Eingeschränkte Seelen-Studien
„Die Sünde der Frau“ ist eine Sammlung von vier essayistischen Texten, die jeweils Lebensweg und Persönlichkeitsbild einer bekannten Frau des 20. Jahrhunderts aufgreifen und sie, mit besonderem Augenmerk auf ihre psychischen Verfassungen, ihre Antriebe und selbstzerstörerischen Tendenzen, skizzieren. Namentlich sind das: Norma Jean (alias Marilyn Monroe), Marguerite Donnadieu (alias Marguerite Duras), Jane Bowles und Mary Patricia Plangman (alias Patricia Highsmith).
Connie Palmen gibt schon in den ersten Sätzen des Buches zu:
Natürlich bin ich einem vorgefassten Gedanken gefolgt, als ich die Biographien [der Porträtierten] las. […] Ich versuche in der Beschreibung ihrer Leben eine Erklärung für ihr selbstzerstörerisches Verhalten zu finden. Hat es damit zu tun, dass ihr originärer Charakter, ihr origineller Kopf, ihr Talent sie für ein traditionelles Frauenleben ungeeignet machen und sie unter der Außenseiterrolle leiden?
Diese Essays sind also in zweierlei Hinsicht Kondensate: von den gelesenen Biographien und von den psychische Profilen der betreffenden Personen. Somit wäre man sicherlich nicht gut beraten, zu diesem Büchlein zu greifen, wenn man Genaueres über die Werke der drei Schriftstellerinnen oder die Auftritte Marilyn Monroes erfahren will. Auch als biographische Zusammenfassungen taugen die Texte nur bedingt und zumindest zwei (Highsmith und Bowles) können derlei nicht wirklich leisten, sind nur ein Abriss und wirken, als hätte Palmen versucht, ihre Eindrücke von den Gewichtungen innerhalb der Biographien wiederzugeben und nicht die Biographien selbst.
Auch in anderer Hinsicht haben die Texte Schwächen: sie wiederholen sich oft, was sicherlich meist der Verdeutlichung dient (und dann und wann funktioniert das auch), aber oft repetitiv und retardierend wirkt. Man spürt in diesen Wiederholungen, dass Palmen das Schicksal dieser Frauen greifbar machen und einen klaren Umriss ihres Dilemmas zeichnen will – allein, meistens wirken die Beschreibungen durch die Wiederholungen eher wie Beschwörungen und nicht wie kluge Analysen (was sie größtenteils sind).
Die „Sünde“ der Frauen in diesem Buch, so Palmen, ist der Versuch, aus den schematischen, geschlechtsspezifischen Vorstellungen ihrer Umwelt auszubrechen – ja, einerseits, würde ich einschränkend hinzufügen. Viel stärker aber sehe ich in ihnen sehr sensible und intelligente Menschen, die (ganz gleich welchen Geschlechts) schon immer anfällig waren für Verzweiflung im Angesicht des (rohen) Daseins; die an der Oberflächlichkeit des Umgangs scheitern, an der Grausamkeit der Liebe und der Irrationalität der Gesellschaft.
Damit will ich natürlich nicht leugnen, dass ihr Geschlecht (und wie ihnen die Zugehörigkeit zu diesem Geschlecht gespiegelt wurde) oder vielmehr der daraus resultierende, gesellschaftliche Druck, eine zusätzliche Belastung für sie darstellte. Das steht außer Frage und zum Teil war dieser Druck sicherlich die Ursache für ihre selbstzerstörerischen Tendenzen und ihr gestörtes Selbstbild, für die Flucht in ihre Pseudonyme und Kunstfiguren.
Die Erforschung dieser Störungen beleuchtet interessante Aspekte, liefert aner kein Gesamtbild. Letztlich, finde ich, hat Palmen hier Psychogramme, Fallstudien vorgelegt, die in dieser Hinsicht aufschlussreich und spannend sind, aber auch einer bestimmten Dimension verpflichtet und nicht über sie hinausweisend. Das ist kein Fehler der Texte, kein Mangel. Aber sie umkreisen eben hauptsächlich diesen spezifischen Gesichtspunkt.
Trotz all dieser Einschränkungen habe ich die Texte gerne gelesen. Sie legen eine Leidenschaft an Tag, die mitreißt und gleichzeitig formuliert Palmen ihre Anschauungen sehr prägnant. Und auch wenn sie das Leiden der geschilderten Personen etwas stilisiert, merkt man doch, dass sie dies nicht aus unbedachter Ignoranz oder Verklärung tut, sondern aus dem Wunsch heraus, die Getriebenheit des Subjektes möge sichtbar werden. Die Getriebenheit des Wesens, das innerhalb der Welt, wie sie gebaut ist und normiert wurde, nicht zur Ruhe kommen, nicht wirklich existieren kann.
Viele Denkanstöße liefert das Buch nicht, aber es besticht durch große Anschaulichkeit, Nachvollziehbarkeit. Das ist heutzutage eine allzu schnell unterschätzte Tugend. Connie Palmen zerrt die Zerrissenheit der berüchtigten, für ihre Talente gerühmten Frauen ans Tageslicht. Und zeigt: wir verehren gerne die Ausreißer, die Außergewöhnlichen, aber eigentlich huldigen wir dabei noch vielmehr dem System. Und vergessen wie sehr gerade diese Ausreißer unter den Systemen leiden mussten.
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