Stör Bild Test Bild
Die neue Doppelnummer der Grazberliner Perspektive ist störrisch und folgt damit ihrer editorischen Klammer des Störbilds.
ich verbinde das testbild mit einer erschütternden wirkung, bei der die zeit stehen bleibt
heißt es im Intro. Es folgen schwierig lesbare, fast ungeschlacht gestaltete Kolumnen auf den Literaturbetrieb namens AXIT, der die Anmutung eines Gewölles hat, inklusive Organigramm von dadasophin, das Protokoll einer Priština-Reise, persönlich und "schwebend ohne schwerelosigkeit" von Evelyn Schalk, sowie eine abschließende Montage Holland-Moritz' aus Bild, Fremdtexten und allerlei alltäglichen Bewegungen zwischen Eiderstedt, Quasung und Captain Beefheart. Keine leichte Kost, mission accomplished.
Die Textsektion versammelt sehr unterschiedliche Positionen. Piesackend bis manieriert, fordernd und widerspenstig. "Was auf uns zukommt, ist schon lange her", schreibt Bert Papenfuß und "Der Gastronom ohne Gnade chaist die Motorgans ins Angstmoor."
Frank Milautzcki steuert Essay und Lyrik bei, setzt sich mit Serendipität auseinander, "dem verzweigten Baum von Offenheit und Fügung". "Also übte ich das Auflegen und bemerkte, wie einzelne Songs in mir aufkochten." Und "wir haben uns beim schicksal nicht darum angestellt, und doch ist es passiert", "you clean meaning".
Die vier Gedichte Maja Solars keine gewürze schlagen in ihr vorangestelltes Débord-Motto contra der Reisendenbanalität:
die banane in der tasche bleibt ungegessen
aber wir schaffen es zum slam
Es folgt ein Schittko-Block mit vier längeren Sprechgedichten des Berliners, gewohnt wütend und gallig:
ob nun in Demokratien oder Diktaturen
Naturlyrik funktioniert einfach immer
Mahlend und bis in jede Nuance verbaut: "ich will ficken und das ist auch gut so".
Spamgedichte in Prosa, Katalogperformances, Aufforderungen von Texten knüllen sich heran, setzen die auf sich selbst bezogenen Störbilder fort. Andreas Schumacher jubelt einen bissigen Fragebogen unter:
Wer verspricht Ihnen denn
dass ausgerechnet Sie einen solchen Freund wie Bernhart Brot haben werden?
tanja lulu play nerd schreibt
IN DER BIBLIOTHEK VON HONOLULU ENTSTEHT IMMER
DAS SPONTANE HOLOGRAM EINER HALL OF FAME
WENN ICH MICH AN EINE WAND LEHNE..
glaube aber als gedachter glaube
ist letztlich ein zweifelnder glaube
In Kinga Tóths Wasserkur beatmen sich Aale in einem eigentümlichen Versuchsaufbau rund um eine Zone aus Wahnsinn, Räumen mit Kitteln und der Kur selbst.
Soldatzeug sinkt ins Bett hinein
Aale schlüpfen in seine Rillenrohre
Die Schlusssektion bildet eine seitenlange komplexe Montage von Ko-Redakteur Ralf B. Korte, die mitsamt allen Schnipseln und Fremdimplantaten in ihrer versammelten kugelförmigen Richtungslosigkeit dem Störbild einen Namen gibt.
Die Ausgabe macht es einem nicht leicht. Sie scheint es zu genießen.
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Kommentare
test stör (bilder) p
dank für die formulierung 'kugelförmige richtungslosigkeit' nebst anderen zerknüllern von texten der autorinnen dieses heftes – nach fünfzehn minuten durchblättern und 20 minuten runtermachen hats dem selbstwert hoffentlich geholfen sich besser zu wissen ;-/
dein schlusssatz allerdings trifft zu : wir machens uns, und damit wohl auch unseren leserinnen, nicht notwendig leicht; genuss und schein lagen nicht immer schon eng beisammen ..
stör bilder pp.
"Gewölle" musste ich erst nachschlagen - leitet sich aber letztlich auch noch von "zu gewollt" ab. Egal.
Die Frage ist, wer oder was meint "Sie" im letzten Satz? Wird die Ausgabe der Zeitschrift personifiziert oder ist die Redaktion gemeint oder die Sprache. Und: genau dagegen ist perspektive immer angetreten, Name-Dropping zu nutzen, um Inhalte zu verstehen. Immerhin sind an die Autor*innen mehr oder weniger notwendige Zitate angebunden worden. Es hätte auch die Möglichkeit genutzt werden können, das Editorial vorab zu Hand zu nehmen. Egal.
Letztlich steht das experimentelle Standbein alleine da und sie scheint es zu genießen. :)
Sehr informative Rezension
Immer wieder spannend, daß man Rezensionen anmerkt, womit der Journalist Probleme hat anstatt zu versuchen, die Lektüre zu verstehen. Allein schon die schittkoeske JanWagner-Rehabilitationshymne macht diese Ausgabe zu einem historischen Meilenstein. Und das Thema der Betriebskritik als Leitmotiv des Heftes ist herrlich vielfältig durchgezogen. Abgesehen von massig gut lesbaren, aber für Befangene/Betroffene vielleicht schwer verdaulichen Texten gefällt mir das gesamte grafische Layout enorm gut. Somit ist diese Ausgabe sowohl inhaltlich als auch optisch extrem sexy! Ich bin echt happy, mit meinem eigenen bescheidenen Beitrag (ein übergereimtes zynisches Gedichtlein) beteiligt zu sein. So macht Veröffentlichtwerden wirklich Spaß! Eine gute Gesellschaft...
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