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Kritik

Vom großen Leuchten geblendet

Hamburg

Andreas Stichmann war bei den diesjährigen Bachmann Tagen der erste Kandidat, bei dessen Text die Jury ein gewisses Wohlwollen zeigte, der Ausschnitt aus dem Roman „Das große Leuchten“, der jetzt vorliegt, wurde als vielschichtig angesehen, die Juroren konnten sowohl die Sehnsucht nach Familie, als auch den Einstieg zur Geldbeschaffung als versuchten Wiedereinstieg in die Normalität werten. Diese Mehrdeutigkeit ist durchaus einer der Punkte, die diesen Roman lesenswert und unterhaltsam machen. Das große Leuchten ist eine Mischung aus Abenteuer- und Liebesgeschichte, ein Coming of age Roman mit Thrillermomenten und einer Portion Exotik durch die Reise nach Teheran.

Trotz dieser Mehrdeutigkeiten, die nicht zuletzt daher rühren, dass sich der Roman konsequent auf einer Ebene zwischen Realität und Vorstellung bewegt, sorgt die klare Gliederung der Erzählung dafür, dass der Leser folgen kann, ohne den Faden zu verlieren, oder sich zwischen Teheran und der Provinz zu verlieren.

Mit einem Last Minute Flug machen sich Rupert, der Ich-Erzähler, und Robert, sein Adoptiv-Bruder nach Teheran auf, um Ana zu suchen, Ruperts Freundin, die sie im Iran bei ihrer Mutter, der angeblichen Widerstandskämpferin, vermuten. Erwartet werden sie dort von Abu, der sie mit einer „nahezu absurden Gastfreundschaft“ empfängt, um ihnen bei der Suche nach Ana beizustehen, die über dubiose Parties, zu einem Derwischmann und schließlich ans Kaspische Meer führt.

Unterbrochen werden die Geschehnisse im Iran, die durch genaue Beobachtungen bestechen, denen man anmerkt, dass Stichmann einige Zeit dort verbracht hat, durch Rückblenden, die die Geschichte Ruperts erzählen, die Begegnung mit Ana, der gemeinsamen, durch Tankstellenüberfälle finanzierten, Flucht, bis zum Verschwinden Anas nach einer drogenreichen Party.

Die Gesichter, sowohl der handelnden Personen, als auch der Statisten, leuchten auf und erlöschen wieder, während der Ich-Erzähler sich in der Kunst nicht zu blinzeln übt. Sowohl der Selbstmord von Ruperts Mutter, als auch die Beziehung zu Ana, die wiederum die Beziehung Ruperts zu Robert verändert, werden in einem angenehm emotionslosen, fast wirklichkeitsfremden Ton, erzählt. Dabei sind die Hauptpersonen alle ein wenig überzeichnet, nicht zu viel, eher so, dass sie dadurch ein sehr eigenes Profil gewinnen und eben nicht ganz von dieser Welt zu sein scheinen. Rupert ist während der ganzen Geschichte ständig auf der Suche nach einer Struktur und Stichmann liefert diese Struktur mit Motiven, die immer wieder auftauchen, wie zum Beispiel die Fingernägel, die Rupert an Robert nicht nur stören, sondern beinahe Zwangsvorstellungen auslösen, die sich beim Derwischmann wiederholen und auch bei einem Obdachlosen, dem Rupert während einer Taschendiebaktion mit Lescek begegnet.

Rupert ist „stark und verletzlich zugleich, jung eben.“ Nach einigen Abenteuern, die mit einer großen Enttäuschung enden, landet Rupert schließlich wieder „zu Hause“, bei Frances, der kalten Hippimutter, die ihn nach dem Selbstmord der Mutter aufgenommen hat. Während er dort im Gartenhaus sitzt, mit einer von Frances geschenkten Hermes 1000 Schreibmaschine und versucht schreibend Ordnung in seine Gedanken zu bringen („Wer denkt hier eigentlich und wer ist der Gedachte, denke ich dann.“), beginnt sich das große Leuchten, das ihn an Ana zugleich fasziniert und geblendet hat, in ein Einleuchten zu verwandeln, dass die Geschichte dort beginnt, wo das Märchen aufhört.

Andreas Stichmann
Das große Leuchten
rowohlt
2012 · 240 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-49806390

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