Aufklärung im allerbesten Sinne
Anna Babka und Gerald Posselt – sowie Sergej Seitz und Matthias Schmidt1 als Mitarbeiter – legen mit Gender und Dekonstruktion eine glänzende Einführung in die Begriffe und kommentierte Grundlagentexte der Gender- und Queertheorie vor.
Das Grundproblem dabei ist freilich, daß Gender ein Begriff ist, der sozial existierenden Entitäten (binäre Biologismen etc.) appliziert wird, daß also die besten Texte m.E. jene sind, die sich traditionelle Begriffsbildungen vornehmen, um dann zu zeigen, daß sex, wenn man gender verstanden hat, immer trans-sex ist, weil gender das, was sex als primordial gegeben konstruiert (und auch nur, wenn man es zuläßt, sex ist gender, insofern die Biologie nicht asozial und apolitisch ist, siehe Judith Butler), als Spielraum verstehen läßt: und zwar Rolle(n) und Orientierung(en) gleichermaßen betreffend. Man muß also die Sexismen kennen, um gegen die gender in Anschlag zu bringen – und das überfordert einen solchen Überblick fast unausweichlich, wie auch gender als durch „einen grundlegend politischen und emanzipatorischen Anspruch” Diversität impliziert, die aus einer solchen Einführung schon herausbrechen will, womöglich.
Umso beachtlicher ist, daß die Autoren beides verklammern: Sie führen ein in das, woraus sie herausführen, auch durch besagte Grundlagentexte, die kompetent und klar in Anliegen und Argumentation bereitgestellt werden. Und wer die „Interpellation” hernach verstanden hat, nämlich, daß sich ein Subjekt, wo die Gesellschaft es definiert und es dies anerkennt, sich konstituiert, aber fast schon als Objekt; wer weiß, daß Sprache „Handlungsfähigkeiten” meint, auch eben in Anrufungen, Zuschreibungen und deren Zurückweisung – „Sprechakte zu subvertieren”, der wird vielleicht hier nicht nur zum kompetenten, sondern eben auch zum unbequemen Bürger, der im Zeitalter von Trump so dringend benötigt wird.
Diesem Anspruch genügen die Begriffsentwicklungen, aber auch die Kurzporträts der zentralen Texte, vielleicht ausgenommen jene der Lexika, der Eintrag zu Jacques Derrida von Bennington und Derrida selbst etwa ist recht blaß geraten, auch hätte man dieses Buch vielleicht in einem anderen Abschnitt des Bandes diskutieren sollen. Aber da nörgle ich schon auf hohem Niveau, den Eindruck trübt derlei kaum.
Fazit: Aufklärung im allerbesten Sinne, interessierten Laien wie auch im Feld wissenschaftlich Tätigen als Handreichung sehr zu empfehlen.
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