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Kritik

Das Mensch

Hamburg

Esther Kinsky, zuletzt als Autorin ausgezeichnet, ist seit vielen Jahren auch eine hervorragende Übersetzerin. Ihre neueste Übertragung ist ein Stück Schwerstarbeit, das als nahezu unübersetzbar geltende regio-idiomatische Lied vom Abendrot des Schotten Lewis Grassic Gibbon. Der Roman entstand Anfang der Dreißiger Jahre als erster Teil einer Trilogie im Stil der Moderne, die als eine urschottische Version von Hamsun plus Gorki daherkommt, mit hoher Sprachversatilität und sozialistischer Zielpeilung. Was Iain Galbraith, Verfasser des lesenswerten Nachwortes zunächst behauptet, und dann später revidiert, "eine im schonungslos unverständlichen Dialekt verfasste Bauernschmonzette", stimmt rein inhaltlich gesprochen. Das episch-pathetische Handeln rund um Blawearie, das sterbende Gehöft in einer kriegsversehrten Zeit und geschundenen Landschaft, und die charismatische Hauptfigur, die selbstbewusste Chris Guthrie ist eher stereotyp und holzschnittartig, will sagen, eine durchschnittlich packende Fabel. Was dagegen scharf, innovativ und der Zeit weit voraus ist, und vielleicht ist der Roman deswegen nach wie vor der allerpopulärste Schottlands auch 2016, so Galbraith, ist die Verwendung der Erzählsprache Scots. Und zwar eines wenn man so will hinzuerfundenen. Weder von den gälischen noch der skandinavischen Ursprüngen dialektal ausschließlich genährt, so West und Ostfärbungen der Sprache, sondern in einem vereinigenden "Nationalidiom", mit eigens kreierten Vokabeln angefüttert. Gibbon geht hier einer Pionierarbeit nach. In dieser Sprache ist kaum Literatur vorhanden bis dato, er biedert sich nicht an, er nutzt das Chthonische der Verbindung von Erde und Klang. Nach einer witzigen historischen Einführung in das (fiktive) Terrain, am Ende ist eine von Gibbon selbstverfertigte Karte abgedruckt, sieht dem Auenland nicht unähnlich, geht es ins Drama hinein, dabei wandelt sich die Sprache und wird zunehmend "klarer".

Chris Guthrie lässt sich durch keinen Schicksalsschlag, keiner Tradition und keiner noch so schlechten Behandlung von ihrem Willen abbringen. Sie bildet sich und fühlt sich dennoch Blawearie so verbunden, dass sie sich trotz anderer Möglichkeiten zu ihrer Hüterin berufen führt. Der Erste Weltkrieg und seine Verheerungen zerstören gegen Ende das Gefüge dieses Kosmos, doch Chris Guthrie "blickt fest" in die folgenden Trilogiebände. Detaillierte Landschaftsbeschreibungen und Episoden "vom Lande", die um Realismus bemüht sind, sowie Mini-Dramen des Soziokosmos füllen das Lied vom Abendrot. Es wurde interessanterweise, als komplette Trilogie bereits in den 1970 Jahren in der DDR übersetzt und erfolgreich aufgelegt. Allerdings, befreit von allen sprachlichen Ambition und "bereinigt", so Galbraith in eine durchaus packende, aber bgestripte Hauptsatzfabel mit klar sozialistischem Impetus. Nun Kinsky. Das Problem als solches ist, dass es im Deutschen keine Entsprechung für Scots gibt. Es ist nicht unbedingt damit getan, einfach aus allen möglichen Dialekten, die gewiss auch teilskandinavischen Ursprungs sind, eine parallele "Kunstdialektsprache" bzw. Geheimsprache zu konstruieren. Hauptbestandteile bei Kinsky kommen hier aus dem Platt, Norddeutschen und bisweilen Einschübsel aus dem Süddeutschen. Es ist zwar rhythmisch astrein, jeder einzelne Satz sitzt und macht im gestalterischen Impetus Sinn, doch ist es für einigermaßen dialektal vertraute LeserInnen völlig aus der Bahn werfend, dass sich Schotten mit "Moin Moin" begrüßen, die "Deern von Peesie's Knapp mall und mucksch" ist oder im "Kinraddie House die kruschkoppige Munrosche bannig eisch um die Ecke glüüstert". Man hat Schwierigkeiten, diesen Text ernst zu nehmen (das wohl auch bei Gibbon im Original passiert), allerdings mit dem Unterschied, dass Land, Leute und Namen mit der Sprache zusammengehen, hier leider nicht. Dieses ablenkende Moment, und zwar durchgehend im Buch, erschwert die Aufnahmekapazität enorm und trotz Anhanglexikon stellt man sich die Frage, ob es nicht konsequent wäre, die gesamte Logik parallel zu konstruieren, sprich Schottland fiktiv sein, eine literarische Platt-Heterotopie werden zu lassen, wo ganz Sprache, Chthonik etc. regiert, und gleich sofort ist das auf eine Weise kontrafaktisch bei einem so stark auf Realismus fußenden Inhalt, dass einem nichts bleibt als ein Seufzer.

Lewis Grassic Gibbon bleibt eine Herausforderung im Unmöglichen. Trotzdem hat Esther Kinsky eine phantastische, umsichtige und in sich auch nachvollziehbare Arbeit vollbracht. Das Buch mitsamt seinen liebevollen Einführungen, Nachworten, Materialien ist eine sehr mutige Publikation aus dem Hause Guggolz und vielleicht muss man einfach parallel die 1970er Übersetzung und Kinsky lesen und das Original, um aus diesen drei Möglichkeiten Gibbons Arbeit als deutschsprachige Lesende zu begreifen. (Doch ist Gibbon nicht Homer, und die Fabel ist wie angedeutet eher kleiner als ihre sprachliche Verpackung)

Lewis Grassic Gibbon
Lied vom Abendrot
Übersetzung:
Esther Kinsky
Iain Galbraith
Guggolz
2018 · 397 Seiten · 26,00 Euro
ISBN:
978-3-945370-15-5

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