WINGS FOR RENT
Er wird es nicht müde: erneut ist ein Gedichtband von Christoph Meckel erschienen. Im Hanser Verlag kommt Kein Anfang und kein Ende. Untertitelt mit Zwei Poeme macht Meckel dort weiter, wo er "aufgehört hat". Im Strom großer, langer, epischer eben Poeme. Der 82-jährige Lyriker und, stets gleichberechtigt zu diesem Werk stehend, auch Illustrator, Grafiker, Radierer (und nicht zuletzt Prosaautor) Meckel schreibt völlig eigen, so wie es keiner seit vielen, vielen Jahren tut, außer vielleicht im Umfang noch Paulus Böhmer (nur ein Jahr jünger). Die Welt von Christoph Meckel ist wie aus einer anderen Zeit. Sprachgewaltig, und doch mit einem spezifischen Vokabular/ gebeugter Grammatik, das heute eher selten ist, dennoch nicht angestaubt, sondern kraftvoll und erstaunlicherweise mit vielen Neo-Logismen und Anglizismen durchsetzt. Elektrozeitaltersprache fehlt und auch von der Thematik ist Meckels Kosmos eher ein in sich abgeschlossenes System aus Figuren und Schauplätzen, oder wie Neil Young einmal antwortete auf den entnervten Zwischenruf: "They all sound the same" – "They're all one song!". Meckels Song ist ebenfalls ein langer, langsamer, offener Trip. Er schreibt, wie er radiert und zeichnet. Schattenreich, detailversessen und wurzelig. Bei Kein Anfang und kein Ende ist kaum zu sagen, wo man sich befindet, außer unterwegs. Und in welcher Zeit. Es könnte sich sowohl um eine mittelalterliche Wandergeschichte handeln, als auch ein Hippietrip mit Wagen und schräger Besatzung zwischen Motels und Bordellen in den 70ern, oder gar ein Vagabundieren durch Landvarietés zur Zwischenkriegszeit. Es schwankt und ist alles, psychedelisch bis abgedreht, rabengekräht, himmelhöllig und von derber Eigenwilligkeit. Dabei ist das erste Poem noch konkreter, irgendwie erkennbarer als ein Irren mit Ziel. Eine Wagenfuhre mit Leuten ("ein Blinder im Wagen, / von Pferd oder Esel gezogen, soll mit einer Dame/ und einem Leitbursch auf Nebenstraßen im Süden/ unterwegs gewesen sein.") ist narrativ und gebrochen "auf der Suche nach einem Ort, den die Hölle ausließ" in Dunkelstrecke. Sie begegnen ewigen Meckelfiguren wie Jul Miller, Ahasvers Schatten und durchqueren als tramps Königreiche, verblasste Autobahnen, 30 Jähriger Krieg-Stimmungen, Gehölze und treffen knotige Menschen, Tiere und den Rausch, immer wieder unterbrochen von Kapitälchen-Versen des Todes selbst, der sie begleitet, ihr Ziel zu sein scheint und wie ein Mahner um seiner selbst willen sich auf- und hineindrängt.
"Er hält das Gesicht in die Luft, als wenn von oben
Vogel im Schwarm auf seine Augen stürzt.
Tickelt er mit der Stockspitze auf die Steine,
und was tief unten vor ihm auf der Piste herumliegt,
tot, halbtot, lebendig, geprügelter Hund,
Reste von Rädern und Krügen, zertrampelte Kröte,
Abfall der Bordelle, verpisste Knochen,
damit der Alte drüberrutscht und hinschlägt.[...]
Was siehst du! Nacht für ihn, wo Licht ist,
Nebel, wo ein Wind
die Horizonte freifegt. Pfützen, Blut und Ausfluss.
Der Hahn rennt ohne Kopf, das Packpferd liegt erschossen.
Der Wegrand sammelt Abfall. Fähre fault im Schilf.
Der Kormoran hängt tot im Frost, hoch an der Ulme.
Der Fuchs mit abgebissner Pfote humpelt
übers Eis der Großen Seen.[...]
SOLANG ER ATMET, SPIELT ER MIT DEM TOD.
ER MACHT MIT IHM, WAS ER WILL.
IM STERBEN JAGT ER IHN
ÜBER DEN FLUSS, IN DIE WÄLDER
VOM TAG IN DIE NACHT, AUS DER NACHT
IN DAS LICHT DES VORLETZTEN TAGS.
NACH DEM LETZTEN AUGENBLICK
WEISS KEIN TOD MEHR, WER ER WAR.[...]
Seither sind wir in einem Motel im Tiefland.
Flachbau, billig, am Autobahnring einer Schlafstadt,
die zu Diebstählen einlädt. Aber seit einiger Zeit
verkneif ich mir die Anwandlung solcher Art. Man soll glauben,
dass ich bin, wie ich mit dem Alten erscheine:
harmloser Unterhalter, mit Kleingeld zufrieden, ohne
Vergangenheit und Zukunft, mit Passport und allem [...]"
Meckels zweites Poem in dem Band heißt Meer! Meer! und ist fast dasselbe in Grün. Aber nur fast. Sie arbeiten insofern zusammen, als dass auch in diesem Gedicht eine Stimmung des Unterwegs-sein, Suchen und Vom-Tod-verfolgt-werden beschworen wird. Doch geht es hier um Gipfel, das Meer und Götter. Gewissermaßen eschatologisch und somit noch viel stärker zwischen Leben und Tod ausgetragen, wird eine Fahrt oder der Versuch einer Fahrt/ des Fliegens fort aus dieser Erdenwelt von Meckel evoziert – "Einer, der ist in ein Leben gesperrt".
"Der Tramp und das Kind kamen singend
die Straße herauf – woher – wer weiß
vom Meer, vom Steinbruch,
aus dem die Grundsteine kommen,
aus dem Fundamentschacht des Berglands, wo die Wurzeln
der Bäume zusammenwachsen. Der Geldhut war leer,
die Kleidung verbraucht, und die Stimmen, schön
wie Glockengeschepper im Wind –
Ahasvers Stiefkinder sangen:[...]
WENN SIE IN DIE STÄDTE KAMEN
STAND ALS ERSTES IMMER DERSELBE DA[...]
ER HOLT VON WEIT DRAUSSEN, VOM HORIZONT
HERAUF
EIN LEERES SCHIFF IN DIE BRANDUNG,
LEGT DIE TOTE; LEICHTE DARAUF NIEDER,
BESCHWERT SIE MIT TOTEN REIHERN, SEILROLLEN,
FÄSSERN,
VERKNOTET IHR HAAR UM DEN HALS UND STÖSST
DAS SCHIFF HINUNTER ZUM ENDE DER WELT[...]"
Christoph Meckels neues Panoptikum ist wie eine (weitere) Quintessenz seines umfangreichen dichterischen Werks. Es ist alles da, macht Appetit auf mehr, zeigt noch einmal seine ganze eigene Kosmogonie. Kein Anfang und kein Ende ist ein programmatischer, seherischer Titel. Meckel zieht alle Register, und obwohl es keine Grafiken zu dem Band gibt, laufen sie alle nebenher im LeserInnenkopf, so genau ist seine Sprache, und so holzrauh sind seine Schilderungen von Details des Großen Ganzen auf Etappenplaketten eines murmelnden Wanderstabs. Ein Einzelgänger von langer Karriere, mit Themen von langer Dauer, ergänzt sein Werk um zwei Poeme von schmuck-düstrem Wurf. Stark.
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