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Kritik

Buch der Körper. 24 Kommentare.

Hamburg

a. Am Anfang ist das Wort, oder auch: Alpha (Aleph, und so fort). Der erste Mensch: Adam (mit agglutiniertem a heißt das auch: Acker). Aleš Šteger orientiert sich in seinem fünften Lyrikband, im slowenischen Original vor zwei Jahren erschienen, am Alphabet. Der Ordnung der Buchstaben also, dem Fundus des Schreibens überhaupt. Er geht von bis →Z jedem Buchstaben auf den Grund und assoziiert sie alle miteinander.

b. Dass die Bibel also in diesem Buch der Körper ihr Echo findet ist nur logisch. Denn schließlich hat Šteger damit auch ein Buch der Bücher geschrieben, oder zumindest eines der Buchstaben.

c. Körper – das kann der einzelne Corpus sein oder Corpora. In der Linguistik spricht man nicht grundlos von Textkörpern. Die Gedichte sind konzentrierte Miniaturen, die sich konzentrisch immer wieder um vor allem ein Thema, das Schreiben, drehen. Und was Schreiben eigentlich noch mehr ist als bloßes Schreiben differenziert er

d. in drei Kapiteln aus: Das, Dort, Dann. Du und ich, Dissoziation als Identität und Identität als big picture, Dinglichkeit und Dringlichkeit der Worte werden verhandelt. Das gehört wiederum mit dem Titel zusammengedacht:

e. Der Begriff „embodied experience“ fällt schließlich nicht grundlos. Erfahrung und Sprache und damit auch Körperlichkeit fallen zusammen. Die Beschäftigung mit Einheitlichkeit, Einssein ist den Kapiteln gemein. „Beide bewohnen wir einen Körper“, Betonung auf „einen“.

f. In strenger Form werden die verschiedensten Facetten des sprachlichen Ausdrucks fixiert. Keine Reduktion, die aus Verzweiflung geschähe: Die Vielfalt sucht sich hier ihr Behältnis und knappe Verse streuen immer noch genug Gedanken: „Denk Feuer / bist Feuer“ lautet das Prinzip. Kann das überhaupt in seiner Vielseitigkeit adäquat übersetzt werden?

g. Matthias Göritz‘ Nachwort zeugt bereits von einer Genauigkeit, mit der er beim Übertragen hingesehen hat. Die Gründlichkeit seiner Übersetzung wird im Text deutlich. Das ist sonst selten der Fall, aber hier kann man nur zustimmen: „Wo sich der eine ganz / Ergänzt im Anderen“. Göritz trägt seinen Teil zu diesem großartigen Buch bei, in dem sich das Ganze aus Teilen zusammensetzt. „Wenn / Sprache / Gibt / Gibt / Sie / Ganz.“ Göritz hat genommen und weitergegeben. Der Grammatik wird ihr Geheimnis nicht entrissen.

h. Kaum zu übersehen: Das Buch der Körper ist reiner Holismus. Die einzelnen Kapitel sind von strenger Homogenität (→Form) geprägt, das Buch an sich eben eines der Körper: Es setzt sich aus Heterogenem zusammen. Und jedes der Kapitel steht für sich und doch wären sie ohne einander →nichts. (Es fehlt im Übrigen nicht an Highlights. Wie den Text über die „Hungerkünstlerin ohne Käfig“. In dem kurzen Prosagedicht vermischen sich die Wörter, es wird „Hegel zu Heil“. Das findet sich hier aber nicht in der Synthese, sondern in den →Differenzen.)

i. Es taucht immer wieder das Ich auf und berichtet von sich. Wirft die Frage auf: Bedingt so viel Intimität nicht implizit auch immer Individualität? Ist es nicht doch nur ein Buch des Körpers, eines einzigen?

j. Die Sprache hält dem entgegen und verfeinert sich aus sich selbst heraus: „Vielleicht war es der vierzehnte Juli, vielleicht war jeder Juli der vierzehnte, vielleicht standen vierzehn Julis am Kalender des japanischen Restaurants, in dem alle Sieben verdoppelt auf vierzehn Tischen lagen.“ Jedes Ich ist ein anderes, das jeweils das →Ganze ergänzt. (Nicht zufällig treffen die sich in einem japanischen Restaurant: Zen beginnt ja mit →Z.)

k. Die kausalen Verknüpfungen sind in ihrer Knappheit schließlich doch frappierend: „Körper und Körper. / Gut und Böse.“ Ein reduzierter Parallelismus, der mit einem Coup das Identische ins →Netz der verknüpften Unterschiede verweist.

