Ein avantgardistisches Erbe von 1970
Jonas Mekas gilt als ein Pioneer des amerikanischen Avantgarde-Films. 1922 in Litauen geboren, landete er zusammen mit seinem Bruder 1944 in einem deutschen Arbeitslager, studierte später an der Gutenberg-Universität in Mainz, bevor die Brüder 1949 nach New York gingen. Seine Spezialität sind filmische Tagebücher, in denen er den Alltag zeigt bzw. festhält.
Zu einem spontanen Filmfestival von Jonas Mekas im Dezember 1970 in New York City haben Yoko Ono und John Lennon in nur zwei Wochen zwei neue Filme produziert, nämlich Up your Legs forever und Fly.
Das hier vorliegende Interview ist ursprünglich als ein Kapitel in dem Buch Scrapbook of the Sixties erschienen (Jonas Mekas, Scrapbook of the Sixties: Writings 1954 - 2010, Spector Books, 2015). Es beinhaltet eine Sammlung von veröffentlichten und bisher unveröffentlichten Texten von ihm, sowie diversen Interviews, die er mit verschiedenen Künstlern geführt hat.
Die Begriffe "experimental", "avant-garde", "independent", "less commercial", "non-industrial" oder "more personal cinema" werden von Jonas Mekas nicht synonym, aber schon in einem Atemzug genannt (siehe das Interview, das Tessa Hughes-Freeland 1997 mit ihm geführt hat. In: Jack Sargeant, the naked lens - an illustrated history of beat cinema, Creation Books, 1997, Chapter six). Dabei möchte er nicht definieren, was Kino ist. Ihm geht es darum, Filme, die ihm gefallen, mit anderen zu teilen (Jonas Mekas: "Since I don’t like watching films just by myself, I rented the Elgin theatre for seven days, just before Christmas, and announced a 7 ¾ New York Film Festival."), und sie zu bewahren, das heißt zu archivieren. Und er ist ja folgerichtig auch einer der Hauptbegründer von Anthology Film Archives, einem "von Filmemachern und -sammlern gegründetes unabhängiges Museum zur Bewahrung, Ausstellung und zum Studium der Filmkunst" (Wikipedia) in New York City, das 1970 eröffnet wurde.
Im Interview erzählt Mekas davon, dass er in seine Heimatstadt in Litauen reisen will, um dort hundert Gesichter aufzunehmen, er also als eine Art Anthropologe, um festzuhalten, wie litauische Menschen aussehen (auch um sich mit ihnen vergleichen zu lassen). Dies hat er dann auch in der Tat umgesetzt, und es bildet den mittleren von drei Teilen des Films Reminiscences of a Journey to Lithuania von 1972. Auch hier ist der Aspekt des Bewahrens klar zu erkennen. Dieser Film wurde übrigens neben anderen seiner Filme auch auf der diesjährigen documenta 14 in Kassel gezeigt, da Jonas Mekas dort einer der beitragenden Künstler war.
In dieser langen Unterhaltung, die Jonas Mekas nach dem Filmfestival mit John Lennon und Yoko Ono geführt hat, geht es natürlich überwiegend um Film, um unabhängige und experimentelle Filme. Im Vordergrund stehen dabei die Filme von John Lennon und Yoko Ono, aber auch das Filmschaffen von Jonas Mekas wird deutlich.
In dem Film Fly wird eine Fliege gezeigt, wie sie auf einem nackten weiblichen Körper krabbelt und sitzt. Dieser Film ist nicht vergessen, war er doch zum Beispiel auch in der Ausstellung "Yoko Ono. Half-A-Wind Show. Eine Retrospektive" in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main zu sehen. Das war 2013, anlässlich ihres 80. Geburtstages.
Der Film Up your Legs forever zeigt 333 Beinpaare von Künstlern aus New York.
Weitere Filme von John Lennon und Yoko Ono, die Thema des Gesprächs sind: Smile (1968), Two Virgins (1968), Rape (1969), Give Peace a Chance (1969), Self Portrait (1969), Apotheosis (1969).
In Rape wird eine junge Österreicherin mehrere Tage mit der Kamera penetrant verfolgt, auf einem Friedhof in Österreich sowie in London, bis hinein in ihre Wohnung. Jonas Mekas dazu: "The audience, they wanted to see the real rape." John Lennon meint dazu trocken: "But we all get that kind of rape, from society. [...] It is a very square place, Austria."
In dem fünfzehnminütigen Film Self Portrait wird lediglich der Penis von John Lennon gezeigt. John Lennon: "Well, all it is, is a close-up of my prick for twenty minutes or something, you know."
Geredet wird auch über Yoko Onos Film Bottoms (1966): Close-up shots of buttocks of some 12 different performers; 5 minutes. Yoko Ono dazu: "You see, intellectuals cannot take their pants off without making some big philosophical remark about it."
Des Weiteren der Film You Are Here, gedreht auf der gleichnamigen ersten gemeinsamen Kunstausstellung von John Lennon und Yoko Ono am 1. Juli 1968 in London. John sagt in dem Interview, dass dieser zwanzigminütige Film unveröffentlicht sei. Aber unter YouTube kann man immerhin eine Kurzfassung davon sehen: "The Art Exhibition You Are Here Monday 1 July 1968".
Generell kann man sich einen Großteil dieser experimentellen Filme von John Lennon und Yoko Ono im Internet anschauen, zum Teil aber nur in Ausschnitten.
Die Unterhaltung kommt auch gelegentlich auf andere Filmemacher zu sprechen, überwiegend Avantgarde-Filmer: Kenneth Anger, Stan Brakhage, Peter Kubelka, Paul Morrisey, Jack Smith und Andy Warhol.
Aber auch die Musik wird behandelt, zum Beispiel die von Yoko Ono: "And so my music is stuttering all the time." Auch, dass die Begegnung von John Lennon mit Yoko Ono für ihn, den begnadeten Beatle, befreiend gewesen ist. John Lennon: "And after being with Yoko and hearing her voice things, I realized that … how limited, what limits I put on my voice. So, she … I opened my throat again, you know." Generell wenden sich die beiden dem Einfachen, Natürlichen zu (Yoko Ono: "Because heartbeat is the most basic, intimate rhythm that we have, you know. 'One-two, one-two, one-two.'"), und distanzieren sich von den Intellektuellen, die für sie zu wenig spontan sind.
Interessant finde ich auch immer wieder diese vergleichenden Einordnungen von Musik und Film in Relation zu Kunst und Poesie. Jonas Mekas vergleicht Yoko Onos stotternde Musik zum Beispiel: "So this is like action painting with voice." John Lennon zu seiner Art von Film: "It’s a poem that has no words." Yoko Ono zu ihrem Film Up your Legs forever: "So, people are very fat beings. But they create poetry about each other’s legs". Zu dem Film Fly meint Yoko Ono: "I thought it might give the film another feeling, sort of smash through the lyricism", worauf Jonas Mekas erwidert: "Or maybe it became sort of like an expanded slow-motion haiku."
Lesenswert ist dieser Text heutzutage auch deshalb, weil in ihm sichtbar wird, wie Menschen künstlerisch und kreativ arbeiten. Man ist mit diesem Text nahe dran am Schaffen, am kreativen Prozess. Die Sprache ist bei solchen Gesprächen oder Interviews ja meist relativ einfach, so dass es verständlich ist, dass dieser Text jetzt in einem Berliner Verlag erneut im Original publiziert wurde.
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