Gedicht und Geheimnis
In meinem Leben habe ich gleich zwei Kometen sehen dürfen, jedes Mal an einer Küste bei klarem Wetter: Hyakutake und Hale-Bopp hießen sie. „Ein Komet oder Schweifstern ist ein kleiner Himmelskörper von meist einigen Kilometern Durchmesser, der in den sonnennahen Teilen seiner Bahn eine durch Ausgasen erzeugte Koma und meist auch einen leuchtenden Schweif entwickelt“, schreibt Wikipedia.
Für mich waren die beiden Kometen aber mehr als das. Wunderschön, wie sie am Nachthimmel ruhig vorbeizogen, sogar mich als gottlosen Humanisten an den ‚Stern von Bethlehem‘ erinnerten – und an die Vergänglichkeit und Begrenztheit allen Lebens. Faszinierend als Aufleuchten von Ewigkeit, kosmischer Schönheit und möglichem Schrecken im Alltag.
„horcht,/ horcht,/schweigt,/ schweigt“
Der Titel des Gedichtbandes Şafak Sarıçiçeks, „Kometen Kometen“, hat mich also gleich für sich eingenommen und nicht enttäuscht: Verse eines talentierten jungen Mannes findet man in „Kometen Kometen“ mit Sicherheit. Der 1992 in Istanbul geborene und heute in Heidelberg lebende Jurist mit 1. Staatsexamen hat deshalb auch schon einiges an Würdigungen und kleinen Preisen einheimsen können. Gedichte und Geschichten von ihm erschienen in Anthologien, mittlerweile hat er seinen dritten Gedichtband veröffentlicht, den mit dem doppelten Schweifstern im Titel, und das darin enthaltene Stilmittel der Wiederholung begleitet einen auffällig oft durch Sarıçiçeks 29 (Lang-)Gedichte: „horcht,/ horcht,/schweigt,/ schweigt“, heißt es programmatisch gleich im ersten Gedicht und im fünften „Allein sind Menschen,/ alleinig sie bleiben.// Menschen,/ Menschen“.
Verdunklung und Appell
Die oft schwer zugänglichen Gedichte Şafak Sarıçiçeks habe ich über Tage hinweg mehrfach gelesen. Auch, weil viele Verse komplex bis zur Undurchsichtigkeit scheinen. Vielleicht greift der Autor zum Schluss einiger Poeme deshalb zum Gegenmittel des Appells? Im titelgebenden Gedicht heißt es: „Ich las von einem Kometen. Ein galaxieverlassenes Dorf Ostanatoliens reich machend./ Kometen,/ Kometen/ Kometen machen reich./
Es lodert neu auf, was zerfällt.../ - habt Hoffnung! Habt einfach mal Mut zu Naivem!“
Solche Sätze wirken wie ein Echo auf die gegenwärtige Hoffnungslosigkeit angesichts der politischen Situation in der autokratisch geführten und zunehmend islamisierten wie militarisierten Türkei. Variiert werden sie wiederum in Appellen wie „Wir müssen unsre Würde wieder errichten.“ Oder im ironischen Schreibauftrag des Autors an sich selbst: „Schreib Gedichte, die du musst./ Dann erst/ geh in Lyrikpension.“
Sondierung und Spiel
Nun könnte man nach dieser Eröffnung meinen, Sarıçiçeks Texte seien im engeren Sinne vor allem ausgefeilt politisch. Weit gefehlt. Eher beschreiben die Titel zweier weiterer Gedichte die Schreibintention Sarıçiçeks, sie lauten „Sondierungen“ und „Spiel“.
Sarıçiçeks Sprachsonden dringen nicht nur ins Politische vor, sondern auch ins Feld der Liebe, in literarische Traditionen seines Heimatlandes, sie sprechen von „Bittersüß Heidelberg“ ebenso wie sie als Bildgedichte (Öl Gemälde 1- 4) daherkommen oder die Einsamkeit erkunden. Geschichte (auch die Literaturgeschichte) ist ebenso allgegenwärtig wie es im Gedicht „Neu Anfang“ die Phantasien zu einem Gelingen oder Scheitern von Zukunft sind.
