ grundsolider, aber auch feinfühliger Prosa.
Die titelgebenden Schakale sind vielleicht sogar die eigentlichen Protagonisten der Erzählungen. Ihr Lachen rollt über die Hügel Bethlehems und klettert „wie ein Affe (…) am Regenrohr des Hauses hinauf“. Ein anderes Mal heult eins der Tiere „wie ein Orchesterleiter.“ Es kommt nicht von ungefähr, dass Oz die Tiere mit menschlichen Eigenschaften ausstattet, wie etwa die Schakaljungen, die das Erbe ihrer Väter weiterführen. „Jede Generation erfüllt Nacht für Nacht die dunklen Felder mit Klageliedern und Jubelgeheul, mit aggressiven Schreien der Preisung, der Verzweiflung und der Boshaftigkeit.“ Tiere sind in Oz‘ Erzählung nie bloße Requisiten, sie treten in Beziehung mit den Menschen, spiegeln ihre Stimmungen wider, lassen sie aufhorchen.
Das Geheul und Gelächter der Schakale liefert den akustischen Background für die kleinen Tragödien, die Oz mit der Lakonie verhandelt, die seinen Erzählton noch heute prägt. Oz ist nie unversöhnlich oder gar zynisch. Am Ende bekommt auch der hasserfüllte Idealist seine Beerdigungszeremonie samt einer Rezitation des Totengebets Kaddisch. Das Resümee:
„Die Beerdigung eines Mannes, der sein Leben der Verbesserung der Welt gewidmet hat, ist nicht anders als andere Beerdigungen, und wir haben nichts hinzuzufügen. Er war ein einsamer Mensch. Möge seine Seele in das ewige Leben eingebunden sein.“
Die sozialistische Idee von der materiellen und rechtlichen Gleichstellung hatte die Gründer der zionistischen Kollektivsiedlungen beseelt. Der beständigste Gleichmacher ist und bleibt aber der Tod.
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