Vom Betongießen und Steinmeißeln
Nicht in Onkalo, sondern an der Mecklenburgischen Seenplatte spielt auch der zweite Roman der von dort stammenden und heute in Leipzig lebenden Autorin Kerstin Preiwuß. Sie führt uns dahin, wo nur noch alte Menschen sind, aber kein Bäcker, keine Klinik, keine Sparkasse, keine Kreisverwaltung, keine Polizei:
„Nur noch ein Supermarkt, eine Tankstelle und ein paar Zigarettenautomaten. Dafür nehmen nach jedem Winter die Schlaglöcher zu. Die Schlaglöcher vermehren sich wie die Karnickel.“
Hans Matuschek arbeitet am Flughafen und „macht“ da das Wetter. Er ist unverheiratet und lebt mit seiner Mutter zusammen, eine Konstellation, die fast als Fortsetzung von Preiwuß erstem Roman „Restwärme“ verstanden werden könnte. Seit seiner Jugendweihe hält Matuschek Tauben, die er als Vierzehnjähriger geschenkt bekam. Witt, ein Freund der Familie, berät ihn bei ihrer Haltung. Manchen Rat nimmt Matuschek an, manchen auch nicht. Strikt ist er beispielsweise, was die Paarung betrifft. Da überlässt er zunächst alles dem Glück, bis er selbst ins Unglück gerät. Aber dazu später mehr.
Als Matuscheks Mutter stirbt, ist es in seinem Kopf leer. „Da ist viel Platz für die Tauben, die sanft mit den Schnäbeln gegen den Schädel stoßen.“ Zur Ruhe kommt er noch am See, denn: „Auf dem Wasser ist viel Platz für Gedanken, da verliert man nicht den Überblick.“ Es sind übrigens solche sprachlichen Wendungen, die das Lesen des Romans immer wieder zur Freude machen.
Verlust und Gewinn halten sich aber bald wieder die Waage, denn in seinem Nachbarn Igor findet Matuschek einen Freund. Igor und seine Frau fädeln es ein, dass er Irina kennenlernt.
„Es ist Sommer, Matuschek hat frei und Irina ist da. Das ist genug, dass alles andere dahinter verblasst. Man muss zufrieden sein mit dem, was man hat. Matuschek ist es gerade sehr.“
Aber auf lange Sicht ist Matuschek doch nicht zufrieden und will mehr: Irina soll ganz bei ihm wohnen! Ihre Zurückhaltung führt dazu, dass er misstrauisch der Sache nachgeht und entdeckt, dass Irina einen Sohn hat, den sie hierher gebracht hat, um ihn vor dem Zugriff der Armee zu schützen. Und so ist es dieser Wunsch nach mehr Nähe, der das Ende der Beziehung zu Irina bedeutet, und zwar durch den Konflikt mit ihrem Sohn. Ohne Frau scheint alles egal. Nur die Tauben bleiben ihm offenbar treu. Sie entschädigen ihn noch für alles, was fehlt:
„Wenn sie aus dem Himmel stürzen. Wenn sie die Flügel anlegen und zack, einfach da sind. Zu wissen, dass die Tauben kommen, dass sie immer wiederkommen, egal von wo, und sein Haus ist das Zentrum der Welt.“
Aber schließlich geht es Schlag auf Schlag: Matuschek findet seinen Freund Igor tot im See. Matuscheks Arbeit wird von einer Maschine übernommen und selbst die Tauben vernachlässigen nicht nur den Nachwuchs, sondern bringen sich gegenseitig um.
Der Junggeselle öffnet seine Post nicht mehr, er säuft und spricht in Gedanken nur noch mit Igor und verkommt und wird krank und vergisst sogar die Tauben.
Dann taucht er irgendwann wieder auf, erinnert er sich an den lungenkranken Witt, den einzigen, der ihm noch geblieben ist. Er findet ihn schließlich tot in dessen Bunker, den der sich gegen den atomaren Supergau gebaut hat.
Am Ende des Romans hat Matuschek sein Haus verkauft und Mecklenburg verlassen. Sein Wohnwagen steht irgendwo an der Elbe, wo ein Atomkraftwerk zurückgebaut wird. Matuschek meißelt den harten Beton in Stücke. Dann wieder verschiebt der das Material. Freunde will er keine mehr, nur die Tauben sind geblieben und wohnen in einem Bauwagen. Sein Leben wird zusammengehalten vom Rhythmus des Tages. Und so zieht der Roman folgendes Resümee:
„Das mit dem Glück ist so eine Sache. (…) Viel angehäuft hat er davon nicht. Aber hier zählt das nicht, es gibt die Arbeit und die Pausen. Mehr braucht er nicht. Man gewöhnt sich an alles, auch an das, was fehlt.“
Soweit die Story des Romans, den ich, trotz aller Reduktionen, trotz der Beziehungslosigkeit, trotz des Immerweniger und der Aussichtslosigkeit gern gelesen haben. Das liegt in erster Linie daran, dass es der Autorin gelingt, ihren Nicht-Helden Matuschek so unprätentiös und in gewisser Weise hilflos, aber mit vielen sprachlichen Details und Bildern dem Leser näher zu bringen. Und es liegt vor allen Dingen daran, dass es ihr im Kontrast zur Dekonstruktion jeglichen Lebenssinns gelingt, Bildebenen aufzubauen, die tragen.
