Komm rein, sagen die Gedichte
In der Reihe Zwiesprachen hielt Arne Rautenberg 2018 im Lyrik Kabinett eine Rede zu Richard Brautigan, betitelt Ich habe Emily Dickinson zwischen die Rippen meiner Heizung in San Francisco geklemmt. Was Rautenberg genau erörtern will, bleibt etwas unfokussiert. Das Wesentliche dieses Textes ist, die eigene Teilnahme/ Teilhabe am Brautiganschen Zugang zu Lyrik, vielleicht seiner (unausgesprochenen) Poetologie, auszudrücken (und jeweiligen nachfolgenden Generationen). Rautenberg tut dies charmant, knapp und nicht unkritisch. Denn Brautigan scheint ein Spezialfall zu sein. Oszillierend zwischen genial und einem uneingelösten Versprechen. Im Grunde genommen jemand, dessen plötzlicher Erfolg auf einem Gebiet, Lyrik, das kaum nach Erfolg in (Mammon-) Natur streben dürfte, seine Biografie und sein Schaffen vergiftet hat, bis Brautigan 1984 einen eigenen Kurt Cobain-Abgang aus dieser Situation wählte.
Rautenberg zitiert einige sehr kurze, verblüffende Gedichte Brautigans, erwähnt aber dessen Nicht-Gedicht-Schaffen im herkömmlichen Sinne, nämlich seine sogenannte Prosa, nur am Rande. Dabei könnte man eigentlich behaupten, dass Brautigans Prosa wesentlich lyrische Verfahren benutzt, und genau deswegen ungleich komplexer und vielleicht auch mehr noch als eigenständiger Beitrag zur Literaturgeschichte gesehen werden sollte, denn seine hier besprochenen Kürzestnotate in Gedichtform.
Ein warmer Nachmittag
Pine Creek, Montana
3. September.
„Kann das wahr sein? Ist das nicht Betrug am Gedicht, ich meine am „richtigen“ Gedicht? [...] Die meisten sind so kurz, dass man sie beim Blättern sofort zu lesen beginnt.“ So Rautenberg, und völlig richtig, ist Brautigan, der früh von Jack Spicer und anderen protegiert wurde, dem japanischen Haiku damit sehr nah. Mehr noch, spät in seiner Karriere verbrachte der Autor einige Zeit in diesem Land, um dort zu schreiben, das eigene, vielleicht abgegraste noch einmal völlig neu zu provozieren.
Haiku-Ambulanz
Ein Stück grüne Paprikaschote
fiel
aus der hölzernen Salatschüssel
na und?
Und auch dieses:
Stilleben 3
Eine Bibel
und ein
Salzkorn.
Das womöglich radikalste scheinen nach Rautenberg Brautigans Gedichte nur mit Titel zu sein. Also weiße, leere Seiten. Und hier scheint sich das allgemeine Urteil der öffentlichen Wahrnehmung anzuklammern:
„Brautigan ist albern [...] er hat etwas Patchen gelesen, er hat etwas Creeley gelesen. Er schreibt für Kinder, die makrobiotisch essen, ohne zu wissen, wo’s das gibt. Ich würde sagen, man verhungert an diesen unbesonnenen Gedichten.“
Unweigerlich passender scheint das Urteil des ewigen Ferlinghetti:
„Als Herausgeber hatte ich immer darauf gewartet, dass Richard als Schriftsteller erwachsen wird. Mir schien, er sei eigentlich naiv, allerdings denke ich nicht, dass er dieses Kindische kultiviert hat, ich denke, es war bei ihm einfach so da. Er lag eben mehr mit amerikanischen Forellen auf einer Wellenlänge als mit Menschen.“
Rautenberg lässt die Privatmonsterwandlung Brautigans nach dem durchschlagenden Erfolg Mitte der 60er nicht unerwähnt. Er, der früh durch Schreiben einer harten, familienlosen Armut entkam, wandte sich einem hyperpromisken, sexistischen, durchinszenierten Leben mit Covergirls und Mark-Twain-Bart zu, „der an keinem Schaufenster vorbeigehen konnte, ohne sich zu überprüfen“ und schließlich dem Alkohol verfallen, ohne Freunde 5 Wochen tot auf seinem Küchenboden lag, bis aufgefunden. Einen späten verunglückten Auftritt auf dem Amsterdamer Poesiefestival 1984, nach Frauen lallend, ohne eine Zeile gelesen zu haben, beschreibt Rautenberg als den wohl letzten öffentlichen Verweis seines Lebens, dem früh sein ehemaliger Mitstreiter Michael McClure ein „unerträgliches Machotum“ attestierte.
So bleibt die Diskrepanz zwischen dem Fluchtraum Werk / Gedicht und dem Urheber / Menschen bestehen. Allerdings sieht auch Rautenberg jenes Machotum in einigen Werken Brautigans bestätigt, sodass zumindest inkonstant dieses Schaffen Brautigans genannt sein darf. In den freieren Gedichten jedoch, die Rautenberg in dieser angenehm entspannten Auseinandersetzung preist, stecke vor allem ein Willkommenspotential, eine „niedrige Schwelle ins Haus“, vergleichbar mit „der ersten Begegnung Hesse“, die speziell junge Leute in einen Bann fürs Leben zieht. Was sich daraus jeweils ergäbe, sei natürlich offen, doch die erste Begeisterung für Gedichte und ihre Utopie vermag Richard Brautigan noch immer auszulösen.
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