Gott säge und verhüte Euch
Zum 70. Geburtstag und zugleich zum 30. Todestag John Lennons legte der Berliner Blumenbar Verlag eine neue Version seines 1964 erschienen Bandes In His Own Write vor. Dieses Buch wurde bereits 1965 in der deutschen Fassung veröffentlicht. Karl Bruckmaier hat die Übersetzung neu durchgesehen und modernisiert.
Es war Beindachszeit, aber Randolf war alleide. Wo waren alle seine guten Breunde abgeblieben, Bernie, Dave, Nicky, Alice, Beddy, Freba, Viggy, Nigel, Alfred, Clive, Stan, Frenk, Tom, Harry, George, Harold? Wo waren sie an diesem Tag? Randolf schnaubte traudich auf seide einzig‘ Beindachskarze von seinem Papa, der ganz woanders lebte. „Ich ganges eisfach nich begreinen, dass ich so alleine bin, an dem einen Tag im Jahr, wo man doch würglich umpah Freunde erwaten isolde?“, dachte Randoof. Jedenfalls fuhr er furt den Baum zu deflorieren und hängte Lispelzweige auf.
Es scheint, als würden die Worte alle verrücktspielen; als würden sie mittels höchst alberner und gleichzeitig sehr charmanter Wortverwindungen gleichsam die in ihnen schon immer versteckten Mehrdeutigkeiten auspacken und dadurch die eigentliche Kraft dieser Worte erst recht entladen?
Zunächst. Kann man ein Buch wie In seiner eigenen Schreibe überhaupt ernsthaft besprechen? Diese Frage wirft gleich die nächste Frage auf: Warum, in alles in der Welt, eigentlich ernsthaft? Wie denn ein solches Buch ernsthaft besprechen? Geht das?! Natürlich geht das, werden einige murren: alles ist doch mit dem gleichem Maß zu bemessen, ansonsten – ja, wo kämen wir denn da …
Moment. Die Texte dieses Herrn Lennon – unterlaufen schon im Ansatz jedwede Ernsthaftigkeit. Was von einem John Lennon schließlich auch nicht anders zu erwarten war. Sie unterlaufen mitunter genau diese Lesart. Sie unterlaufen vielleicht sogar genau jenes Naserümpfen der versierten Damen und Herren Geschmäckler, Bescheidwisser und nur an den exquisitesten Wein Gewöhnten, die mit lässigem Verweis auf Arno Schmidt und James Joyce nonchalant abwinken – und, wenn überhaupt, mit Blick durch dicke, scharfe Augengläser, einem über schräg hinknurren, dass das alles schon mal dagewesen und zudem alles andere sei, nur eben keine Literatur; da es völlig außerhalb steht, und sich dadurch auch mit lennonscher Hybris abhebt; überhebt?
Eines fetten Morgens erwachte Erich Hingerl mit einem abnormaden Fettgewächs dreckt auf seinem Kopf. „O Bimmelzerbott“, sagte Erich Hingerl etwas sehr sehr erstaunt. Doch benahm er sich weiters wie bewohnt, denn weshalb sollte er sich grämen? Auf Eimer hörte er ein dünnes, kleines Stümpchen, das ihn beim Namen rief, „Erich…, Erich Hingerl“, schien es zu sagen, obwohl mich das nicht beschwören könnte.
Stimmt. Das Ganze ist eine wahrhaft seichte Posse, hier wird gewitzelt bis zum Umfallen, jedes Wort, jedes Wörtchen zum manierierten Hering verdreht; diese Prosa ist völlig verkorkst und über weite Strecken flach bis zum Gehtnichtmehr. Dazu aus einer lausbübisch-naiven Bedenkenlosigkeit heraus, jugendlich kokett, könnte man sagen, von einem Mittzwanziger direktemang auf die Bewunderung des anderen Geschlechts hin verfasst. Literarisch ist das alles keinen Pfifferling wert, ließe sich mit einiger Berechtigung herumnörgeln, es ist – um mal ein neues Wort zu erfinden – so etwas Ähnliches wie Dadatrash, oder Dada à la colportage: da wird an jedes Wort ein kleiner Klabauter hinmontiert, das ist durchaus postpubertäre Wortverdreherei, ach wie extravagant, ein jeckes Wortklingeling am Rande des Debilseins. Alles in allem gequirlte – ach, lassen wir das. Oder … oder doch nicht?!
