Weltgewandtes Land
28. Juli 1927 in Rochester, New York; † 3. September 2017 Hudson (New York)
Der 2007 erstmals im Original veröffentlichte Gedichtband „A worldly country“ wurde von vielen Seiten bejubelt, sein Verfasser hat über die Jahrzehnte seines Schaffens eine Vielzahl an renommierten Preisen gewonnen und gilt gemeinhin als eine der wichtigsten Figuren der US-amerikanischen Gegenwartslyrik. Fast möchte man behaupten: Zu John Ashbery gibt es eigentlich nichts mehr zu sagen. Die letztes Jahr in Deutschland erschienene Ausgabe wurde ähnlich positiv aufgenommen. Die Qualität von Ashberys Lyrik scheint jeglicher Kritik gewachsen zu sein. Was soll man also mit Ashbery und seinen Gedichten noch anfangen, außer sie zu genießen?
Vielleicht kann man den Fokus etwas verschieben – irgendwie drängt sich schnell die Vermutung auf, dass es keine willkürliche Entscheidung von Verlagsseite war, die fast 60 Gedichte von unterschiedlichen Übersetzerinnen und Übersetzern bearbeiten zu lassen, den Texten bis zu sechs verschiedene Übertragungen anbei zu stellen. So wird Ashbery nicht zur Seite gedrängt, sondern er findet seine Ergänzungen. Man kann sich mit Freuden auf eine quasi-Anthologie einlassen, die verschiedentliche poetologische Herangehensweisen praktisch umgesetzt nebeneinander versammelt. Selbst, wenn daneben das Original etwas zu versinken scheint; selbst wenn man bei der unprätentiösen Sprache Ashberys nicht wirklich auf das Hilfsmittel einer deutschen Übertragung angewiesen sein mag: „Ein weltgewandtes Land“ präsentiert der deutschen Leserschaft nicht nur die Lyrik Ashberys, es könnte auch eine Diskussion anfachen, die bei aller Poetologiewut zu kurz zu kommen scheint. Noch eingedenk des Minimalkonsens, dass es immer nur Über- und keine Ersetzungen gebe, es wäre sicherlich nicht verkehrt, poetische Übertragungen von ihrem Ruf als Serviceleistung loszueisen.
Unter diesem Aspekt betrachtet liefert die Auswahl einiges, viel mehr noch, als hätte sich eine einzige Person der Lyrik Ashberys angenommen. Demokratisch treten etablierte Autoren wie Joachim Sartorius, Jan Wagner oder Gerhard Falkner im Gespann Nora Matocza neben junge Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Léonce W. Lupette und Tobias Amslinger. Aus dem vielseitigen Kader werden nun verschiedene Blicke auf Ashberys Texte geworfen, immer wieder unterschiedliche Varianten gewählt: „How do you judge when it’s more than / half over?“ wird bei Uda Strätling zu „Wie sollst du entscheiden, wann der Film mehr / als halb vorbei ist?“, bei Marcus Roloff jedoch zu „Wie beurteilst du das, wenn er erst knapp über die / Hälfte vorbei ist?“. Die Originalsyntax lässt viel offen, Entscheidungen müssen getroffen werden. Sie fallen zwangsläufig subjektiv aus – umso besser, der Leserschaft Varianten anzubieten. Und umso mehr wird dadurch die Vielseitigkeit der Originaltexte unterstrichen.
So wählt also eine jede und ein jeder andere Herangehensweisen, legt den Fokus auf unterschiedliche Motive, Wörter, Passagen. So banal das klingt, so erstaunlich sind dann die Resultate: Norbert Lange gelingt es wohl am treffendsten, den trockenen und trotzdem farbenfrohen Tonfall Ashberys einzufangen, Daniela Seel überträgt ein Gedicht, das fast aus ihrer Feder hätte stammen können; Léonce W. Lupette sticht formal am ehesten hervor, indem er die Verse Ashberys bricht und ihr so noch in der Übertragung einen genuinen Klang verleiht. Uljana Wolf und Ron Winkler sind bereits für die Qualität ihrer Übertragungen bekannt und enttäuschen nicht, stechen sogar heraus: Wo aus „A worldly country“ bei Margitt Lehbert und Sylvia Geist „Ein weltliches Land“ wird, da wird Wolf mit dem titelgebenden „Ein weltgewandtes Land“ nicht nur Semantik, sondern auch Inhalt gerecht. Natürlich gibt es strittige Stellen – wird Monika Rinck dem lässigen Ausdruck „I’m game“ mit dem etwas versteiften „Ich bin einsatzfreudig“ wirklich gerecht? Sind manche der Übertragungen nicht doch etwas farblos, zu eins-zu-eins übernommen? Oder andererseits: Nimmt sich jemand wie Jan Volker Röhnert nicht die eine oder andere zu gewagte Freiheit heraus?
Das man so denken kann, ist überhaupt der Gewinn, der aus dem ehrgeizigen Projekt zu ziehen ist: Die Serviceleistung des luxbooks Verlags besteht nicht aus einer Vokabelstütze für die Leserschaft von „Ein weltgewandtes Land“. Sondern vielmehr aus einer Gegen- und Nebeneinanderstellung von Optionen, die diskutabel sind, von poetologischen Ansätzen der Übersetzung, die in einer verwertbaren Form geliefert werden. Wer also aus der Vielzahl an Übertragungen oder besser aus ihrer Schnittmenge die Essenz von Ashberys Gedichten destilliert haben möchte kann nur enttäuscht werden. Letztlich bricht sich in den Spannungsfeldern der deutschen Interpretationen – denn von solchen darf man hier getrost sprechen – die sowieso schon farbenfrohe Welt des US-Amerikaners noch weiter auf. Eine quasi-Anthologie, die als Prisma nicht nur neue Lesarten eines großartigen Gedichtbands ermöglicht, sondern ohne in verstockte Reflexivität zu verfallen viel zum Thema Übersetzung sagt.
Für die Übersetzung wurden viele der wichtigsten deutschen Lyriker und Übersetzer gewonnen.Dichter wie Gerhard Falkner, Matthias Göritz, Alexander Gumz, Norbert Lange, Tobias Amslinger, Léonce W. Lupette, Jan Volker Röhnert, Hendrik Rost, Andre Rudolph, Daniela Seel, Ron Winkler, Jan Wagner, Uljana Wolf, die renommierten Ashbery-Übersetzer Erwin Einziger und Joachim Sartorius wie auch weitere angesehene Übersetzer anglo-amerikanischer Lyrik wie Iain Galbraith, Margitt Lehbert und Lars Vollert haben jeder für sich Gedichte ausgewählt und übersetzt.
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