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Kritik

Grenzgänger

Anna-Elisabeth Mayer wagt einen historischen Roman
Hamburg

Montpellier im Jahre 1539. Guillaume Rondelet kehrt in seine Geburtsstadt zurück, um sich als Arzt, Anatom und Naturforscher niederzulassen. Seine spätere Frau Jeanne ist eine seiner ersten Patientinnen, die er binnen kürzester Zeit mit damals unorthodoxen Methoden heilt. Die Voraussetzungen für einen schnellen Aufstieg scheinen geschaffen, denn Rondelets Behandlungen führen auch bei anderen Patienten zum Erfolg. Doch statt Anerkennung schlagen dem vergleichsweise jungen Arzt Neid und Misstrauen, vor allem von den Apothekern und Wundärzten entgegen. Erst recht bei den öffentlichen Obduktionen beobachten ihn seine Konkurrenten sehr genau.

Mit Die Hunde von Montpellier wagt sich Anna-Elisabeth Mayer an das etwas imagegeschädigte Genre des historischen Romans. Dieser Wagemut zahlt sich aus, denn fernab von allem Hebammen- und Wanderhuren-Kitsch schafft sie es, ein bis heute aktuelles Problem aufklärerischer Praxis anhand einer historischen Figur zu verdeutlichen. Es ist das Problem, eine neue Idee, vielleicht sogar ein neues Denken in einer Welt der festgelegten Strukturen zu etablieren. Rondelet, am Meer aufgewachsen und als Kind selbst schwer erkrankt, interessiert sich vor allem für zwei Dinge: die Heilkunde und das Meer. Geradezu euphorisch versucht er diesen Gebieten ihre Geheimnisse abzutrotzen. Und ein fast kindlicher Trotz ist es auch, mit dem er den Zweiflern bisweilen begegnet.

„Die Meeresbewohner benennen können,  das nenne ich eine Aufgabe, fuhr Rondelet unbekümmert fort. Jede Kleinigkeit zählt, bückte sich Rondelet. Achtung!, rief Bundeli und wollte Rondelet am Ärmel ziehen. Schon hatte die nächste Welle Rondelets Hosenbeine erwischt. Schwimmen sollte man können, sagte Rondelet. Im Meer wird man krank, gab der abermals trocken gebliebene Bundeli zu bedenken. Ja, das Meer hat einen schlechten Ruf. Ich mag es.“

Bedeutend heikler als die Erforschung der Meereslebewesen ist aber die Erforschung des menschlichen Körpers. Zwar stellt die medizinische Fakultät ihren Professoren in den Wintermonaten einige Leichen von gehenkten Verbrechern zur Verfügung, doch das Öffnen der Körper ist Sache der dubiosen Wundärzte. Diese praktizieren mit einer Mischung aus dilettantischem Kräuterwissen und Aberglauben und handeln am Seziertisch nur auf Anweisung. Einen medizinischen Nutzen sehen sie darin nicht, da die Körper von Verbrechern nicht mit denen ehrbarer Leute zu vergleichen seien. Doch die Lehre von der Einheit von Körper und Geist ist Rondelet ebenso egal wie die Dogmen der Kirche. Und so macht er gegenüber seiner Frau und seiner Schwägerin auch keinen Hehl daraus, dass ihm die Urinschau eines Patienten wichtiger ist als der Gottesdienst. Gott laufe ihm schließlich nicht weg.

Das sind die kleinen Momente, in denen Mayers Rondelet fast ein wenig an Brechts Galilei erinnert. Sein Wissensdrang ist von humanistischen Idealen geprägt und zwingt ihn dazu, allgemeine Konventionen zu ignorieren und auch seine persönlichen Befindlichkeiten gelegentlich hintanzustellen. So gerät Rondelet früher oder später nicht nur in öffentlichen, sondern auch in einen privaten Konflikt mit seiner Familie.

Leider ahnt man ab einem bestimmten Punkt der Handlung, worauf Rondelets Konflikt zwischen Wissen und Moral hinausläuft, und dennoch ist es der Autorin zu verzeihen. Denn Mayers Plot ist so komprimiert, so gänzlich frei von irrelevanten Ausschweifungen, dass er sich nur folgerichtig zu einem Kernproblem verdichtet, dessen Lösung wiederum angenehm ambivalent bleibt. Für die meisten Bürger Montpelliers war Rondelet nichts weiter als ein gottloser „Hund“. Für seine Schwägerin Catherine hingegen, der er lesen beibrachte und sie so näher an die Welt der Wissenschaften heranführte als die meisten Frauen dieser Zeit, war er ein Forscher, der selbst auf sich keine Rücksicht nahm, um das Wissen der Welt zu erweitern.

„ … er habe in vollem Bewusstsein Grenzen überschritten. Aber nicht nur das, redete sie immer schneller, er habe sich über die Grenze schlechthin hinweggesetzt, nämlich – sie unterbrach sich jetzt. Er sah in ihre Augen, wie in ein gefülltes Uringlas, versuchte die Absetzungen zu lesen. Über die Grenze schlechthin habe er sich hinweggesetzt, wiederholte sie: Er habe sich selbst übertreten.“

Die Hunde von Montpellier ist ein überzeugender historischer Roman und ein Glücksfall für das Genre. Mit klarer, niemals allzu gekünstelter Sprache, schafft es Anna-Elisabeth Mayer nicht nur ein Stück Wissenschaftsgeschichte, sondern auch einen fundamentalen Gewissenskonflikt zu erzählen.

 

Anna-Elisabeth Mayer
Die Hunde von Montpellier
Schöffling & Co
2014 · 200 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-89561-136-0

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