Sprachlich arbeitet Sarıçiçek mit vielen losen Enden, aus denen er immer wieder überraschend tiefe und schöne Texte flicht: „Schwalben werden weiter Musik mit Zitterflügeln oder stetigem Flug zeichnen auf Lufthaut.“
Neben dem Stilmittel der Wiederholung besticht der Autor mit feinsten Farbschattierungen, Sprachspielen, Neologismen, grammatischen Neuordnungen, Lautpoesie oder Anlehnung an die Sprechgesänge des Ska („Ah ja, ät‘z: who? A Ska“). Übergänge zwischen Poesie und Prosa ergeben sich da zwangsläufig.
Zu viel des Guten?
Gerne, vielleicht zu gern, stellt Sarıçiçek auch seine Bildung aus, seine interkulturellen Erfahrungen, verwendet erlesene Vokabeln, ferne Orte, Wahrnehmungsfetzen, Fragmente unterschiedlicher Soziolekte oder Fremd- und Fachsprachen. Viele Leser findet man so wahrscheinlich nicht, aber die, die man findet, nehmen sich hoffentlich die Zeit zu lesen und das Gelesene auf sich wirken zu lassen (oder einiges auch nachzuschlagen).
Manches in Sarıçiçeks Gedichten wirkt sperrig bis hermetisch, vielleicht etwas zu verrätselt und der Leser hofft, dass seiner Anstrengung beim Verstehen eine ebensolche Anstrengung beim Entstehen der Verse entsprochen hat. Der Autor beharrt zu Recht auf dem Gedicht als Geheimnis: „Ich will wieder ein Geheimnis bergen in mir, wie das Leben einst.“ Oder: „Es knoten sich Rätsel, stets ein Geheimes einkehrt.“ Wo, wenn nicht im Gedicht, sollte angesichts des allgegenwärtigen Plapperns, Lügens, Manipulierens denn Sprache als Geheimnis, als Spiel, als Neuschöpfung, als widerständiges Denken überleben? Allerdings wird bei Sarıçiçek gelegentlich aus Anspielungsreichtum assoziative Beliebigkeit, werden aus kühnen Bildern jähe Bilderflut und -wut, die auch zu Gewolltes anschwemmen: „Und selbst das Eichhörnchen/ wie es ist,/ begeht das Palmenblatt.“ Mag sein, dass Sarıçiçek so etwas gesehen hat, realiter oder im Kopfkino, mich aber ermüden solch angestrengte Szenarien. Da hebt der Autor gelegentlich ab: Statt Erfahrungen stimmiger ins Ästhetische zu transponieren, bleibt es bei Verstiegenheiten. „Das Gedicht ist nicht bloß Spiel“, scheint Sarıçiçek sich einmal mahnend selbst zuzurufen.
„Halbwesen“
Vieles jedoch verzeiht man dem jungen Autor, weil er einen immer wieder überrascht und inspiriert mit Versen oder ganzen Gedichten, die seine große Begabung offenlegen. In „Kometen Kometen“ kann man einen jungen Dichter auf der Suche erleben und beim „Fündigwerden“ (so der Titel eines Gedichtes), einen, der mit Formen und Sprachen experimentiert (und damit hoffentlich nie aufhören wird), einen, der seine Entwicklung als Poet (vielleicht ein wenig zu sehr) forciert, heute, da schnelles Veröffentlichen und Sichtbarbleiben mehr zählen als die Entwicklung, das Reifen eines Autors. Aber was weiß denn ich wirklich darüber, wie ein Talent sich zu erproben hat? Manchmal staune ich nur, bewundere Sarıçiçek, etwa wenn ich sein lyrisches Ich über sich selbst nachdenken höre – wie zu Beginn seines Gedichtes „Teilwesen“:
Mit jedem Gedicht nimmt Einsamkeit zu,
als wäre ich mit jedem Gedicht etwas weniger Mensch.
Dafür Kugelschreiberblau und ein Halbwesen zwischen Zeilen.
Zwischen Zeilen, zwischen Versen(ken): Ich bin ein Bunker.Den Hang hinuntergerutscht, zwischen Betonwänden,
bin ich Kugelschreiberblau, Halbwesen-Zwischenzeilen.
Irgendwo dazwischen: Heimat aus sechs Buchstaben, ein
Zu-Schwer-Tun oder ein Zu-Leicht, sich, Bunker, der erfülltwas er muss, ein Gehöriger vielleicht für falsche Flaggen
(...)
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