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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Sehnsucht als Prinzip

Hamburg

Am Anfang der Novelle Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen der schweizerisch – rumänischen Autorin Dana Grigorcea befinden wir uns in einem wunderschönen Frühlingstag in einem Café an der Seepromenade von Zürich. Auf dem Wasser gleiten Segelboote dahin, ein Schwan schwimmt vorbei. In dieser Atmosphäre begegnet die nicht mehr ganz junge, aber sich immer noch der Wirkung ihrer grazilen Erscheinung bewusste Ballerina Anna dem kurdischen Landschaftsgärtner Gürkan. Nur zeitweise in Zürich, wo er als Projektleiter für die Bepflanzung des Seeufers zuständig ist, lebt er normalerweise mit Frau und drei Kindern im Kanton Aargau. Doch bald nachdem er Annas Hündchen mit Keksen angelockt hat, standen sie gleichzeitig auf, in perfekter Synchronizität. So beginnt die Liebesgeschichte dieser beiden ungleichen Personen, die schon im Titel ausdrücklich Bezug auf Anton Tschechows Erzählung Die Dame mit dem Hündchen nimmt.

Die in Liebesdingen erfahrene und eitle Anna verführt Gürkan, der ein schlechtes Gewissen hat. Als Gürkans Arbeit in Zürich beendet ist, fährt er zu seiner Familie zurück. Es sei gut, dass er gehe, sagt Anna ihm zum Abschied und dann

wurde Anna von einem trauten Gefühl erfasst, das sie sonst nur nach langen Tourneen kannte, sie war erleichtert und wehmütig zugleich. Eine Geschichte ging zu Ende, und sie war wieder einmal perfekt aufgetreten, sensibel und grazil, hatte ihren eigenen Part routiniert gespielt, mit eher geringer Achtung für den Partner.

Die Bühne endet für Anna nicht im Theater, sondern ihr Pas de deux erstreckt sich auf das Leben. Den Sommer über tänzelt sie durch Zürich, badet im See, besucht immer dasselbe Café und redet sich ein, glücklich zu sein. Beim Baden achtet sie auf das Kräuseln des Wassers, auf Schwanenfedern,

auf so viele Details, die es festzuhalten gilt, wenn man meint, glücklich zu sein.

Anna ist mit einem Arzt verheiratet. Sie leben auf großem Fuß, geben Feste, auf denen viel getrunken und geredet wird. Der Ehemann ignoriert Annas zahlreiche Liebhaber oder er weiß nicht um sie, jedenfalls denken ihre Bekannten, sie führten eine glückliche Ehe. Doch bei ihrer Erzählung von dem vergeblichen Versuch eine in ihren Kokon eingesponnene Biene zu befreien, spricht Anna auch von sich selbst.

Dana Grigorcea zeigt Annas Befindlichkeit in dichten Bildern. Nicht nur, dass sie an Atemnot und Schlaflosigkeit leidet, Stille nicht aushält, auch als sie in Venedig ist, sehen wir, dass Anna zwar in den schönsten Restaurants exquisite Gerichte und Speisen zu sich nimmt, aber ihre Unruhe und das Gefühl der Leere nicht unterdrücken kann:

Sie schaute öfter auf ihre Hände, fühlte sich bei deren Anblick allerdings allein.

Sie wird den Gesprächen ihrer Freunde überdrüssig, empfindet die mechanische Vortäuschung von Leben und Frische als Zeitverschwendung und plötzlich erinnert sie sich

an die Gespräche mit Gürkan und entdeckte jetzt in deren Schlichtheit eine Wahrhaftigkeit, die alle Dinge im Leben an ihren angedachten Platz bringt, in der Ruhe, die Annas Leben abhandengekommen war.

Als sie zu Gürkan in seinem Wohnort fährt und die beiden ihre Liebesbeziehung von neuem aufnehmen, reden sie über Nichtigkeiten, halten sich fest an der Hand.

Und beide dachten, noch nie zuvor so nah am Leben gewesen zu sein.

Durch die Liebe zu Gürkan lässt Dana Grigorcea Anna die Welt mit anderen Augen sehen. die Vögel, in der Sonne glitzernde Insekten, alles ist schön und in allem sah sie Zuwendung und Güte.

Liebe macht alles leicht. Nach langer Zeit bekommt Anna wieder einmal eine Hauptrolle. Aber auch außerhalb der Bühne lässt die Autorin sie Pirouetten tanzen. Anna kann ihr Glück nicht annehmen, weil sie ihm einerseits nicht traut und sie andererseits mehr die Ahnung von Glück liebt.

Als Gürkan sie fragt, ob sie mit ihm leben möchte, antwortet sie ihm nicht. Die Novelle endet mit einem weiteren starken Bild.

Anna war klar, dass sie etwas sagen musste, etwas Tröstendes, und eine große Sehnsucht stieg in ihr auf und schnürte ihr die Kehle zu. Und sie sehnte sich nach jener Zeit in Monaco, als sie noch ganz jung war und heimlich im Ballettsaal geübt hatte, entzückt von ihrem lächelnden Gesicht im Spiegel. Nach der Verbeugung sagte sie stets: „Und jetzt nochmals!“

Die Novelle der 2015 in Klagenfurt für einen Auszug aus dem Roman Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit mit dem 3sat-Preis ausgezeichneten Autorin besitzt Leichtigkeit und Tiefe zugleich und ist somit eine gelungene Hommage an Tschechow. 

Dana Grigorcea
Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen
Dörlemann Verlag
2018 · 128 Seiten
ISBN:
978-03820-055-0

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