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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Wie alle Steine beschreiben?

Eine Entführung durch Oswald Egger
Hamburg

Die im Titel gestellte Frage ist im Hinblick auf dieses einzigartige Werk durchaus ernstgemeint. Ein Reichtum wird hier offenbar, von dessen Existenz man sowohl als Leser*in als auch als Autor*in zunächst nichts wusste. Was der Lyriker Oswald Egger hier versucht, ist nicht mehr und nicht weniger als die Offenlegung aller kerngewordener Schichten: der Natur = der Sprache.

„Knochig, trocken, und zittrig pfaucht und es steigt aus dem Geröllbett heißer, flimmernder Gneismassen Luft auf durch die verdurstende Bucht der breiteren Fiumare: wie eine Mirage taucht dann knorriges Astwerk mit verschränkten Dornranken in den Giebel…“

Val di non, dieses so verschachtelte, vertrackte wie füllige Werk, es ist allem voran strenge Form. Dreizehnzeilige lyrische Prosaklumpen, überbordend und gesteckt voll mit wirren Assoziationsketten und Gedankenspielen, manch einem höchstwahrscheinlich zu adjektivschwanger, anderen wiederum eine Fülle an Bildern, die in der deutschen Sprache derart nie das Papier berührt haben.

Unten die Erde, die Steine, das Gras, die Steppe, der Schwefel, und darüber ein Ich, das sich in zweistrophigen Gedichten á vier Versen offenbart, leise und zart, als würde es von oben herab auf Erkreidetes niederblicken. Diese Gedichte säumen Graphiken, die selber wiederum Form in ihrer reinsten Ausprägung sind. Sind es Quallen, Amöben, Tierchen? Will ich überhaupt wissen, was sie darstellen? Wohl eher kaum. Sie sollen magisch, gallig und unnahbar bleiben, die Reise unterstützen, die man als Leser*in unweigerlich antritt, wenn erst einmal dieses Buch aufgeschlagen wurde. Ein Buch wie ein Rätsel, das zu entschlüsseln geradezu einem Tempelraub gleichkäme.

„Und beim Spinnen, da ich durchaus Bind-mich-Fädchen drehe? Windglut-Fünkchen erloschen Asch-kalt, bald. Ein First dampft Firn-weiß, wie faltige Fächer troffen von den Rofen. Fallwinde zerfasern wie Rauschschwalben diesen späten Abend…“

An dieser Stelle seien auch allgemeinere Überlegungen zu diesem und anderen Bänden, die ich in letzter Zeit diskutiert und gelesen habe, angebracht: Was Val di non so reizvoll macht, ist eben keine Attitüde, mit welcher beispielsweise Raoul Schrott in seinem Erste Erde Epos daherkam. Val di non stellt keine Behauptungen auf über die eigene Radikalität, wie es manche jungen Lyrikerinnen und Lyriker nur allzu schnell und allzu laut über die eigene Dichtung vermögen. Dieses Buch behauptet nicht, radikal zu sein, es ist einfach radikal! Der Autor – in diesem Fall Oswald Egger – bleibt nahezu unsichtbar, verschwimmt, löst sich auf – wird irrelevant!

Was hier gewagt wurde, ist wertvoller für die deutschsprachige Literatur und für die Literatur im Allgemeinen als die letzten fünf Frühjahrs- und Herbstprogramme zusammen: sprachliche Form in reinster Ausprägung. Dass dieses Wagnis freilich Wagnis bleibt und nicht die Anerkennung bekommt, die es verdient hätte (Büchnerpreis, Büchnerpreis, Büchnerpreis!!!), ist wiederum mehr Ausprägung einer verkorksten Gesellschaft, die es verlernt hat, auch nur ansatzweise die Form als solche zu würdigen. Gut, dass es immer noch Menschen gibt, die dem Spektakel Einhalt gebieten. Ein Meisterwerk!

Oswald Egger
Val di Non
Suhrkamp
2017 · 208 Seiten · 28,00 Euro
ISBN:
978-3-518-42582-4

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