Asche zu Asche, mit verbrannter Hand
Am Beginn des vergnüglichen Romans Die Pyramiden von Visoko oder Dinge meines Lebens von Andreas Staudinger steht etwas, das ganz und gar nicht vergnüglich ist: ein Brand. An dessen Ende war der (dem Autor jedenfalls sehr nahe) Ich-Erzähler zwar nicht auch abgebrannt, nicht pleite also, die Versicherung ersetzte die materiellen Verluste; und dennoch war er nun besitzlos: „buddhist wider willen”… Weil man aber in seine Besitztümer auch „eingeschweißt” ist, ist das zugleich eine Befreiung. So ließe sich übrigens auch Alice Herdan-Zuckmayers Satz lesen, der mir gerade gegenwärtig, angesichts einer Neidgesellschaft, in der die Reichen die Armen betrügen, indem sie sie auf die Ärmsten hetzen, auf die, die in indiskutable Flüchtlingslager gepfercht leben, oft einfällt: „Geizig ist man nur in zu guten Zeiten”.
Befreit. Oder doch nicht nur? Der Brand wurde jedenfalls zum Anlaß für dieses Buch, das eine Art Archiv des Verlorenen und allzu leicht Vergessenen ist, welches der „horter” Staudinger um sich nun nicht mehr hat. In der Folge ergibt sich also das Archiv als Phantom seiner Archivkärtchen, sowieso „herz meiner sammlung”, wiewohl das natürlich trügt; verloren bleibt, was sich jenen Topiken gerade entzieht, auf Verortungen finden sich „wahre lügen” zur, so Staudinger mit Stephen Fry, „müllkippe meines verstandes”. Die Begriffe Kosmos und Chaos finden sich leitmotivisch und auch eigens abgehandelt. Dem Verlorenen und seiner Spur, all dem geht dieser Archivroman (analog zu Andreas Okopenkos Lexikonroman) also nach.
Gedacht wird in der Folge der Objekte und ihrer Geschichte, die ja aus Objekten Heimat gewinnt, sie zu Heimat geradezu transformiert: „Heimat ist dort, wo die Dinge Geschichten haben.” Es sind Geschichten des Begehrens, konkret: schöner Mädchen, die „kleine buben […] bloß aus unwissenheit” „quälen”, es sind Geschichten anderer, die Verlust ganz anders erfuhren, durch die „todesbürokraten”, deren Listen Heimrad Bäcker in seinem nachschrift-Projekt dokumentarisch-literarisch zum Ausdruck ihrer Unmenschlichkeit objektivierte. Es sind Beschreibungen von Reliquien, die latent komisch sind, die sich als „reliquien dritter klasse” auch beliebig vermehren lassen, handelt es sich hierbei doch um Gegenstände, die eine Reliquie erster Klasse berührten: perfekt, um „den souvenirhandel in wallfahrtsorten an(zu)kurbeln.” Es sind anekdotische Berichte der Zurichtung aber auch, die man sich selbst zufügt, etwa beim Faustball und den damit verbundenen Sadomasochismen, sozusagen. Wie ideologisch diese internalisierte Quälerei ist, ließe sich übrigens mit dem alten Satz, Fußball sei ein gentleman-Sport für Hooligans, während ein Rugby ein Hooligan-Sprot für gentlemen sei, bedenken. Und man liest vom Umfeld, den Alpen: für den Vater Projektionsfläche der Abenteuer, die sein Sohn bestreiten würde, die aber den Sohn „an nichts” einnern (vielleicht in Heideggers Begrifflichkeit, doch woran erinnerte diese?); sie sind im nichts; wenngleich dies so sehr, daß es im Buch erwähnt wird.
Dazwischen erfährt man von dem, was all das bündelt, von der Sammelleidenschaft und Memoralistik, der „Bibliomanie”, die nicht, wie Staudinger schreibt, auch Frauen als Gefahr vorgehalten wurde, sondern vor allem ihnen, und von etwas, das organisierend rettet und bedroht, nämlich einer „an […] adorno […] gestählten kampfrhetorik”, was angesichts Adornos Denken und Stil womöglich als Witz zu rubizieren ist.
Andreas Staudinger liefert somit einen Bericht über das, was wir aus Erinnerung machen, und sie aus uns, entlang an Gegenständen oder deren Asche. Das Ergebnis ist lesenswert, manchmal bitter, oft amüsant, immer im besten Sinne zutiefst menschlich.
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