l. Worum sollte es also auch sonst gehen als um die Liebe? →Einssein und →Differenz am selben Ort, zur gleichen Zeit. Das ist eben das erste Kapitel: Das, was gern als lyrische Grundsituation angenommen wird, (die Liebe zwischen) Ich und du (obwohl auch das nur →Personalpronomen sind). Šteger schlägt die Brücke zur Liebe zum Wort, zum Buchstaben (der ja →Körper sein kann und damit →Ich oder auch Du), überlässt seiner Leserschaft eine Verantwortung. Wie leicht wäre es, Worte „Leib Schimmelbrot“ zu überlesen beziehungsweise als Lapsus abzutun? Damit wäre dann doch das Geheimnis verleugnet.

m. Es ist ein magieloses Mysterium, das Šteger beschwört. Maximalistisch? Minimalistisch? Schwer zu sagen, aber genau das macht das Buch der Körper so eindringlich. Es fehlt viel und doch ist kein Mangel auszumachen. Metaphern zum Beispiel sind auf den Seitenflügeln dieses Triptychons kaum zu finden. Und gerade das macht eben dieses Mysterium aus:

n. Das „Mysterium der arabischen Zahl Null.“ Wie das Nichts noch etwas sein kann, ist eine der Binnenfragen, denen Šteger so sorgfältig nachgeht. „Die Summe von null und null bin immer mehr ich.“ Das Nichts, die Nullen, sie bilden wiederum Netze.

o. Das ist eben diese Ordnung, für die das Omega keinen Abschluss bringt. Von dort aus geht es nur weiter (zurück vielleicht, oder vorwärts, querwärts und so fort).

p. Eine Ordnung, die kein Pathos zulässt, eine „Poetik der Amputation“, mit Passion für das Wort, das Leben – das →Ganze mal wieder. Deshalb spielen die Personalpronomen Vexierspiele. Vor allem in den Prosagedichten des Mittelteils: Das Persönliche wird als Partielles wahrgenommen. Das ist es, das „Paradox des sichtbaren Verschwindens.“ Wer spricht, das ist eine müßige Frage, die dringend gestellt werden muss.

r. Das Buch der Körper ist schließlich eine Reise durch das →Netz der →Sprache, höchst reflexiv und trotzdem rasant. Die Gedichte stocken nicht, und die Redundanzen gebären (natürlich mal wieder nur neue) →Differenzen, denn:

s. Šteger lässt sich auf keine sinnfälligen (oder selbstgefälligen, -genügsamen) Spielereien mit Syntax und Semantik ein. So gelingt es ihm, aller Strenge zum Trotz Schönheit zu schaffen. Auch wenn es eine sterile sein mag. Denn Subjektivität, Sensibilität, das gibt es hier nicht, aber es finden sich Spektren des Seins. Sprache bildet ein System, das sich aus dem Leben bezieht und in dieses zurückwirkt.

t. Thanatos tritt selbstverständlich auf. Tod existiert in einem Buch der Körper aber nicht ohne Geburt. In den Texten sind sie logisch ineinander verwoben und verschlungen. Text ist eben →Körper (nicht nur, aber vor allem) in diesem Buch, in das Tod und Leben eingeschrieben sind.

u. Matthias →Göritz schreibt folgerichtig in seinem Nachwort: „Der Körper kennt nur eine Sprache, seine eigene, das macht ihn einzigartig, unübersetzbar.“ Und behält damit letztlich Unrecht (und schreibt trotzdem nichts Unwahres).

v. Verse wie: „Bis zur Vernichtung / Umarmen.“ greifen das wieder auf und sprechen nebenbei noch von →Einssein, →Liebe und natürlich wieder dem →Tod (der nicht ohne Leben auskommt). Die Gefahr, die jeder Literatur (und jedem Körper, jedem Ich) droht, frisst sich als Leitmotiv in die Verse: Verschwinden ist nicht unmöglich. Und könnte das Ende bedeuten.

z. Es muss – wie gesagt – jedoch keinen Zirkelschluss bedeuten, am Ende anzugelangen. Die Frage „Entspringt ein Gedicht schon fertig, wie Athena dem Schädel von Zeus?“ ist die nach dem durchbuchstabieren von →A bis Z und dem Endresultat dessen. Das muss nicht zwangsläufig zum Ziel führen, im besten Falle sogar überhaupt nicht. Der zentrale →Text, der ein abschließender sein müsste, steht deswegen am →Anfang und spricht es aus. „Einer aus →Nichts.“ lautet die erste Zeile, die letzte: „Einer ins Nichts.“

Aleš Šteger
Buch der Körper
Übersetzung:
Matthias Göritz
Schöffling & Co
2012 · 152 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-895614453

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