Sachalin nicht brauchen und uninteressant finden..?
Was ist und wo liegt Sachalin? Die heute vielleicht im kollektiven Gedächtnis nicht mehr allzu tief verankerte Insel war einst Tschechow einen Besuch wert. Hier waren Verbrecher; aber auch Revolutionäre. Es war die Endlagerung des Unguten, sozusagen, betrieben durch das zaristische Rußland, aber dann auch die Sowjets – Gulag seit den 30er Jahren und auch wieder 1948 bis 1954. Auch Japan nutzte die Insel später so, für Gefangene aus Korea. Die Strafen zielten auf Schmerz und Erniedrigung, eine Erziehung aus und zu Grausamkeit, wie Tschechow beschreibt. Gegraben wurde in Bergwerken, in Stollen, so niedrig, dass sich die Zwangsarbeiter darin nur auf Händen und Knien fortbewegen konnten. Und später an einem Tunnel, einem Monumentalprojekt, das sinnlos scheinen muß, ist nicht die Aufzehrung der Arbeiter das Ziel; die „Volksfeinde” gruben mit primitivstem Werkzeug an einem Tunnel unter der sieben Kilometer breiten Meerenge, fertig wurde das Bauwerk nie.
Gegen Einwände der Obrigkeit – zu einer Zeit, als die Sensibilisierung für Menschenrechte wenig entwickelt war, was einiges über die zu verbergenden Zustände aussagen mag – wie auch seines Verlegers bereiste er die Insel:
„Sachalin nicht brauchen und uninteressant finden kann nur eine Gesellschaft, die Menschen nicht zu Tausenden dorthin verbannt [...]. Sachalin, das ist ein Ort der unerträglichsten Leiden, deren ein freier und unfreier Mensch überhaupt fähig ist. [...] Ich bedaure, daß ich nicht sentimental bin, sonst würde ich sagen, daß man nach Orten wie Sachalin wallfahren müßte wie die Türken nach Mekka”,
so Tschechow. Er fand eine Insel „in Rauch gehüllt, wie in der Hölle”, der er sich aussetzte – in einem Buch über Sachalin verewigte er die Insel und was er sah, ein Buch, das Leser verdient; desgleichen Leser verdient die kenntnisreiche Aufarbeitung der Reise und jenes Buchs durch Marbach, in einem schönen, eindrucksvollen Katalog aus der damit begründeten Reihe Ferne Spuren.
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