Aber. Das hier ist eben nicht der heutzutage sogar in den Bestsellerauslagen lancierte Schenkelklopferhumor, wo quasi die Lacher schon eingebaut sind; es hat nichts, aber auch gar nichts von unserem heute leider sehr üblichen tumben Comedyklamauk, kommerziell produziert von Berufscomedians, dem einstudierten Gaudium zur „Primetime“, Beginn um Punkt 20 Uhr 15: schlüpfrig-plumpe Bespaßung für gehirnamputierte Couchpotatoes. Das hier, das kommt aus keiner Konservendose und passt auch eigentlich nicht so recht zu der Sorte von Späßen, die sich an einem postalkoholischen Spätmorgen gegen 15 Uhr deklamieren lassen.
Denn. Wir haben es zu tun mit John Lennon. Lennon ist viel ausgefuchster, feiner undüberkandidelter. Lennon ist in seinen Doppeldeutigkeiten da politisch, wo man überhaupt nicht mit Politischem rechnet, und da völlig unpolitisch, wo man es vielleicht erwartet hätte. Lennon erwischt einen immer auf dem linken Fuß. Subtil und zwischen den Zeilen höchst verschlagen, ist In seiner eigenen Schreibe nur auf den ersten Blick „Nonsense-Prosa“; denn diese Wortspiele sind mehr als nur Wortspiele, sie haben immer noch etwas in petto; dieses Spiel mit Worten ist vielleicht überkandidelt, aber auch enorm kreativ: mit dem gewissen Fünkchen Genialität; das hebelt insgesamt so einiges aus. Lennon schrieb für ein pophysterisches Publikum, das den Beatles kreischend zu Füßen lag; weniger für kritische Literaturkenner. Sein Buch war 1964 dennoch eine kleine Revolution. Sein Buch besitzt eine irrsinnige Energie. Und das ist sicherlich auch wegweisend für so manch anderen Autor gewesen. Sofern es ein kollektives Bewusstsein gibt, ist dieser Sound, diese ganz eigene Schreibe in selbiges längst eingesickert. Das brennt sich ein. Das bleibt.
Deshalb. Lennon ist etwas für Feinschmecker: das ist feinster Humor, englisch und tiefschwarz: hier sind so viele doppelte Böden eingezogen, dass sich keiner mehr auskennt; hier wird selbst da unter die Gürtellinie gezielt, wo es gar kein Unterhalb gibt – und getroffen! Lennon ist smart, Lennon ist selbstverliebt, na klar, fast möchte man sagen: zu Recht. „Ich ändere praktisch nie was ab“ (…) Wie geschrieben, so gedruckt – fertig.“ Lennon ist von seiner eigenen Schreibe aber schon sowas von eingenommen, dass es extrem wohltuend ist. Lennon ist arrogant, Lennon hat Esprit, Lennon hat einen makabren Humor, nicht ohne Sarkasmus und gelegentlich sogar mit einer (un)feinen Prise Zynismus. Lennon ist niemals politisch korrekt, Gott bewahre, und auch das hat ungeheuren Charme. Auch das relativiert sich heute, leider, denn heute geht diesbezüglich theoretisch alles, praktisch nichts mehr. Dass immer irgendwo jemand aufschreit, wenn jemand anderes einen nicht ganz sittengemäßen Witz macht, der zudem nicht durch allerhand Euphemismen abgesoftet worden ist: dieses Problem hatte Lennon damals nicht. Auch aus diesem Aspekt heraus liest sich Lennons Erstling heute sehr erfrischend.
Und vor allem. Lennon fühlt sich mit Worten unglaublich frei – in einem England, das in den frühen 6oer Jahren in geistiger Hinsicht unglaublich eng war. Es ist das wohl Bestechendste an dieser Art Schreibe: diese unglaubliche Freiheit. Das ist es, was Jugendlichen aller Herren Länder, die Zugang zu Lennons Buch hatten, sofort ins Blut ging. John Lennon fühlt sich frei. Und er fühlt sich fein, um einen Song der Pilzköpfe anzuzitieren. Er fühlt sich mit diesem Büchlein ganz in die Herzen der damaligen Teenager ein, das prompt nach seinem Erscheinen zum Bestseller avanciert: in den ersten zehn Monaten gehen 200.000 Exemplare über die Ladentheke. Man spürt, dass darin ein Hauch von Junkie, Naked Lunch und Howl steckt – die „Undergroundliteratur“ der so genannten Beat Poets, die schon Mitte der 40er Jahre in den USA ihre Anfänge hat.
