Schnee-fucking-wittchen
Mette Moestrups erster auf Deutsch übertragener Gedichtband Stirb, Lüge, stirb ist ein krachender Bang. Aggressiv, drückend und sehr deutlich. Ein Abgesang auf das Schöne, das Gedichtpathos, ob zeitgenössisch oder klassisch, eine ganz eigene Schöpfung mit einer wutvoll-ausladenden In-your-Face Haltung, die sicher auch LeserInnen finden wird, die sich nicht primär der Lyrik widmen.
"Art must be beautiful. Art must be beautiful. Art must be beautiful – not!
So wie niemand rein ist. Und das ist gut."
Übertragen von Alexander Sitzmann, und nur einsprachig Deutsch wiedergegeben, beziehen Moestrups Gedichte eine klar feministische Position und darüber hinaus eine feministische Ästhetik, ein Spiel mit eigenen Regeln, das unvorhersehbar zwischen grafisch-performativen und sprachlich-kritischen Ebenen pendelt, oftmals bis zur Nervigkeit auf Wiederholungen/ -käuungen und Nullpunkte setzt, nur um dann stärkste Spannungsbögen zu schlagen und, ganz gegenteilig, scharfe Spitzen und Gipfel zu setzen, denen man sich nicht entziehen kann.
Die vier Abschnitte von Stirb, Lüge, stirb sind unterschiedlich ausgestaltet, folgen jedoch alle einem epischen Schema aus Erweiterung, Veränderung/ Variation des Gesagten. Der erste Abschnitt Weiße Milch aus der bösen Brust beginnt mit sperrigen, widerspenstigen Versen, um dann immer stärker in Abstraktionen, absichtsvolle Billo-Reime zu verfallen und eine insgesamt sehr komplexe und den Band kondensierende Wortreise von Milch, Zebras, Revolvern und Gefrierfach zu streuen, bei der sich häufig Männliches verderblich in Bilder einschiebt. Moestrup dichtet:
"Dein Körper ist erlaubt, erlaubt, erlaubt.
Du hast nichts geraubt, geraubt, geraubt
zum Spaß und überhaupt.[...]
Du stichelst viril mit einer Nadel gegen die Psyche in ihrem Fleisch.
Ich hab meinen Tod nicht gesehen. Ich hab nur
ein Reptiliengehirn in Menschenaugen glühen gesehen, ultrarot.
Das erschreckte es zu Tode, mein kleines inneres... äh...
Fohlen!
Ich meine Füllen, niemand hat hier was befohlen.[...]
Only language grows such grass-green grass.
Grasgrünes Gras, ich lauf durch dich,
intuitiv, systematisch,
während du meine Knöchel wie Zungen leckst.
Und das knöchellange, mitternachtsblaue Secondhandkleid,
dessen Ärmel sich wie Tulpenblätter an den Schultern öffnen,
schleift mich mit sich durch dich, grasgrünes Gras,
als wär ich sein zufälliger Inhalt.
Und über dem Halsausschnitt schwebt
das Reptiliengehirn, während der Mond
maskulin scheint, abstrakt"
In die stärker ausgestalteten Gedichte setzen sich typographisch, spielerische Sprachperformances hinein, die wie Refrains wiederholt werden oder auch mantraartig wachsen. Dazu gehört zum Beispiel folgende "conclusio":
"dass die Milch einschießt
wenn ein fremder Säugling weint
dass man keine Wahl hat
ergo keine "gute" Wahl
macht es nicht falsch"
Oder das "Arbeiterinnenlied", in dem Moestrup schreibt:
"Mein Kittel ist zu kurz,
und das ist mir nicht schnurz,
denn ich bin feministisch,
und der Kittel ist sexistisch"
Moestrup macht die Komplexe auf, die hinter language, Schnee oder besagten Milch, Zebras etc. anstehen und widmet ihnen nacheinander oder auch arbiträr jeweils eigene Auseinandersetzungen, die sich bis zum Ende des Buchs in ein Ganzes fügen und so einen Welt/ Spielkosmos aufbauen, der die Leser früh oder später mit sich nimmt, ihnen Raum gibt, sich zurechtzufinden und auch durch Sperrigkeiten hindurch Erfahrungen machen lässt. In Ganz wenig über Cleis (Sapphos Tochter, oder was?), einer Auseinandersetzung der beiden gleichnamigen Fragmente Sapphos, wird versucht eine Biografie auf Basis der überlieferten Worte, Übersetzungen und Assoziationen zu verfassen. Ein sehr gelungener, konkreter Text Moestrups, der wiederkehrend mit leicht geflappsten Vergewisserungen arbeitet, wie
"Entmutigt mich das? Nein!
Will ich eine Biografie schreiben, oder was? Ja!"
Ihre Sprachspuren und Felder der Bedeutung Cleis, von Tochter zu Blume, Diamant oder Klitoris, verbinden sich mit Fremdstimmen, zu einem dichten Geflecht, dessen Ausgangsantrieb (Ja, ich will) das Bewegte, Getriebene des Bands widerspiegelt. Ladies first und Gesichter in Gesichtern I-X setzen anschließend die eingeschlagene Richtung fort, mit sprachgewaltigen Texten, die vermehrt dem Inhalt trauen, die Abstraktionen, Listen und sprachspielerischen Wiederholungen und Reime aufgeben des ersten Teiles, dessen Themenkomplexe jedoch weiterführen. Besonders in letzterem finden sich programmatischen Kicke wieder wie Stirb, Lüge, stirb oder Was ist es, das ein Gedicht schön macht, die demontieren durch Aussprechen, Abreißen und Selberbauen. Die drückenden Blinzel, Blinzel, Blinzel oder Klatsch, Klatsch, Klatsch oder beautiful, beautiful, bitte, bitte, bitte sind wie eigene performative Elemente im Text inszeniert. Am Anfang von Klatsch, Klatsch, Klatsch heißt es:
"Stehende Ovationen für einen Zauberkünstler,
dessen Kopf immer wieder nachwächst,
womit er ein ums andere Mal beweist, bezeugt,
dass ein Enthaupteter das Aufschlagen
seines abgeschlagenen Kopfes auf der Erde hören kann; dass der
Gehörsinn
der letzte Sinn ist, der stirbt. KLATSCH, KLATSCH, KLATSCH.
Stehende Ovationen für Teenagerinnen,
die Puppenglieder in Frischhaltefolie einpacken und ihre inneren
Augenlider
gegenseitig mit Küssen lobpreisen. KLATSCH, KLATSCH, KLATSCH.
Stehende Ovationen für ein Zebrafohlen,
das seine Fledermausflügel in die Cola der Nacht ausbreitet:
Schau Mutter, keine Jazzhände! KLATSCH, KLATSCH, KLATSCH"
Der beschließende Teil ist ein Stück konkrete, visuelle, choreographische Poesie namens Schwarzes Dreieck. Es ist ein konsequenter, kosmischer, fast sci-fi-artiger Abschluss eines politischen Gedichtbands, der Wucht und Wut mit Abwechslungsreichtum und vor allem Lesbarkeit vereint. Mette Moestrup gelingt ein Spagat zwischen Botschaft und Ästhetik. Auf viele Weisen neuartig, verblüffend und eigenwillig schafft sie es, auch vermeintliche Platitüden intuitiv in ein größeres Ganzes zu integrieren, sodass am Ende alles seinen Platz legitimiert, in einer sowohl wichtigen als auch qualitativ herausragenden Veröffentlichung.
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