Kritik

Die Tweens brennen in den Pools

Merve druckt das Skript von Ryan Trecartins Film The Re’ Search (Re’Search Wait’S)
Hamburg

Seit Jahren ist der US-amerikanische Videokünstler Ryan Trecartin bei Ausstellungen in aller zahlungskräftiger Welt vertreten. Bei der Biennale 2013 in Venedig oder der 2016 in Berlin waren seine Filme zu sehen. Sie entstehen meist in Zusammenarbeit mit seiner ehemaligen Kommilitonin Lizzie Fitch, Kunstumfeldlern und Kindern. Solidarisch mit seiner Generation der Digital Natives stellt Trecartin viele seiner Werke auch frei zugänglich ins Netz auf Vimeo. Any Ever lautet der Titel eines Filmdiptychons, das zwischen 2009 und 2010 entstand: Jedwedes Jemals; Alles, was es je gegeben hat; Irgendein Immer – wie man auch versucht, die zwei Partikel zu übersetzen: Zeit und Raum sind abgestanden. Zwischen Poolanlagen, streng designten Matratzengruften, nie aber „draußen“, im öffentlichen Raumes, beobachtet man im zweiten Teil des Diptychons The Re’Search (Re’Search Wait’S) junge Leute dabei, wie sie sich Räder schlagend oder Porträts malend mit der Kamera in der Hand das Leben entweder zur Hölle machen oder in orgiastischem Frohsinn auflösen. Alles, was passiert, sollte sich in eine Instagram-Story verwandeln lassen. Ihre Existenz ist Re’Search: keine Recherche nach der verlorenen Zeit, sondern eine im Dienst der Verwertung des auf tausend Kanälen zusammengezimmerten Selbst.

Dem Merve-Verlag kommt nun das Verdienst zu in einer aufwendig gestalteten, zweisprachigen Ausgabe das Skript zu The ReSearch Wait’S zugänglich zu machen. Das Buch erschien im Zuge einer Theateraufführung an den Münchner Kammerspielen im Oktober 2016. Der Übersetzung von Tobias Haberkorn gelingt es, abzuwägen, was auch für deutsche Leser im Text englisch bleiben muss, und fügt sich so gut an Trecartins Idiom an. Der Band ist schick: Vom Farbschnitt umrandetes Hochglanzpapier; die Uhr tickt oben rechts und ersetzt die Seitenzahlen; es ist im Querformat gedruckt, denn der Text braucht Platz. Um der überartifiziellen Sprechweise der Figuren Trecartins visuell näher zu kommen, bietet das Buch eine komplexe Typografie: Fettes, Kursives, in Farbe Gesetztes und hier und da findet sich auch ein ;-). Zentriert, diagonal versetzt kraxeln die Buchstaben über die Seiten. Ständig anders angeordnet, von fast allen Zeichen durchzogen, die die Tastatur hergibt, bleibt die Schrift nicht mucksmäuschenstill, sondern pocht aus dem Papier.

Was die Figuren, die Namen wie Able, Demo, Meow tragen, zu sagen haben, will nicht mehr viel zu sagen haben. Im Vorwort ist von „a ying and yang of nihilism and boundless meaning“ die Rede. Abgebrühte Tweens, die alles durchschauen, deren Identität und Begehren flexibel-beliebig geworden ist, erklären sich die Welt: [Das Original-Layout kann hier nur erahnt werden]

 

„The Future of. Teen-Angst

                                    Has allready been. Shelved

                                                                   &i’m .Like

                                                                            U’R. WRONG

i’m. Comp, licated.

                        Right now I’m really .in2gay’men

                                                               So 2day I’m going 2b .Tom-Gay

Like . Tom-Boy,

              But . Faggy-Cool!

                                          That’s y I’m .a’Timmy!,

 

Trecartins Dialoge und Monologe haben nichts mit differenziertem Diskurstheater zu tun: Sie ballen eruptive, affektierte Sätze zusammen, in denen unablässig gelästert, beleidigt, beschimpft wird. Er versprachlicht das Synapsengewitter, das sich beim gehetzten Geklicke von Clip zu Clip auf YouTube zusammenbraut. Neologismen platzen aus unvollständigen Sätzen. Man spricht miteinander, wie man sich in Chats schreibt. Zwischen den Menschen und ihren Medien verschwimmen die Grenzen - alles kriegt Hass ab, alles ist aber auch irgendwie anziehend und stimulierend:

 

(Voy): ihate Gay’ People

            ihate Straight’ People     &

            ihate iTunes

 

Jordan (MD:) ?SON. your’ .SO’ SEXY., when u’ say THAT

X [FUCK] i’ really like it.

 

Als ein „wechselloses Dasein“ bezeichnet Hegel die jeder Zeitlichkeit beraubte Existenz der Gestalten, die in Dantes „Göttlicher Komödie“ wenig zu lachen haben, weil sie in der Hölle gelandet sind. Die gepeinigten Seelen bleiben auf ewig gefangen in einer grausamen Gegenwart. Ihren Insassen verspricht diese Gegenwart nichts anderes mehr als schmerzhaften Stillstand für immer. Eingesperrt in eine Gegenwart, die auf allen Bildschirmen an ihnen vorbeizieht, wiederholen die Figuren Trecartins pausenlos ihre durchchoreographierten Sprechgesten. Die Sprache zerbricht nicht am radikalen Zweifel darüber, ob sie überhaupt bedeuten kann. Vielmehr zerbirst jedes Wort an der Last all der angesammelten Bedeutungen, der schier grenzenlosen Möglichkeit durch Akzentuierung von einzelnen Lauten, Buchstaben zu einer Rekombination, die nichts verändert, sondern sich immer tiefer gräbt in das Hier und Jetzt, das man immer gerade verpasst hat und deswegen sofort wieder will. In dem schrillen Gekreische liegt aber vielleicht auch ein Schrei (um mehr als 15 Minuten Aufmerksamkeit): Denn wenn die Tweens des Nachts in ihren Flachbauten köcheln und eigentlich nur vor eingeschalteter Kamera leben können, stellt sich - en passant - die Frage der Revolte:

 

Get Ready’ to start Angry.

I’m gonna murder ? some fucking „“father figures

As’a compressed !figure.

 

Feindbilder gibt es also, wenn auch diffuse. „Get ready to start“ droht mit unendlichem Aufschub. Es bleibt die Frage offen, wie die fluiden Identitäten der Figuren nicht in der Subversion lang überholter Rollen versanden könnten, sondern aus der ewigen Gegenwart ausbrechen, die Flachbauten verlassen und sich dem Hamsterrad, das sie durch die Szenen hetzt, entgegenstellen. Sonst wird aus Distinktion eine Ausdifferenzierung zum Tode.

Man muss bereit sein, sich auf Trecartins Tempo einzulassen, das Layout zu lesen, mit wenigen Erzählfäden auszukommen: Dann ist The Re’Search (The Re’Search Wait’S) die Partitur des Purgatorio im 21. Jahrhundert. 

Ryan Trecartin
The Re’ Search
(Re’Search Wait’S)
Übersetzung:
Tobias Haberkorn
Merve Verlag
2017 · 360 Seiten · 28,00 Euro
ISBN:
978-3-88396-388-4

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