Bekanntermaßen. Anfang der 60er fuhr der umgebaute Bus der Merry Pranksters durch die USA, um Happenings mit damals noch legalem LSD zu veranstalten. In His Own Write hat 1964 schon jene andere Luft geatmet; es schnappte auf, was damals en vogue war, was kam und kommen musste. Im Zeitalter der Tags und Labels dürfte man John Lennon zu Recht proto-flowerpower nennen, noch weit vor dem Summer Of Love. Die legendäre Juwelenklappernummer kam 1965: Lennon sagte bei Hof: For our last number, I'd like to ask your help. Would the people in the cheaper seats clap your hands. And the rest of you, if you'll, just rattle your jewelry. Und es war auch erst 1966, als Lennon behauptete, die Beatles seien heutzutage „populärer als Jesus“. Da war was los! Bei Erscheinen dieses kleinen Buches weiß das alles noch keiner und Jandl hat noch kein einziges Buch draußen. Weiland 1964 waren Ernst Jandl und Franz Mon keine 40, Jandls erster Band Hosi-Anna! erschien 1965, Handke hatte seine Publikumsbeschimpfung noch nicht geschrieben, Arno Schmidt seinen Zettels Traum noch nicht mal erdacht. Der Vietnamkrieg stand gerade bevor. Erst mit der Bombardierung Nordvietnams vom 2. März 1965 begann die offene Intervention der USA. 1964 waren auch die Hippies noch gar nicht auf dem Plan, Festivals wie Woodstock und Altamont gar in weiter Ferne. „John Lennons In seiner eigenen Schreibe war sein erstes Buch und entstand genau in diesem seltsamen Zeitraum der Superstar-Werdung, als nach dem nationalen der internationale Erfolg sich einstellte, als aus Popstars ernstzunehmende Künstler wurden und aus der Unterhaltungstruppe ein gesellschaftliches Phänomen“, schreibt Jon Savage in seinem Vorwort. 1964 hat sich jemand, der John Winston Lennon hieß und Yoko Ono noch gar nicht kannte, einfach mal zu weit aus dem Fenster gelehnt. 1964 war nur Lennon erst teilweise jener John Lennon, von dem wir heute sprechen; erst nach und nach mauserte sich John Lennon zu jener illustren Popikone, für die er heute gilt, der neben Paul McCartney prominenteste Pilzkopf, jener schillernde Songschreiber, Rhythmusgitarrist und charismatische Frontmann der Fab 4, der Größte unter den ganz Großen.
Es war einmal ein Mann, der teilweise Dave war – und er hatte eine Aufgabe im Leben. Jeden Morgen pflegte er zu brumfeln: „Ich bin teilweise Dave, der mit der Wampe“, und damit war die Schlacht schon halb gewonnen. Beim Frühstück sagte er dann wieder: „Ich bin wampweise Dave, das Teil“, was Betty sowas von auf die Nerven ging. Auf dem Weg zur Arbeit sagte immer und immer eine Stimme zu ihm: „Du Brunft, Dave“, und es stellte sich heraus, dass es ein farbiger Schaffner war.
Übrigens. Das hier entstand lange vor Monty Python’s Flying Circus. Lennon lässt es krachen. Lennon besticht mit unerhörten Wortverdrehern, macht vor Sexismen nicht halt und dreht sich sein Wortmaterial genauso zurecht, wie es ihm immer wieder neu Spaß macht. Das ist in den meisten Fällen brillant. Lennon erfindet sich den Dadaismus scheinbar ganz neu; Lennon schraubt, bohrt und dengelt ganz schön schräg an seinen Worten herum. Und immer wieder stellt man verdattert fest, wie viel Energie so ein übermütig aufgebohrtes Wort freisetzt.
Vorbei an Kaff und Pfannenbaum,
an Hammelmann und Lumpenschaf
aufs Resuskind gebeugt: dahin dahin –
such ich in Hundehaaren noch
ein Nachtmütz‘ voller Schlaf.
