"was man nicht kann/ nicht immer/ nicht können" – glückvolle Dichtung von Herbert J. Wimmer
Zu den schönsten Gedichten der Gegenwart zählen jene Herbert J. Wimmers, dessen Texte ich vor nunmehr 25 Jahren erstmals las. Damals lernte ich auch Elfriede Gerstl kennen, die, wenn man von Wimmer spricht, nicht zu erwähnen kaum möglich ist – Seelenverwandte, radikal, aber auch liebevoll und ironisch, wie es ihre Texte sind … und wie es bis heute Wimmers Texte sind, darum vielleicht das Beste, was die Avantgarde und die Literatur insgesamt in Österreich heute hervorbringt.
Denn Wimmer versteht sich mit den von der Wiener Gruppe und in deren Umfeld eben auch von Gerstl früh ausgeloteten Mitteln immer und überall aus dem herauszuschreiben, was eben so sei. Kein Sinn, der so sein müßte, kein Einverständnis, aber wie bei Gerstl ist dann da eine Gabe, nicht nur ein Talent, sondern als Bereitschaft des Gebens, des Es-erstmals- oder Es-nochmals-Versuchens, experimentell im besten Sinne, nämlich ernsthaft und liebevoll auf etwas gerichtet, sozusagen „die kontinuierliche Unterbrechung einer Unterbrechung”, die man zuvor weniger beging, sondern mit den Mitteln der konkreten Poesie verstanden hat.
Das könnte man als Methode auch der Lektüre des neuen Bandes von Herbert J. Wimmer vage formulieren, kleeblattgasse tokio versammelt solche Versuche, durch Poetiken Sinn zu befragen, anderen Sinn aufzustören, Kontakt herzustellen: zu dem, was dann sei, und zu dem, der (mitschreibend..?) lese.
Zu Beginn Gerstl, die Frage, ob man wisse, was man (zu wissen) glaubt, ob man glaube, was man weiß … aber auch, daß man weiß …
… „was weiss man schon
was man glaubt
was glaubt man schon
was man weiss”…
Dann das Vortasten. Man will etwas sagen. Und dann, fail, try again, fail better, ist da schon diese Hoffnung, die, daß nämlich die Resignation ja auch nur eine jener kognitiven Operationen ist, über die sie befände. Ab da geht es genauso weiter, also etwas anders.
„kommunizieren:
man kann das
was man nicht sagen kann
nur immer wieder
nicht sagen[…]
prinzip hoffnung:
man kann
was man nicht kann
nicht immer
nicht können”,
ich halte es nicht für ganz ausgeschlossen, daß das besser als alles ist, was Bloch dazu – zum Prinzip Hoffnung – formuliert hat, wenn man es wie Wimmer angeht, müßte sogar Günther Anders es gelten lassen, der auf Bloch bzw. jenes Prinzip sonst eher spöttische Reime machte.
Möglich, daß man immer (noch und wieder) aufwache:
„aufwachen
in restträumen liegen
aufwachen
ins radio hören
aufwachen
die augen öffnen
in tramresten liegen
ins haus hören
auf die strasse hören
aufstehen
aufwachen”
– so Wimmers Gedicht handlungskaskade.
Immer geht es nach vorne, auch in der Treue zu Aufstörern, etwa in der „walter serner-memorette” – wen, wenn nicht Serner, müßte man immer wieder entdecken, empfehlen, entdecken lassen, und auch da: das Moment der Ironie, das diese umschlagen läßt, wo also „illusionsbrüche” eher schon neue Möglichkeiten vor(ge)schlagen (hätten), hätte man Serner nicht wahrscheinlich umgebracht und jedenfalls so gründlich sein Werk vergessen…
„aufwachen
in traumresten liegen
aufwachen
ins radio hören
aufwachen
die augen öffnen
in tramresten liegen
ins haus hören
auf die strasse hören
aufwachen
einsehen”,
im fast schon Routinierten die Dysfunktion und/oder Epiphanie. Das ist dann auch das Konkrete, nicht, daß der Text Tokio einem wie ein (schlechter) Reiseberichte näherbrächte, oder die Kleeblattgasse, doch hier und da, konkret, verdichtete sich, was Wimmer dann vernahm, vielleicht.
„im suchen war
einer dem anderen
heimat
sind wir einander
im finden geworden”,
soviel ist (Heimat-)Ort – und das ist nichts und unendlich viel. Und es endet nicht, wie auch das Aufwachen oder Einsehen …
… „einschlafen
aus dem kopfhörer
neben dem bett
zipfeln vereinzelt
crescendi was jazz-
artiges aus dem radio” …… „es ist dunkel
es ist still
ich höre die luft
die ich durch meine nase ziehe
ich sehe wie ich mich nicht sehe
in der plötzlichen dunkelheit” …… – auch dies ein Ereignis/Eräugnis..! – Was wird kommen?
„ich hoffe auf das
was ich ich fürchte
ich fürchte das
worauf ich hoffe” …
… diesen Band will man nicht rezensieren, sondern lesen – und lesen – und lesen – und lesen – … und abtippen, um ihn darin nochmals und noch genauer zu lesen. Wunderschön und ohne Rührseliges anrührend, Gedicht um Gedicht, etwa dieses:
„elfriedes ostern
ostern
trostern
trösterlich
auferstanden bleibst du
in mir” …
… wieder Elfriede Gerstl, in der Tat in diesen Gedichten wieder und noch vernehmlich,
„was weiss man schon
was man glaubt
was glaubt man schon
was man weiss” …
… „nix verstehen
ist auch nicht
abendfüllend” …
… und wer nun noch immer nicht verstanden hat, was da für ein vibrierendes und glückvolles Buch da zu entdecken ist, von dem wüßte ich nicht zu sagen, wie es ihn auf eine Literatur- und Lyrikplattform verschlug.
Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben