Wurzel Splint Treib Kern
Der 2006 verstorbene britische Naturaktivist Roger Deakin hinterließ mehrere Werke, die aus seinem Nachlass publiziert worden sind. Unter anderem 2007 Wildwoods, das jetzt in den Naturkunden von Matthes und Seitz unter dem Titel Wilde Wälder vorliegt. Wie zuvor sein äußerst erfolgreiches Waterlog (1999), ebenda als Logbuch eines Schwimmers erschienen, geht Wilde Wälder in einer Art Selbstbeschreibung auf Reise. Es fühlt sich eher wild komponiert an, Deakin hat kein Programm als solches, wie zum Beispiel beim Schwimmer, das als Freiwasserschwimmen und dem Recht darauf eine ganze Bewegung hervorgerufen hat, sondern er streift vor und zurück "als Baumsaft" wie er schreibt. Durch Kindheitswälder im Forscherdrang, in Wissenschaftlichkeit als Botaniker und Naturbewohner in Thoreaus Nachfolge, als Kunstinteressierter, der speziell Holzbildhauer oder Landschaftsmaler und -dichter aufsucht, sich ihnen verbunden fühlt, als Handwerker und Erfahrungsbewahrer, der in einem Waggon wohnt und Vernakuläres renoviert, als Heckenleger und Früchteernter und schließlich und endlich als Reisender, der Passagen zu entlegenen Regionen wie den kasachisch-kirgisischen Nusswäldern, den Waldkarpaten oder Traumpfaden nahe Alice Springs und ihren besonderen Bewohnern sucht.
Deakin schreibt je nach dem, in welchem Thema er sich befindet, interessant und anregend, versponnen und melancholisch oder packend und getrieben. So sehr die wirklichen Reisen an benannte Orte konkret und aufregend per se sind, so ist es letztlich doch eine hauptsächlich "touristische" Erfahrung, angereichert mit Anekdoten, Schrullen und einem durchgehend naturverständigen Blickhorizont. Doch die besten Stellen sind eigentlich alle ur-englisch, britischen Themen, die Deakin aus nächster Nähe umreißt. Skurrilitäten wie pagane Reisigtänze in Kathedralen zum Gallapfeltag, die immens aufwendige und seltene Herstellung des perfekten Kricket-Schlägers oder die Auswahl des Nussfurniers für den Jaguar-Innenraum. Der ehemalige Dokumentarfilmer Roger Deakin ist immens belesen und zitiert alle Nase lang aus Literatur und Kunst. Er sucht David Nash und Mary Newcomb auf und unterhält sich mit ihnen über ihre Arbeit oder sieht ihnen dabei zu, wie sie Holz in einem Kettensägenballett bearbeiten, wie es Normalsterblichen nicht möglich ist. Mit schöner Regelmäßigkeit taucht man in detailliert beschriebene Landstriche, die selbst wie ein Mikroklima funktionieren. Mit eigenen Riten, Spezies und scheinbar eigener Sprache (s. Ortsnamen – Namen überhaupt)
DIE OSTENGLISCHE KÜSTE
Wo der Peddars Way genau beginnt, ist eine interessante Frage. Es liegt irgendwo in der Heide von Bridgham, direkt oberhalb des River Thet, der von East Harling nach Westen führt, durch Bridgham und schließlich in eine Gegend mit knorrigen Waldkiefern und sandigen Wäldern voller Pingos, die aussehen wie die Grünbunker eines lang ausgedienten Golfplatzes. Von dort verläuft er fast schnurgerade nach Norden durch die Brecks, vorbei an Wretham und Blackrabbit Warren, bis er sich hinter einem kleinen Wald namens Shaker's Furze zwischen einigen Hügelgräbern auf dem Sparrow Hill scheinbar verliert, nur um nach kilometerlangen öden Ackerflächen wiederaufzutauchen und in einer gestrichelten Linie an Swaffham vorbei nach Westen zu führen. Wie die episodischen Gespräche, die man auf langen Wanderungen führt, taucht er im gesamten Gebiet von Norfolk auf und ab, besucht den vielbesuchten Walsingham Shrine und erreicht zuletzt in Holme-next-the-Sea den äußersten Rand der bekannten Welt.
Die vorzügliche Übersetzung von Andreas Jandl und Frank Sievers macht vor keinem Handwerksjargon halt und findet die klangvoll-urige Entsprechung. Die Kapitel des grünlich-braun gefärbten Naturkunden zieren Maserungsinventare. Wilde Wälder ist ein wie immer ansprechend gestaltetes Tauchbuch in eine Welt, die sich mittlerweile sicher erneut in Vielem verändert hat und deren Retreats, von denen Deakin redet, sich wiederum verlagert haben, möglicherweise aus der Natur selbst heraus in die urbanen Rückstellen. Nicht ganz so zwingend wie sein Klassiker das Logbuch eines Schwimmers ist Deakins zweite Veröffentlichung in der Reihe dennoch eine schön schwappende Kiste.
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