Kommunikation in heimischer Mundart
Eine theologisch-politische Auseinandersetzung während des Konklaves im Mittelalter wollte Maurizio Piazza eigentlich schreiben. Womöglich sein Hauptwerk. Sein gesamtes Denken der vergangenen Jahre sollte in das Buch einfließen. Vordergründig ein historischer Roman, zugleich eine kritische Bestandsaufnahme des heutigen Italiens, elegant, klug, schonungslos. Soweit der Plan. Herausgekommen ist am Ende: ein Spionagethriller! Mit sechsmal Fellatio, drei einvernehmlichen Geschlechtsakten mit Minderjährigen und der Entdeckung des Körpers von Jesus Christus in den Katakomben des Vatikan, eingelegt in Formaldehyd. Kurzum, ein veritables Massenprodukt mit besten Voraussetzungen für eine baldige Verfilmung. Dan Brown lässt grüßen.
Dabei war Maurizio Piazza noch ganz euphorisch gewesen, als die Nachricht von der Übernahme der drei renommierten italienischen Literaturverlage Gozzi, Bardi und Malossi durch das von russischen, chinesischen und arabischen Investoren getragene Sigma-Konsortium verkündet wurde. Schließlich brauche ein Autor wie er, der über eine treue Leserschaft verfüge, die Feuilletondebatten präge und zahlreiche Preise eingeheimst habe, die Veränderung nicht zu fürchten. Im Gegenteil, ein wenig frischer Wind werde den verschlafenen Kollegen guttun; und wenn sich die Spreu vom Weizen trennt, werde letztlich die Qualität das entscheidende Kriterium sein.
Deutlich zurückhaltender bewertet Giorgio Volpe die neue Situation. Auch er ein erfolgreicher Autor und Piazza freundschaftlich verbunden. Sein Opus magnum „Am Rande des Abgrunds“ ist soeben fertiggestellt und wartet darauf, veröffentlicht zu werden. Der anstehende Prozess ist Routine; der Feinschliff am Text mit der vertrauten Lektorin beschränkt sich auf ein Minimum, so dass einer verkauften Auflage von irgendwo zwischen 200.000 und 700.000 Exemplaren keine größeren Hürden mehr im Weg stehen sollten.
Dass es diesmal anders kommt, merkt Volpe, als Aldo und Sergej vor seiner Tür stehen. Die beiden kommen von Sigma um das Manuskript einer gründlichen Revision zu unterziehen. Dass der Russe Sergej Italienisch allenfalls radebrecht, scheint nicht weiter zu stören; immerhin hat er gerade „Krieg und Frieden“ so überarbeitet, dass die irritierenden Passagen über den Krieg und das dazugehörige menschliche Elend nicht mehr auftauchen und das Augenmerk stattdessen auf „Frieden, Liebe, Optimismus und Brüderlichkeit“ liegt – ganz im Einklang mit den Richtlinien von Sigma. Als nächstes werde man sich „Anna Karenina“ vornehmen, doch habe man dazwischen Zeit, den neuen Roman von Volpe etwas aufzupeppen. Wie genau das vonstattengeht, sei an dieser Stelle nicht verraten, zumal darin ein Gutteil der Komik und Lesefreude von Manzinis Buch liegt. Nur so viel: Aus Volpes Onkel Ciro, vor den Nazis nach Frankreich geflohen und dort einer Herzattacke erlegen, wird Giuliano, ein blond-blauäugiger Hüne, der sich heldenhaft dem Bombenterror der Deutschen gegen Italien (!) entgegenstellt.
Aus anfänglicher Fassungslosigkeit wird Resignation. Spätestens als klar wird, dass es sich nicht um einen Scherz handelt – Volpe hatte kurzzeitig auf eine versteckte Kamera gehofft – und sich ein Kollege nach dem anderen den „literarischen“ Leitlinien von Sigma unterwirft. Aus der Abteilung für italienische Literatur wird der Bereich Kommunikation in heimischer Mundart; Lektoren werden durch Manager ersetzt; und die Inhalte der Bücher per Algorithmus an die Wünsche der Masse angepasst.
Manzinis kleines Buch, in Italien ein Beststeller, ist eine grandiose Farce, eine völlig überzogene Clownerie, die in ihrem Höhepunkt – hier gelingt Manzini das Kunststück, seine eigene Karikatur zu karikieren – sogar Züge eines Illuminaten-Verschwörungsthrillers aufweist. Entsprechend lädt das Bändchen dazu ein, sich zurückzulehnen und kurzweilig zu amüsieren. Doch so übertrieben die Schilderungen auch daherkommen, bleibt beim Leser am Ende ein Gefühl des Unbehagens haften. Der Grund dafür könnte ein Blick auf die Beststeller-Listen des gerade zu Ende gegangenen Jahres sein. Und der Verdacht, dass Phantasie und Realität womöglich nicht ganz so weit auseinander liegen, wie das Manzinis großartige, gerade einmal rund 70 Seiten umfassende Satire glauben macht. Die gute Nachricht ist: Solange es Verlage wie Wagenbach gibt, die Bücher wie Manzinis „Spitzentitel“ in ihr Programm aufnehmen, besteht Anlass zur Hoffnung, dass es für ernsthafte Literatur auch weiterhin eine Nische geben wird.
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