Ganz eindeutig
Claus-Steffen Mahnkopf hat jüngst in seinem Buch Die Philosophie des Orgasmus den Wunsch ausgesprochen, es mögen doch mehr Frauen über Sex schreiben. Ungenügend sei das Angebot literarischer Schilderung des Höhepunkts ohnehin, an weiblicher Perspektive mangele es allerdings besonders. Doris Anselm hat nun mit ihrem zweiten Buch Hautfreundin. Eine sexuelle Biografie einen Versuch in diese Richtung unternommen. Ihre Protagonistin schildert ihre Lust bis aufs äußerste und hat Spaß dabei. Und dass es sich um eine dezidiert weibliche Perspektive handelt, ist dabei wesentlich. Anselms Anspruch, an #MeToo mitzuschreiben, indem sie vorbeischreibt, ist sehr bewusst gewählt: Der Debatte um sexuelle Gewalt gegen Frauen fügt sie ihre durchweg positive Erfahrung hinzu, ein selbstbewusstes weibliches Sexleben, das gleichermaßen für die Erzählerin wie für ihre wechselnden Sexpartner als erfüllend und respektvoll wahrgenommen wird.
Wir begleiten die Protagonistin ohne Namen von ihrem ersten Mal kapitelweise über diverse, meist spontane Sexabenteuer mit mehr oder weniger fremden Männern bis zu einem Zukunftsszenario im Science Fiction-Stil. Dabei stehen die sehr expliziten Schilderungen der Begegnungen im Vordergrund. Wir erfahren nichts darüber, wie und ob sie längere Liebesbeziehungen führt und was für sie Liebe mit Sex zu tun hat oder eben nicht.
Die „sexuelle Biografie“ dieser Frau hangelt sich an punktuellen Ereignissen entlang, ohne reflektierende, überleitende Passagen und ohne nachvollziehbar zu machen, inwiefern sich tatsächlich eine Entwicklung im sexuellen Erleben und Selbstverständnis ergibt. Sie probiert verschiedene Praktiken aus, Sex im Auto auf dem Lidl-Parkplatz, Fesselspiele, Rollenspiele und Tantra, ohne jedoch einen größeren Zusammenhang herzustellen. Ihre Sprache dafür ist simpel und kommt nicht über ein in diesem Kontext gängiges Vokabular und abgegriffene Metaphern hinaus. So wirkt dieser Versuch eines sexuellen Werdegangs eher wie ein selbstbewusster weiblicher Porno, der zwar sich selbst und nicht dem männlichen Voyeur gefällt, aber über wenig literarisches Feingefühl verfügt.
Dabei fängt es im ersten Kapitel gar nicht mal so schlecht an: Die erste Sexszene in diesem Buch verhandelt sehr konkret die Schwierigkeit für „dieses eine Körperteil“ ein Wort zu finden.
„Er sagte das Wort.
Das eigentliche, ursprüngliche Wort. Das Wort, das nicht in Ordnung war. Er sprach es zwischen meine Beine, in meinen Körper hinein, immer wieder. Er sprach das Wort mit dem Wort an, voller Genuss, als ob er es gar nicht oft genug und klar genug sagen konnte.“
Im Ersten Kapitel in einem Buch über weibliche Lust auf dieses „Wort“ derart einzugehen, evoziert eine ganze Menge: einen biblischen Kontext, der das erste Wort mit dem Ursprung der Welt gleichsetzt, und damit ein Bild von Gustave Courbet sowie eine Graphic Novel von Liv Strömquist. Darüber hinaus ist die Betonung der Schwierigkeit, über (weiblichen) Sex zu sprechen an dieser Stelle durchaus angebracht. Nur nutzt die Autorin das Potenzial dieses Anfangs im Folgenden nicht mehr und greift auf bewährte Bilder zurück – zugunsten einer selbstbewussten spielerisch leichten Stimme, der es überhaupt nicht schwer zu fallen scheint, ihren sexuellen Körper sprachlich zu verhandeln.
„Nach einer Weile zieht er mich zu sich hoch und küsst mich ohne jede Befangenheit. Wir kriechen ins Bett. Er beugt sich zwischen meine Beine, um sich zu revanchieren, aber ich bin schon zu weit.
‚Bitte. Bitte fick mich einfach.‘
Ich hätte gern noch ein bisschen darum gebettelt. Aber Herr Neumann ist eben kein Spieler, das habe ich inzwischen verstanden. Er positioniert sich mit gespreizten Knien zwischen meinen Schenkeln, hebt meine Beine und gleitet, ruhig mit den Hüften kreisend, in mich und wieder hinaus. Seine aufrechte Haltung ist anmutig wie eine Yogafigur. Ebbe und Flut müsste sie heißen. Sollte ich diese Haltung jemals in anderem Zusammenhang sehen, egal wo, wird sie mich erregen.“
Claus-Steffen Mahnkopfs Überlegungen zum Orgasmus sind streitbar und ein eigenes Kapitel, denn unbefriedigend, wie er betont, ist die literarische Auseinandersetzung zu diesem Thema gewiss nicht. Der Roman der Open-Mike-Gewinnerin 2014 Doris Anselm hingegen böte ihm sicherlich Potenzial für ein weiteres Negativbeispiel, da sie Sprache nicht im vollen Umfang – eigensinnig, neu und vor allem genau und differenziert – nutzt und eigentlich auf nichts anderes abzielt als: Dass es das gibt, ein ganz eindeutig positives und selbstbestimmtes Erleben weiblicher Lust. Für einen Markt, auf dem Fifty Shades of Grey millionenfach verkauft wird, ist dieses Buch ohne Umschweife wichtig. Für einen nicht mal hohen literarischen Anspruch reicht es kaum.
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