Nehmen wir zunächst das Motto des Romans:
„Sein Fels ist seine Sache“.
Preiwuß zitiert den Sisyphos-Mythos gleich zu Beginn. Es ist Albert Camus Credo des Absurden, dem sie die Geschichte unterstellt und damit dem Spannungsverhältnis der Sinnwidrigkeit und der Sehnsucht nach Sinn uneingeschränkten Raum gibt.
Wenn es um Gott geht, wird Matuschek wild. Nach einer lebensgefährlichen Autofahrt ausgerechnet bei einem Unwetter, das er, der Wettermacher, natürlich nicht beeinflussen konnte, ist es die sich bekreuzigende Irina, die ihn völlig aus der Fassung bringt:
„Mann, ich mach das doch alles nur für dich, schreit er, schnallt sich ab, steigt aus, haut auf die Motorhaube und setzt dazu ein paar Brüller ab, die gegen alles gehen, ihren Gott, die Haie, den Regen, das Land.“
Kerstin Preiwuß zeigt die Absurdität der menschlichen Existenz durchgängig und konsequent im Bildraum des Steins, des Granits, besonders des Betons.
„Erst hat man keine Zähne, dann fallen sie einem aus. Dazwischen beißt man ständig auf Granit“,
sagt Matuschek.
Am Ende lebt er provisorisch in einer Betonwüste, zerkleinert Betonwände eines Kernkraftwerks und verschiebt das Material. Er macht erst mal ein bisschen Fläche, ehe sich die Arbeiter mit dieser außerirdischen Filmkulisse für einen James-Bond-Film bewerben wollen und ehe das zerkleinerte Material in den Straßenbau wandert.
Auch im Leben seines Freunds Igor, der aufgrund einer Scharlacherkrankung kinderlos bleibt, spielen Steine eine Rolle. Auch ihn bringt übrigens das Verhalten seiner Frau in emotionale Bedrängnis.
„Manchmal geht sie zur Heiligen Jungfrau, du weißt unsere Ikone an der Wand, und zündet eine von diesen gelben Kerzen an, weiß der Teufel, wo sie die herhat. (…) Überall stehen irgendwelche Steine herum, Kristalle, sagt sie (…)“.
Der einzige, der ein anderes Verhältnis zu Stein und Beton hat, ist Witt. Seine größte Furcht angesichts der Atomenergienutzung ist, dass „Irgendwann (…) alles Staub (ist). Das geht schneller, als du denkst…“ Und deshalb baut er sich einen Bunker, in dem er hofft zu überleben, am Ende jedoch stirbt.
Man kann es anstellen, wie man will, könnte die Losung des Romans lauten, ob man sich hinter Beton verschanzt oder ob man Beton zerkleinert, die Absurdität des Lebens bleibt immer gleich. Immer geht es ums Betongießen oder ums Steinmeißeln, erst wird aufgebaut, dann eingerissen. Die einzige Perspektive ist Onkalo, ein finnischer Ort, in dem ein atomares Endlager als unterirdische Betonhöhle gebaut wird. Dorthin könnte man gehen, um neue Arbeit zu finden, um Beton zu gießen, wenn der Betonabriss an der Elbe erledigt ist.
Am Ende frage ich mich angesichts dieser individuellen Apokalypsen, was geschehen wäre, wenn Hans Matuschek nicht noch mehr von seinem kleinen Glück mit Irina hätte haben wollen? Angesichts der inaugurierten atomaren Apokalypse, frage ich mich, wie die Künstler, die mit ihren Kindern Matuscheks Haus bezogen haben, in der Natur glücklich sein können? Hält das Leben vielleicht doch mehr bereit als das Zugehen auf Niedergang und Tod?
In der Welt von Kerstin Preiwuß scheint diese Frage fast müßig. Denn wie im Langgedicht „Gespür für Licht“ geht der Dialog mit dem Leben irgendwann über in den Dialog mit dem Tod. Hinter diesem Wechsel findet sich kein Sinn. Davor aber steht die Frage, ob man ein solches Leben aushält oder nicht.
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