eib
Ein nicht näher bestimmtes arabisches Land ist der Schauplatz von Saleem Haddads Debütroman Guapa. Während des Arabischen Frühlings, in der Zeit nach den Protesten, entfaltet sich die Geschichte des Mittzwanzigers Rasa. Innerhalb von 24 Stunden nimmt der Roman sich Zeit das Leben des Protagonisten zu reflektieren und nimmt uns mit in die Gefühlswelt eines jungen, schwulen Arabers. Als Übersetzer und Dolmetscher steht Rasa zwischen westlichen Journalisten und lokaler Politik. Als Mann im heiratsfähigen Alter steht er zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen und seine emotionalen Realität. Der Vater verstorben, die Mutter verschwunden, hat Rasa nur noch seine Großmutter Teta, mit der er zusammenlebt. Verliebt in den schönen Taymour, wirkt ihre Beziehung wie ein Ding der Unmöglichkeit. Und dann ist da noch die Scham, die über allem steht.
Scham bestimmt Rasas Alltag: sie ist das zentrale Gefühl, die innere Polizei, die seinen Platz in der Gesellschaft definiert. Die Scham (arabisch eib), die Rasa beschreibt, anders gelagert, als wir als westliche Leser diesen Begriff besetzen würden. Scham ist nicht nur die Angst von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Die konstante eib ist das Affektregime, das moralische Korrektiv, das Rasas Leben und das der Menschen um ihn herum bestimmt. Alles kann zu eib werden: wie er sich bewegt, wie er spricht, mit wem er sich umgibt und vor allem, wen er liebt. An dieser Koordinate entlang entfaltet sich die zentrale Katastrophe des Romans. Rasa und sein Liebhaber Taymour werden von der Großmutter beim Sex im Schlafzimmer erwischt. Scham erwischt alle: Teta schämt sich für ihren Enkel, Rasa vor sein Großmutter und Taymour, aus gutem Hause, bekommt Angst vor dem sozialen Tod .Alle sind überfordert, denn für alle steht ihr soziales Ansehen auf dem Spiel. Doch Rasa lässt sich nicht von der Scham leiten, er kämpft dagegen an und damit für seine Liebe.
Der Charme des Romans steckt in seiner Freude am Erzählen. Die Themen, die Haddad in ihn hinfließen lässt, sind vielfältig. So ist es nicht nur die schwule Liebesgeschichte, die hier Raum einnimmt – sie wird in einen größeren kulturellen und politischen Kontext gehoben. Haddad gibt sich große Mühe ein Soziogramm über seine Figuren aufzuziehen, das unmissverständlich an ein globales, nicht ein explizit arabisches Publikum gerichtet ist (ohne dabei eine arabische Perspektive komplett außen vor zu lassen). Das Gesellschaftsporträt einer abstrakten, arabischen Gesellschaft will komplex sein. Einige der Erzählstränge laufen dabei ins Leere, ohne befriedigend auserzählt zu werden. Er will möglichst korrekt sein und verliert sich in seinen Figuren. Die Mutter, die nicht mit den bourgeoisen Idealen der Familie klarkommt, in die sie hineinheiratet. Der beste Kumpel, der noch immer an die Revolution glaubt. Die Barbesitzerin, die der namensgebenden Bar Guapa vorsteht, und hier ein Refugium für Menschen jenseits der heterosexuellen Norm schafft. Manchmal verliert der Roman sich unfreiwillig in Klischees, während er an anderen Stellen das Kunststück schafft, die Klischees für sich fruchtbar zu machen. Wir erfahren sehr viel über viele Menschen.
Ist Guapa nun also ein Liebesroman? In Zügen schon, immer wieder gibt es Passagen über die Beziehung zwischen Rasa und Taymour, die ihre Schönheit in ihrer verträumten Sehnsucht entfaltet. Ist Guapa nun also ein politischer Roman? Auch, denn der arabische Frühling, der im unbenannten arabischen Land bereits an Kraft verloren hat, bleibt präsent als Erinnerung und Widerstand. Alles kommt in einer Szene zusammen, an die Rasa sich erinnert, als er in einen Supermarkt geht, in dem er sich mit Taymour vor Scharfschützen verstecken musste: “Gehe ich heute an diesem Supermarkt vorbei, höre ich wieder die Schreie aus der Menge, sehe ich die Körper vor mir, die zu Boden gehen und sich in den Glasscherben der zerbrochenen Tür spiegeln und dich kann wieder fühlen, wie ich das Gesicht gegen Taymours heißen und verschwitzten Nacken drücke.”
Guapa ist aber auch ein Coming of Age-Roman: genauso wie der Autor selbst, studiert Rasa in den USA. Die Zeit im Ausland gibt ihm den Freiraum seine Sexualität zu erkunden und befreit ihn von den Fängen der arabischen Scham. Im Gegenzug bringt diese Freiheit ihm aber auch eine neue Bürde: unfreiwillig wird er zum Araber, der von den sich selbst im politischen Spektrum Links verortenden Studenten, als Sprachrohr einer ganzen Region benutzt wird. Zunächst verknallt er sich in einen Kommilitonen und um ihm näher zu sein, liest Rasa sich in politische Literatur ein. Er treibt sich in linken Cafés herum. Er nähert sich seinem Liebesobjekt, bis es ihn zurückweist. Was bleibt, ist die Neugierde auf eine neue Art zu denken und zu fühlen. Rasa befreit sich von Konzepten und findet seinem Platz in seinem eigenen Leben. Er emanzipiert sich, sexuell wie politisch.
Schwul, Araber, Mittelklasse – der Roman gibt sich Mühe, die Komplexität einer Identität zu erzählen, die mehr ist als, ihre sexuelle Orientierung, ihre Herkunft und ihre Klassenzugehörigkeit. In dieses Gestrüpp auch noch eine ergreifende Liebesgeschichte einfließen zu lassen, ist eine weitere Stärke des Romans. Er ist durchweg mitreißend, er ist durchweg voll von Geschichten. Die Haken, die die Exkurse schlagen, sind groß und manchmal kracht deswegen das Gebälk der Storyline, aber trotzdem folgt man Rasa gerne durch seine Gedanken. In diesem Sinne ist Guapa ein echtes Debüt, mit all den handwerklichen Schnitzern, die dazu gehören. Wer dem Autor auf seinen Social Media-Kanälen folgt, erfährt, dass er bereits an seinem zweiten Roman arbeitet. Ob sein zweiter Roman wieder so autobiographisch wird, wissen wir noch nicht. Gespannt darauf sein dürfen wir aber definitiv: Saleem Haddad ist eine globale Stimme der queeren Literatur, die aus der Erfahrung von Diaspora spricht und genau dort ihr Zuhause findet. Zeitgenössischer kann ein schwuler Roman deswegen kaum sein.
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