„Anleitung zum [...] Hören”
Anne Holzmüllers ambitionierte Studie Lyrik als Klangkunst behandelt an Goethes Nachtliedern und deren Vertonungen etwas Selbstverständliches, worauf indes nicht allzu oft eingegangen werde, jedenfalls nicht so eingängig: daß Lyrik sich auch als Klanggebilde wahrnehmen läßt, was als Interpretationsmöglichkeit manchmal vernachlässigt werde. Das stimmt zum Teil, doch das Versäumnis der gesamten Philologie, wie es die Autorin sieht, die dann einige Ausnahmen erwähnt, ist vielleicht eine Übertreibung. Spätestens, seit Derrida Schrift und Sprache gegeneinander stellte, ist, was Holzmüller das „plurimediale Potenzial der Schrift” nennt, vielfach diskutiert worden.
Dennoch ist die Studie lesenswert; ist auch der frame nicht überzeugend und die Einleitung mit Kehlmanns Dissertanten-Pointe, daß ein paraphrasierter Goethe sich recht fragwürdig ausnehme, noch unwitziger als bei diesem, ist manches ferner spekulativ, denn inwieweit sich der goldene Schnitt als klangliches Phänomen realisiert, wäre erst einmal auszuführen, ist also manches nicht ganz geglückt, Holzmüller überzeugt dort, wo die ohne Umschweife und fast positivistisch eben das tut, was zu tun ist: Skansionen, rhythmische Schemata und Notensysteme skizziert, wiedergibt und diskutiert. Spannend ist hier die Arbeit auf einmal, etwa, wo Goethe „bewusst eine Unregelmäßigkeit platziert”, wie sich Dichtung eben „jenseits aller regelkonformen Schemata” bewegt, um zu leben, und der ihn vertonende Reinhardt diese „vereinheitlichend” repariert, also eine Textqualität zerstört, sie „wegharmonisiert”, wie es Klaus Reichert in Die unendliche Aufgabe zu ähnlichen Phänomenen in das Original korrigierenden Shakespeare-Übertragungen formulierte.
Die Akribie und Detailfreudigkeit dieser Passagen, es sind nicht wenige, macht die Studie zum erkenntnisreichen Lesegenuß, was übrigens auch am graphischen Aufwand liegt: Goethes „klanglicher Topik” und ihrem Eigen- wie auch Fortleben kann man so recht unmittelbar nachspüren. Dementsprechend: lesenswert.
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