„und ich gelange wieder und wieder/ zurück in die Schrift/ Heimat/ derer ich noch sicher bin.“
„Rastlos geht das Verderben
über die Erde hin.
Die immer wieder sterben,
sie suchen einen Sinn“
Einige Sätze für diese Rezension waren schon geschrieben, als ich einen von ihnen wieder abändern musste. Ein einzelnes e, an ein Verb angefügt, und schon nimmt sich der bereits geschriebene Satz ganz anders aus: „Wie schön, dass ein solcher Dichter unter uns weilt-e.“
Mit Günter Kunert starb am 21. September 2019 einer der produktivsten und vielseitigsten Autoren der deutschen Nachkriegszeit, einer, der nie müde wurde zu mahnen und zu wettern, zu hinterfragen und die Dinge kritisch zu sehen – der daran festhielt, dass die große Diagnose fast immer und in allen Zeiten leider (noch) lauten muss/te: kritisch.
„Die großen Poeme,
wir haben sie einst geschrieben
für imaginäre Hauswände
und Werbetafeln vergessener Revolutionen.
Das neue Leben musste anders werden,
aber das alte ging unbeirrt weiter.
[…]Wann wir schreiten
Seit an Seit, stand auf dem Stundenplan
der Einsamen. Die großen Poeme
ersetzten die Zukunft
aus der Aktentasche Pandoras.“
Mit „Zu Gast im Labyrinth“ ist nun sein letzter Gedichtband erschienen, wobei davon auszugehen ist, dass noch Gedichte aus dem Nachlass folgen werden. Herausgegeben hat den Band Wolfram Benda (er war bereits beim Vorgängerband „Aus meinem Schattenreich“ Herausgeber), der auch das Nachwort verfasst hat.
Dieses Nachwort ist, obgleich recht kurz, vor allem eine ziemliche Zitatorgie – aber Benda weißt auch auf ein Motivpaar hin, das in diesem Gedichtband tatsächlich eine interessante Rolle spielt: Bestand und Wandel. Beides thematisiert Kunert unaufhörlich, allerdings vor allem ex negativo. Denn Bestand gibt es nicht, weil trotz allen Strebens aus selbigem nur das Sterben wird, und Wandel gibt es nicht, weil die Menschheit sich nicht ändert und der Einzelne fast ohnmächtig vor ihrem unaufhaltsamen Wirken steht.
„Wir altern umsonst, denn
morgen wird nichts besser. Die Göttin
der Morgenröte war Taufpatin
eines Panzerkreuzers von dem aus
Millionen Menschen erschossen wurden.“
Obwohl der Begriff Bilanz immer ein bisschen zu fiskalisch klingt, trifft dieses Wort sehr gut den Charakter vieler Gedichte. Auf der einen Seite ist da die gesellschaftliche, die allgemeine Bilanz (vormals in diesem Text schon als „große Diagnose“ bezeichnet), die fast immer eine pessimistische, manchmal resignative, manchmal zynische Tonart hat, und auf der anderen Seite die persönliche Bilanz, die sich auffächert in Standpunkte, Erinnerungen, Hoffnungen, die irgendwo zwischen den weitläufigen Gebieten der Verwerfungen und Dummheiten der Historie stattfinden, aber irgendwie auch inmitten dieser Gebiete, den fortschrittlichen Niedergang hautnah erlebend.
„Denn davon lebt der Mensch, indem er glaubet,
ihm sei zu helfen irgendwie und irgendwann
aus der Misere, die ihm alles raubet,
was ihn zu einem Bessern machen kann.So geht er hin wie seine Ahnen,
allzeit gewiss, einst würde er belohnt.
Marschierend unter vielen bunten Fahnen
ins Nichts und immer wie gewohnt.“
Für Kunert, so stellt es sich in den Gedichten des Bandes dar, leben wir, trotz aller Zuversicht, in einer Endzeit, in einer weitere Epoche von Gräueln und Gift, Lüge und Heuchelei, und das Projekt Mensch, von keinem begonnen, ohne Aussicht auf Vollendung, erscheint hoffnungslos. Die dichtende Person ist, wie alle andern, gefangen in der Wiederholung, den ewiggleichen Hoffnungen und ewiggleichen Fehlern, den aufeinanderfolgenden Tagen, den Nächten der Entwarnungen und Ängste.
Es ist eine epische und zugleich eine beinah ruhige Absage, die Kunert in seinen Gedichten entfaltet. Sie ist kein immer wieder geprobtes und vorgetragenes Lamento, mehr eine Kreuzung aus Elegie und Anklage, aus feiner Wut gewachsen, gemischt mit Trauer und starker Reflexion.
„Der alltägliche Weltuntergang
macht müde. Seine Propheten
leben vom verächtlichen Mitleid
jener, denen die bitteren Worte
die Suppe würzen.“
All das ist Teil einer Qualität, die Kunerts Dichtung in besonderem Maße auszeichnet: Weltgehalt. So sehr man in diesem Band auch den Rückzug in die eigenen Erinnerungen und das eigene Alter spürt, so klar tritt doch auch immer wieder der Anspruch zutage, die Phänomene und Ereignisse, die die Welt in Atem halten oder fast unbemerkt bedingen, festzuhalten, davon zu sprechen, darauf hinzuweisen, sie vielleicht sogar in die großen Zusammenhänge einzuordnen.
Das tut Kunert in seinen besten Texten mit einer fabulösen Mischung aus Klarheit und Transformation, bspw. in einem Gedicht über Geflüchtete, die er mit Odysseus vergleicht und schreibt:
„verloren
zwischen Scylla und Charybdis
Piraten und Polizei
ausgeliefert dem Mare Nostrum
ausgeliefert als Ware ohne Wert
festgebunden auf steuerlosem Floß
dahin, wo sie keiner erwartet
und kein blinder Sänger
von ihrem Schicksal kündet
und kein Hund sich um sie schert.“
Kunert war ein kritischer Geist und sicherlich auch ein wenig Chronist und Gewissen, er war aber vor allem einer, der jeden Stein und jede Meldung umdrehte, jede Figur und jede Idee auflas, abwog, in den Händen drehte, nicht um ihre Schwachstelle herauszubekommen, sondern auf der Suche nach Hoffnung und dem Wesen des Dings in den Händen seiner Dichtung.
Oft kam er dabei, vernunftgeprägt, zu unerfreulichen Schlüssen, was die Hoffnung oder das Wesen betraf, warf den Gegenstand aber nicht einfach weg, sondern schrieb darüber, stellte die Dinge auf und aus, ihr Unheil beklagend, aber dennoch damit ringend. Wie schön, dass die Bücher eines solchen Dichters weiterhin unter uns weilen. Es bleibt zu hoffen, dass der Hanser Verlag in den nächsten Jahren einige Werkzusammenstellungen herausbringen wird. Und dass (so oder auf anderem Wege) noch viele mit Günter Kunert in Berührung kommen.
„Sacht kommt der Schlaf zu dir herangekrochen,
in deinen Träumen bleibst du immer jung,
als sei dir Ewigkeit versprochen
und ewige Erinnerung.“
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