Dichter an Goethe
Vor genau zweihundert Jahren erschien Goethes „West-östlicher Divan“. Ein Geburtstag, der viel gefeiert wurde in diesem Jahr, der wieder einmal Anlass war für Debatten über west-östliche Ressentiments und deren Überwindung, über die vereinende Kraft interkulturellen Austauschs und nicht zuletzt viele Gelegenheiten für die Kulturszene bot, sich angesichts dieses vor sich her getragenen Kosmopolitismus selbst zu feiern. Was dabei gerne ignoriert wird: Goethes wegweisendes Buch wurde vor zweihundert Jahren kaum gelesen – und bis heute hat sich daran kaum etwas geändert. Noch weniger gelesen wird freilich der persische Klassiker Hafez, der Goethe zur Inspiration diente. Von anderen – klassischen oder aktuellen – 'orientalischen' DichterInnen ganz zu schweigen.
In seinem Werk „1001 Buch. Die Literaturen des Orients“ schreibt Stefan Weidner:
„Dank Goethe ist der Name Hafis jedem Gebildeten vertraut. Aber man liest ihn nicht. Statt ihn und andere orientalische Dichter tatsächlich zu lesen (oder gar zu studieren!) hat eine Pseudo-Rezeption eingesetzt, die Goethes Bemühungen um den Orient als Feigenblatt vor das Desinteresse legt.“ Goethe sei „mit seinem Divan zum Schutzherren für einen west-östlichen Versöhnungsaktionismus mutiert, mit dem die Arroganz des Nicht-Lesens nicht minder als die politische Arroganz kompensiert werden soll“.
Das ist eine so korrekte wie für die oben bezeichnete Kulturszene beschämende Feststellung. Dabei sind es immerhin Teile der hiesigen Lyrikszene, die sich dem Feigenblatttrend zu widersetzen versuchen, was sich auch in der in den letzten Jahren zunehmenden Anzahl an Übersetzungen aus dem Persischen, Arabischen und Türkischen niederschlägt, die freilich meist in geringen Auflagen erscheinen, während man verdienstvolle Reihen wie die „Neue Orientalische Bibliothek“ (C. H. Beck) in den Publikumsverlagen mit der Lupe suchen muss.
Das Divan-Jubiläum nahmen die Herausgeber Barbara Schwepcke und Bill Swainson zum Anlass, einen „Neuen Divan“ zu edieren, der dieser Tage bei Suhrkamp erscheint. DichterInnen aus zahlreichen west-östlichen Ländern haben sie gebeten, Verse im Geiste Goethes zu verfassen, und herausgekommen ist ein Panorama der Vielfalt und Vielstimmigkeit der modernen Weltlyrik, auch im Sinne der Vielsprachigkeit: Neben deutschsprachigen Originalbeiträgen etwa von Jan Wagner oder Durs Grünbein finden sich Gedichte von Adonis, Abbas Beydoun, Hafez Moussavi, Gonca Özmen, Fatemeh Shams und einigen weiteren, die anhand von Interlinearübersetzungen oder auch in direkter Übertragung von AutorInnen wie Ron Winkler, Max Czollek, Ann Cotten, Monika Rinck, Nico Bleutge und weiteren auf Deutsch nachgedichtet wurden.
Während sich manche Übersetzung eng am Original orientiert, ist manche bloß eine lose auf dem Original als Inspirationsquelle basierende eigene Dichtung (so etwa bei Khaled Mattawa und Ann Cotten) – was bisweilen für jene Leser Schwierigkeiten mit sich bringt, die des Arabischen oder Persischen nicht mächtig sind, und denen das unter Umständen nicht einmal auffällt, was man durchaus als problematisch betrachten kann.
Einen Exkurs darüber, was Übersetzung leisten kann und leisten soll, und weshalb das goethesche Verständnis inzwischen eher überholt ist und wie man möglicherweise die 'orientalische' Literatur von dem fehlgeleiteten Exotismus befreien kann, der ihr hierzulande oft anhaftet, liefert Stefan Weidner in einem Essay – in weiteren Essays, die die Gedichte begleiten, untersucht u.a. Hendrik Birus, wie der „West-östliche Divan“ rezipiert wurde und inwiefern er inhaltlich und / oder formal von den Dichtern der letzten zwei Jahrhunderte verarbeitet wurde.
Als Goethe den Begriff „Weltliteratur“ prägte, verstand er darunter in erster Linie den Austausch unter DichterInnen über Ländergrenzen hinweg. Diese literarische Überwindung des ihm verhassten Nationalen sah er als unumgänglich an, wenn die Literatur sich weiterentwickeln will, wohl aber war er sich bewusst, dass es dauern würde, bis solche Wandlungen im Massengeschmack der Leser ankämen – wo er richtig lag, denn immerhin ist das bis heute nicht wirklich geschehen. Der lyrische Austausch, den dieser „Neue Divan“ bietet, dürfte hingegen ganz in Goethes Sinne sein.
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