Duschen im Regenmantel
Die in Wien ansässige Zeitschrift Triëdere erscheint zweimal jährlich mit thematischen Schwerpunkten. Der gerade noch aktuelle Band ist mit „(Gedichte) übersetzen“ betitelt, dabei hätte es die bescheidenen Klammern nicht unbedingt gebraucht, denn in den meisten Texten geht es sehr spezifisch um das Übersetzen und Übertragen von Lyrik. Es wird aus theoretisch-essayistischer Sicht und als künstlerische Praxis beleuchtet, was mit der programmatischen Ausrichtung von Triëdere als „Zeitschrift für Theorie, Literatur und Kunst“ korrespondiert.
Das größte Erkenntnisversprechen liegt, wie so oft, nicht in der Theorie, sondern in der Lyrik selbst. Schon die famosen Gedichte von John Clegg, denen erfreulich viel Platz eingeräumt wurde, machen das deutlich – neben den englischsprachigen Originalen finden sich Übersetzungen von G.H.H. So lädt jede Doppelseite zum unmittelbaren Vergleich ein, Wort für Wort, Vers für Vers. So wie man es von zweisprachigen Ausgaben kennt, ein bewährtes Konzept. Alexander Wöran und Mathias Müller dagegen haben den gleichen Ausgangstext, ein Gedicht der deutsch-amerikanischen Lyrikerin Rosmarie Waldrop, übersetzt; herausgekommen sind zwei erstaunlich verschiedene Gedichte, und: keines davon ist weniger legitim als das andere, keines „schlechter“ oder „besser“.
Timo Brandt, wie G.H.H. einer der Herausgeber der Zeitschrift, zeigt, wie schwierig ein so unscheinbarer Titel wie der von William Carlos Williams‘ berühmtem Gedicht „This is just to say“ zu übersetzen ist. Dreizehn Varianten hält er fest, und auch die sind grundverschieden, vom ganz persönlichen „Nur, dass du weißt“ bis zum nüchternen „Fürs Protokoll“. Hier wird besonders deutlich, dass das Übersetzen nicht zuletzt eine endlose Abfolge von Entscheidungen ist. Für diese oder jene Vokabel, diesen oder jenen Duktus. Von Brandt stammt auch die These auf dem Klappentext: „In keiner Übersetzung kann etwas verlorengehen – es kann höchstens passieren, dass nichts hinzukommt (...)“. Darüber kann man gewiss diskutieren. Brandts „fünf Etüden“ zum Gedichteübersetzen, denen die Passage entnommen ist, sind in jedem Fall wert, gelesen und bedacht zu werden.
Einen noch tieferen Blick in die Werkstatt des Übersetzens ermöglicht Günter Plessow. Er protokolliert die Zwischenschritte seiner Übersetzung des Sonetts „Love is not All“ von Edna St. Vincent Millay: wie er anfangs den „Bauplan“ des Gedichts analysiert – also Syntax und Semantik, „Form und Aussage“. Dann seine „Mittel“ – Rhythmus, Reim, Interpunktion. So wird anschaulich gemacht, wie Plessow von einer Version zur nächsten kommt und dabei immer tiefer in den Text vordringt, wie er Schicht für Schicht freilegt, was sich bei einer ersten oberflächlichen Betrachtung noch gar nicht erschließt. Am Ende des Beitrags haben wir nicht eine Übersetzung gelesen, sondern viele. Womöglich ist die perfekte Übersetzung eine, der man sich allenfalls annähern kann.
Dass der Band einen großen Schwerpunkt auf Übersetzungen aus dem Englischen (und ins Englische) setzt, ist wenig verblüffend, aber doch etwas schade. Die englischsprachige Lyrik nimmt schließlich allein schon deshalb eine Sonderstellung ein, weil so viele Menschen gut genug Englisch verstehen, um auch die Ausgangstexte lesen zu können. Aber andere Sprachen bringen andere Fragestellungen mit und gewiss auch andere Hürden – wie übersetzt man etwa eine Sprache, die kein Tempus unterscheidet, in eine, bei der jedes Verb eine Zeitform zugewiesen bekommt?
„Die Lyrikübersetzung verwandelt nicht nur den Text, sondern auch den Übersetzer“, sagt Geraldine Gutiérrez-Wienken. Manchmal fragt man sich bei der Lektüre des Bandes schon: Und was ist mit denen, die die übersetzte Lyrik dann am Ende lesen? Im Zweifelsfall schärfen wir bloßen Leser*innen unseren Blick für das, was durch eine Übersetzung mit einem Gedicht geschieht, meist für unsere Augen verborgen. Den wenigsten Übersetzer*innen ist es vergönnt, mit auf dem Cover zu stehen, wie es etwa bei dem profilierten Ulrich Blumenbach der Fall war, als er – sehr frei – Dorothy Parkers Gedichte neu übertragen hat. Im Zürcher Dörlemann Verlag, wo der Band unter dem Titel „Denn mein Herz ist frisch gebrochen“ 2017 erschienen ist, ist das Usus. Anderswo verschwinden die Übersetzer*innen schlimmstenfalls in einer der mittleren Zeilen des Impressums. Das Sichtbarmachen ist ein erster Schritt zur Anerkennung.
„Poetry in translation is like taking a shower with a raincoat on“, lernt der Titelheld in Jim Jarmuschs „Paterson“ (2016) am Ende des Films von einem japanischen Dichter, der sich aus ebendiesem Grund dagegen entschieden hat, sein Werk ins Englische übertragen zu lassen. Man könnte natürlich behaupten, dass eine Dusche im Regenmantel schlicht sinnlos ist. Vielleicht ist sie auch bloß ein andersartiges, nicht weniger angenehmes Erlebnis, das müsste man allen Zweifeln zum Trotz erst einmal ausprobieren. Vielleicht ist es noch viel einfacher und der japanische Dichter irrt. Wenn man auch nur eines lernt aus dem Band, dann: dass die mühsame, akribische, klang- und wortgenaue und nicht zuletzt künstlerische Arbeit der Lyrikübersetzung sich eben doch lohnt. Und zwar, natürlich, nicht nur für die Dichter*innen und Übersetzer*innen.
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