Hymnisches Konzeptalbum
Feierliche Andichtungen von Individuen des öffentlichen Lebens wohnt gemeinhin ein Geschmack nach fragwürdiger Überhöhung und Personenkult inne. In der Moderne und der Nachmoderne sind sie nicht selten ein Wagnis. Natürlich ist es schon einmal ein substanzieller Unterschied, eine staatlich verordnete Ode auf Väterchen Stalin zu schreiben oder private Fan-Strophen an einen Filmstar. Etwas ganz anderes aber ist es, wenn die besungenen Subjekte etwas Exemplarisches verbindet, das die Texte zum Vorschein bringen – wenn ein variantenreiches künstlerisches Grundkonzept dabei sichtbar wird. Beim kleinen und feinen Elif-Verlag am Niederrhein erschien soeben der Gedichtband „hochgestimmt“ von Monika Vasik, der genau diese Richtung aufnimmt.
Die Gedichte, die die Wiener Autorin und Ärztin Monika Vasik im Lauf der letzten fünf Jahre für ihren neues Buch geschrieben hat, sind Hymnen auf das Facetten-Reich der weiblichen Stimme. Sie vermittelt ihrer Leserschaft mit jedem Vers die Begeisterung, die sie beim Hören der unterschiedlichsten Sängerinnen aus der ganzen Bandbreite musikalischen Vokal-Geschehens rund um den Erdball empfindet. Ihre Gedichte gelten Größen aus dem Pop-, Rock- und Jazzbereich genauso wie hierzulande weniger bekannten Stimmen aus weltweiten regionalen Musiktraditionen wie auch aus der europäischen klassischen Musik. Von Belcanto bis Blues Rock, von Ethno bis Experiment, vom dunklen Alt bis hinauf zum Koloratursopran grummeln, kratzen, schwingen, swingen, balancieren und tirilieren die portraitierten Frauenstimmen: Einladungen, auch diejenigen unter ihnen kennenzulernen, von denen man selbst bisher vielleicht noch nichts gehört hat – dank der zahlreichen frei verfügbaren Clips im weltweiten Netz kein Problem.
So schließt sich wenigstens ansatzweise so manche Bildungslücke. Vasiks Text über die „arabische nachtigall“ Umm Kulthum, die noch heute mehr als vierzig Jahre nach ihrem Tode als „Stimme Ägyptens“ gilt und hierzulande vermutlich vor allem dem Teil der Bevölkerung mit orientalischen Wurzeln ein Begriff ist, spricht von der Wirkungsweise dieser faszinierenden Stimme:
„[...] jeder deiner töne / wirkt als medizin / zugleich als rauschmittel / ist teil deines aufbruchs der noch / immer wärme gibt um für momente / das zeitjoch der menschen zu lösen [...]“
Auffallend bei den vorliegenden Gedichten ist die häufige direkte Ansprache, das „Du“ der Sängerinnen. Vasik baut eine Beziehung auf zu den Persönlichkeiten hinter den Stimmbändern, verknüpft Werdegang, Zeit und Gesellschaft, Kunst und Ausdruck mit ihnen. Ihre Gedichte sind Positionsbestimmungen weiblichen Gesangs, die nicht nur die individuelle Art und Weise der Interpretation beleuchten; vielfach wirft Vasik auch die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz auf, die die Stimmen vermitteln, die da etwa „für nichts / und wieder nichts oder bloß einen drink / von den dramen des einfachen lebens“ singen wie im Falle der kapverdischen Sängerin Cesària Évora. Oder ganz direkt die wunden Stellen aufspüren wie Joan Baez:
„[...] kritik an vaterlandschaften am lungern / in mustern aus denen die angst bis an die zähne / bewaffnet sich ihre objekte willigt [...]“
Doch auch das Ausagieren reiner Musikalität kann bei einigen Texten durchaus im Vordergrund stehen wie im Gedicht über Sarah Vaughan:
„[...] du lebst jazz und triviale songs / mit der gleichen intensiven freude aus der pulpa deines / kehlkopfs und den sinnen des mundes [...]“
Bei einigen wenigen Gedichten, etwa über bekannte Größen wie Ella Fitzgerald oder Barbra Streisand klingt ein von musikjournalistischen Stereotypen beeinflusster Sound durch, der Floskelhaftes wie „denn singen ist leben“ oder etwas überstrapazierte Begriffe wie „schmelztiegel“ und „professionelle broadwayleichtigkeit“ verwendet; möglicherweise ein Hinweis darauf, dass zur Abrundung des Angebots auch ein paar Stimmen Aufnahme fanden, zu denen die Dichterin eine nicht ganz so enge eigene Beziehung hat? Dass es viel wirkungsvoller geht, auch bei (aus eurozentrischer Sicht) Weltstars, beweist Vasik in ihrem Text über Anna Netrebko, deren Arien ihr „hellste berührung“ sind oder bei der Beschreibung der Geist-Körper-Interaktion einer Édith Piaf:
„[…] dies leuchten der leidenschaft / swingt frei von bedingung aus dem schatten / deiner schlüsselbeine in kopf und füße / zwischen du und du”
Vasiks Gedichte kommen weitgehend ohne festgefügtes Verskorsett aus, nur wenn etwa Formstrenges für eine streng geformte Stimme sprechen soll wie im Falle von “seraphische wonnen” auf die österreichische Opernsängerin Gundula Janowitz, arbeitet sie auch schon mal mit regelmäßig eingerücktem Zeilenbau. Enjambements verwendet sie häufig, was mitunter verschiedene Sinnzusammenhänge möglich erscheinen lässt. Neologismen wie „zungenrausch“ und „sperrangeleng“ werden sparsam dosiert, Vasik hat ein gutes Gespür dafür, ihre Zeilen nicht zu überwürzen, ihre Sprache zum Erlebnis zu machen, wie in dem Text über die kurdisch-türkische Sängerin Aynur Dogan:
„resonanz und widerklang // die tradierte musik willst du einfangen voll / spürsinn in schleifen geschwungene töne / an denen sich buchstaben ranken zu worten / wie atemluft die du aus mündern und kehlen der / ahnen stiebst ohne staub ohne patina [...]“
Besonders eindringlich wirken überraschenderweise die Texte nach, die etwas mehr Abstand zu ihrem Subjekt haben und in der dritten Person Singular gehalten sind, etwa das Gedicht über Janis Joplin:
„extravaganzen // all is loneliness and bluesrock / zügellos zwischen stimmbändern vernistet / mit denen ihr herz bis zur erschöpfung seilspringen übt / dieses paradiesvögelchen der sechziger das einsam / zwischen just a girl and mean mean woman zerflattert / mit akne und gewichtsverstörungen / wirft singend ihre anker aus tönen ins leben / dabei tabus und barbiestereotypen allerleirau / zerschmetternd auf der suche nach liebe oh liebe / wirft statt dessen sich selbst / im feinnervenfeuer mit äußerster kraft / in jede note jede einzelne silbe ausschweifend / röhrt sie schreit haucht keucht röchelt und flüstert / sich drogen als tröstung als brennstoff / gets herself going and going and“
„hochgestimmt“ erfüllt insgesamt auf eindrucksvolle Weise den Anspruch, der weiblichen Singstimme lyrisch den Stellenwert zukommen zu lassen, der ihr gebührt. Wie Vasik es in „glockenspiele“ auf die südafrikanische Opernsopranistin Pretty Yende formuliert:
„die eigene stimme lieben lernen / und das vertrauen in jene musik / die dir zufiel [...]“.
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