Wonach meine Seele sich sehnt
Wenn es stimmt, dass Lyrik Nische ist und folgerichtig fremdsprachige Lyrik Nische in der Nische, wäre demnach mongolische Lyrik hierzulande von literarisch kaum noch messbarer Relevanz und könnte allenfalls über die ihr implizite Exotik Wahrnehmung für sich beanspruchen. Da erscheint es zunächst einmal recht mutig, dass der Ludwigsburger pop-Verlag im Herbst 2018 eine Auswahl von Gedichten des mongolischen Dichters Hadaa Sendoo in deutscher Übertragung von Astrid Nischkauer und Andreas Weiland vorgelegt hat. Doch Hadaa Sendoo ist alles andere als ein Unbekannter auf den lyrischen Bühnen der Erde, seine preisgekrönten Werke wurden in mehr als dreißig Sprachen weltweit übersetzt und finden sich in zahlreichen Anthologien rund um den Globus.
Hadaa Sendoo ist Jahrgang 1961 und in Hohhot, der zur Volksrepublik China gehörenden Hauptstadt der Inneren Mongolei aufgewachsen. Während der Kulturrevolution wurde er für vier Jahre zu Nomaden aufs Land in das Gebiet seiner Vorfahren geschickt und kam in Kontakt mit mongolischer Volksliteratur und Mythologie. Ende der Achtziger Jahre erschien sein erster Gedichtband. 1991 siedelte er nach Ulaanbataar in der von China unabhängigen Mongolischen Republik über und ist heute einer der angesehensten Literaten des Landes.
Seine poetischen Texte atmen jene Sehnsucht nach Weite, nach Stille und Naturkontakt, die nicht nur einem großstädtischen Publikum auf der ganzen Welt etwas zu sagen hat. Sie sind Beschwörungen des Ursprünglichen, ohne sich dem Bewusstsein von Moderne zu verschließen. Das Titelgedicht „Sich Zuhause fühlen“ spricht diese Aspekte an:
„Ein Traum, der sich wie ein Hengstfüllen / In die Umzäunung der Nacht drängt, / Im Blauen leckt er / Schneeflocken // Stille, keine Geleise oder Städte, / Ist die letzte Zuflucht der Nomaden / Die ruhigen weißen Wolken sind es, / Wonach meine Seele sich sehnt“
Das lyrische Ich teilt sich ganz unmittelbar mit in dieser Poesie, steht mitunter gar zu Beginn eines Verses und beansprucht damit selbstbewusst seinen Platz nicht nur im Gedicht, sondern gleichzeitig in der realen wie imaginierten Welt, wie etwa im ersten Text des Buches „Kindheit“, in welchem zunächst reines Wünschen, reine Vorstellung im zweiten Teil zu klaren Handlungsvorsätzen gerinnt. Das Gedicht beginnt mit der Zeile „Ich möchte wie eine Libelle über die glitzernde Wasserfläche sausen“ und verwendet dann weitere Wie-Vergleiche um Sprachbilder von Schmetterlingen, Grashüpfern, Wolken, Bäumen, die alle mit dem „ich möchte“ der ersten Zeile eingeleitet werden, das sich ab dem sechsten Vers plötzlich in ein „ich werde“ verwandelt und plötzlich viel eigenständigere, stärker aufgeladene Bilder aufruft:
„[...]Ich werde kleine Rehe bitten, aus ihrem dämmrigen Traum zu steigen / Ich werde den kleinen roten Vogel, den ich aufzog, in einer Regennacht freilassen [...]“
um dann in einer transformierten Vorstellung vom Beginn des Gedichtes zu enden:
„[...] Ich werde Libellen über die glitzernde Wasseroberfläche sausen lassen.“
Immer wiederkehrende Motive sind die endlose Steppe, der weiße Hirsch, der blaue Wolf, die Sonnenblume – starke und unmittelbare Bilder, die eine spirituelle Erdung des Menschen als Ausgangs- und Zielpunkt der Existenz und der daraus gewachsenen Kultur ausmachen und der künstlichen, zergliederten und zerquälten Anthropologie der Moderne eine Absage erteilen. Doch die real wahrgenommene Welt des Poeten Hadaa Sendoo entpuppt sich als alles andere als heil:
„Wenn ich zurückkehr' // Es ist Juni, kalter Regen, und ich / bin allein wie ein Wolf / wenn ich schau' in die Ferne / ist bloß der Himmel da, ohne Grenzen // Jetzt – lebe ich / und spüre oft / Schmerz / ist nur ein Band das verbindet“
Auf dem französischen Literaturportal „Le Pan poéthique des muses“ äußert sich der Autor in einem auf englisch geführten Gespräch über Poesie mit Tatjana Debeljački auch zu Formalien mongolischer Poesie: „[...] dominant in Mongolian poetry ist always the rhyme, and there must be rhymes in each line of a verse, incorporated in its first letter (and word).“ Natürlich werde diese Tradition, die entfernt an die Verwendung des Stabreims in europäischen Literaturen erinnert, in Moderne und Postmoderne nicht selten durchbrochen. Hadaa Sendoos Lyrik greift diese Reminiszenz an vergangene Zeiten offenbar in seinen Originalen manchmal noch auf.