Nebenbei. Man kennt ja diese Filme der Beatles, wo die bekannten vier Herren es auch ganz schön bunt mit den Worten getrieben haben (und nicht nur damit), viel zu bunt eigentlich. Wer Help! (oder, wie er damals hieß: Hi-Hi-Hilfe!) gesehen hat, der weiß, wie irrwitzig der Lennonsche und überhaupt der Humor der Fab 4 gewesen ist. Das Lexikon des internationalen Films spricht von „hörenswerten, bizarren Wortspielereien aus John Lennons Feder“. Man weiß es auch, wenn man sich nur annähernd einmal die Texte der Beatlessongs I Am The Walrus oder Come Together angeschaut hat. I am he as you are he as you are me and we are all together / See how they run like pigs from a gun, see how they fly, I'm crying. / Sitting on the cornflake waiting for the van to come. / Corporation tea shirt, stupid bloody tuesday, /Man, you been a naughty boy, you let your face grow long. (Aus dem Song I Am The Walrus). Was in diesem Text von 1967 schon gleichsam psychedelisch „übersteuert“ wirkt, war 1964 noch die reine Lust am Wort. Doch immer – und hier fängt eben doch die Qualität an – immer bleibt es in sich leicht und hebt sich keinen Bruch; nie ist der Humor flach oder gar tumb. “‘I Dig a Pygmy’ by Charles Hawtrey and the Deaf Aids! Phase One, in which Doris gets her oats!”, hört man Lennon auf der 1970er Beatlesscheibe Let it Be sagen. Einige Popikonen haben in der 60ern zu schreiben versucht und haben tatsächlich nichts als traurige Epigonerei hinbekommen; man denke beispielsweise an Jim Morrisons in Farbadjektiven ausufernde ungeschlachte Lyrismen, der sich mit Rimbaud verglich und über ein neoexpressionistisches Gestammel nicht hinauskam. Einzig Frank Zappa konnte ähnlich gelungen mit Worten, man denke nur an seinen Song Bobby Brown – ein Text, der vor politisch konnotierten Zoten nur so strotzt; und wie viel Lennon in Zappa steckt – wer weiß das zu sagen? Gegen so viel wortwörtliche Abgefeimtheit war Lennon nachgerade gutartig und fast naiver Schuljunge, einer aus der Teenager-Gosse also, wie der Übersetzer Karl Bruckmaier in seinem „Nachklapp“ zum Buch schreibt.
Insofern. Auf Lennons Buch muss man sich einlassen können, kurz und tief Luft holen und versuchen, im Oberstübchen frei zu werden für eine Schreibe, die sich frisch und frech von der Leber witzelt. Man braucht ein gut Teil Humor für diesen bunten Mix aus grotesken Wortflausen in Form von hochkonzentrierter sprachorientierter Kurzprosa, absurden Sketchen und gereimten, bitterbösen Farcen in Gedichtform. Hin und wieder kann man sich fragen, ob man eigentlich selber schon derartig witzgeschrumpft ist, dass einem „sowas“ nicht mehr gleich und völlig ins Blut geht. Und wenn nicht: das Buch ist eine äußerst genießbare (und auch genüssliche!) Therapie – vielleicht gegen so etwas wie die fortgesetzte Gehirnerweichung durch hochprozentig Hochgeistiges? Man spürt sehr deutlich, dass In seiner eigenen Schreibe auch gegen die sich „blödstudiert“ habende Bildungsobrigkeit opponiert. Ins Visier gerät der gut (genährt)e Nachkriegsbrite (man würde ihn heute den Gutmenschen nennen …), der Churchill-Verehrer von nebenan mitsamt der ganzen „Mischpoke“, die den Krieg hindurch den tüchtigen Briten Blut, Schweiß und Tränen gepredigt hat und auf sich selber mächtig stolz war. Daneben wird, wie Jon Savage in seinem Vorwort schreibt, mittels „perverser Parodien“ der damalige „Medienzirkus“ hasserfüllt attackiert. In der englischsprachigen Welt läuft Lennon heute unter Novel, Experimental fiction.
Fazit. In seiner eigenen Schreibe ist ein Buch, für alle diejenigen, die den spontanen Wortirrwitz mögen, den Impetus des Pop – von jemandem verfasst, der auf die „höhere Literatur“ pfeift und auf ihre allzu akademischen Auslegungen sowieso.
Und nichtsdestotrotz. Die Neuübersetzung von Karl Bruckmaier ist ein Glanzstück. Er (er)findet neue Begriffe, bringt im Vergleich zur Übersetzung von 1965 Mehmet Scholl und Stefan Raab ins Spiel, den „Internetzer“ , die „Doku-Seife“, Durs Grünbein u.v.v.v.m. Hier wurde auch schon von Wolf D. Rogosky und Helmut Kossodo Meisterhaftes vorgeleistet. Die Übersetzer bringen im Zusammenspiel eine federleichte Übertragung zustande – und egal, ob mit Karl May, Lewis Carroll oder Goethes Mignon pariert wird: es sitzt immer. Diesen Ausbund an Neologismen, nur für den Moment erdacht, adäquat zu übertragen, war mit Sicherheit ein hartes Stück Arbeit; und gerade diese Arbeit sieht man eben nicht, es bleibt ebenso leicht wie im Original.
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