Die beiden Übersetzenden der Gedichte Hadaa Sendoos, Astrid Nischkauer und Andreas Weiland, zwischen deren Geburtsdaten 1989 bzw. 1944 fast zwei Generationen liegen, pflegen einen spürbar unterschiedlichen Stil. Weiland hat schon früher Hadaa Sendoos Gedichte ins Deutsche übertragen und steht für einen etwas höheren Ton, der nicht zuletzt den gesprochenen Rhythmus der Texte im Blick hat, deshalb mitunter auf Apostrophe als Auslassungszeichen und den leicht historisierend wirkenden Wegfall ganzer Worte setzt und damit gleichzeitig auch das Traditionelle in den Texten des mongolischen Autors plausibilisiert:
„[...] Ich schimpfe und rase, ich wüte und schimpf'. / Doch ich werd' nicht klagen ob des Lands / das von Geheul ergriffen, und aus dem Flüchtlinge flieh'n [...]“
Nischkauers Duktus erscheint dagegen moderner und arbeitet in seiner relativen Schlichtheit der Unmittelbarkeit des Naturerlebnisses in vielen Gedichten Hadaa Sendoos zu. So haben beide Übertragungsschwerpunkte unverkennbar ihren eigenen Reiz und erscheinen der inhaltlichen Auswahl der Texte jeweils formal angemessen.
In einem den Gedichten nachgeordneten Interview des Dichters mit Maya Gogoladse (aus dem Englischen von Stefanie Golisch übertragen) bekennt Hadaa Sendoo sein besonderes Interesse für die poetischen Traditionen des Orients, auch wenn, wie er sagt, „die gesamte Weltliteratur mein Schreiben durchzieht.“ Gleichzeitig ist er als Herausgeber des World Poetry Almanac seit 2006 auch ein Sammler und Vermittler internationaler Poesie, der im Lauf der Jahre rund dreitausend Lyrikschreibende aus mehr als einhundert Ländern vorgestellt hat, der mithin eine einflussreiche Persönlichkeit im vielsprachigen Konzert der dichterischen Stimmen darstellt, die international positiv rezipiert wird. Für ihn sind diese Bewahrung und Verarbeitung kultureller Traditionen und eine moderne, allen Menschen zugewandte Position keine Gegensätze, sondern im Gegenteil Voraussetzungen, um Sprache für das Poetische fruchtbar machen zu können. So schreibt Richard Berengarten (wiederum in der Übersetzung aus dem Englischen von Stefanie Golisch) im Vorwort des Buches „Sich Zuhause fühlen“ von Hadaa Sendoo als einem „Universalisten […], der Poesie in einer interkulturellen Dimension begreift: Als Begegnung von Menschen und Kulturen.“ Eine tröstliche und notwendige Haltung in einer Zeit, in der interessierte Kreise darauf hinarbeiten, viele Türen zwischen Nationen, Völkern und Kulturen eher wieder zu schließen.
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