Die Odyssee der Psychoanalyse
„Mit Siegmund Freud lässt sich das 20. Jahrhundert erzählen“, verspricht der Berlin Verlag im Klappentext von Anthony D. Kauders Buch „Der Freud Komplex. Eine Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland.“
Kauders selbst formuliert das Ziel, das er mit diesem Buch verfolgt etwas differenzierter: „Anhand der Freud – Rezeption können wir die Leit- und Menschenbilder, die Ideale und Utopien, die Ängste und Hoffnungen einer Gesellschaft erforschen.“
Kauders will also Gesellschaftsgeschichte schreiben, indem er die Rückwirkungen von psychoanalytischen Ideen und der Reaktion der Deutschen untersucht. Dabei stellt er seine Auseinandersetzung unter eine Grundannahme. Es gibt einen deutschen Sonderweg im Umgang mit der „Seele“, der wesentlich „mit der Rolle der Romantik im deutschen Denken über die Psyche“ zusammenhängt.
Kauders untersucht Freuds Erfindung der Psychoanalyse und ihre gesellschaftliche Aufnahme als eine gesellschaftsprägende Denkweise. Insofern sind Freud und seine Denkweise mehr als eine Wissenschaft, eher schon etwas kulturprägendes, fast wie eine Religion.
Die sechs Kapitel, in die Kauders sein Buch einteilt, sind längsschnittliche Betrachtungen, die ihren Ausgang mit der jeweils in der Überschrift genannten Jahreszahl und dem dazu gesetzten Schlagwort nehmen.
1913 geht es mit der Sexualität los. Kauders erzählt von der Jugendkultur (Wandervogel) und der Befreiung der Sexualität, als Nährboden und Basis für Freuds Ideen zur Traumdeutung. Für die Psychoanalyse ist es eine Zeit der Ausdifferenzierung.
Bezüglich 1930 konzentriert sich Kauders auf die Darstellung der Seele. Freud erhält den Goethepreis, er ist angekommen und akzeptiert. Die Psychoanalyse professionalisiert und institutionalisiert sich.
Auch Literatur und Film lassen sich wesentlich durch die Psychoanalyse beeinflussen, die sich aus dem wissenschaftlichen Kontext gelöst hat.
1938 geht es um Rasse, und das bedeutet das Ende der internationalen Freud-Schule in Deutschland. Die „jüdische“ Auffassung des Unbewussten ist nicht mit der NS Ideologie vereinbar.
1956 kommt es anlässlich der Feiern zum 100. Geburtstag Freuds zur Wiedergutmachung. Während im Nationalsozialismus die Psychoanalyse der Machtausbreitung Hitlers im Weg stand, gesteht man ihr im Nachkriegsdeutschland zu, der Vernunft zu ihrem Recht verhelfen zu können.
1967 herrscht ein kindlicher Glaube an die Psychoanalyse als gesellschaftliche Allheilkraft. Die Studentenbewegung glaubt, mit einer laut Kauders „romantischen“ Haltung, an die Überwindung von Faschismus und autoritären Persönlichkeiten, durch die freie Entfaltung der Sexualität. Selbst die abstrakteste Theorie wird als „Anleitung zum praktischen Handeln“ begriffen. Die Kinderläden fungieren als Versuchslabore auf dem Weg in eine neue Gesellschaft.
1985 beginnt die Vergangenheit der Psychoanalyse. In doppelter Hinsicht. Zum einen setzt endlich eine gründliche Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit ein und zum anderen beendet Kauders hier seine Betrachtungen zur Geschichte der Psychoanalyse. Laut Kauders ist die Psychoanalyse in der Mitte der Gesellschaft angekommen und verliert ihre Vorreiterrolle zum Verständnis des Seelenlebens der Deutschen, sie ist fortan nur noch eine Möglichkeit unter vielen, um die Psyche zu verstehen.
Interessant ist, dass sich hier jemand mit sowohl „kultureller“ (Kauders lebt und lehrt vornehmlich in Amerika) als auch fachlicher Distanz, da Kauders Historiker ist, mit der Psychoanalyse auseinandersetzt.
Die erste Irritation bestand für mich darin, dass bei Kauders die Geschichte der Psychoanalyse erst 1913 einsetzt. Davon, dass alles mit der Hysterie begann, mit Breuer und Bertha Pappenheim, kein Wort.
Kauders Interesse an Freud und seiner Wirkung auf die Deutschen beginnt kurz vor dem ersten Weltkrieg und endet abrupt 1985.
Die Willkür, mit der Kauders Grenzen setzt, thematisch und zeitlich, irritiert zumindest.
Weibliche Sexualität und die „unterdrückte“ Rezeption in der DDR spart er dabei aus, auch die durchaus interessante Frage, wie und ob überhaupt, Freud und eine Auseinandersetzung mit ihm, nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten stattgefunden hat.
Laut Kauders hört die Auseinandersetzung mit Freud 1985 auf, etwas über gesellschaftliche Strömungen oder unterschiedliche Vorstellungen von Subjektivität Auskunft zu geben. Die gesellschaftliche Pluralisierung, so sein Argument, macht aus der Psychoanalyse ein Angebot unter vielen und sorgt so dafür, dass Kauders das Interesse an ihrer Wahrnehmung und Wirkung verliert.
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Kommentare
Berichtigung
Anthony Kauders lebt weder in Amerika (sondern bei München), noch lehrt er dort (sondern in England).
Zum Inhalt: Die Zäsuren, die das Buch macht, sind wohl begründet. Gerade die machen m.E. die Stärken des Buches aus.
Annm. der Redaktion
Anthony D. Kauders, geboren 1967, studierte Geschichte an der London School of Economics und der Universiät Oxford. Forschungs- und Lehrtätigkeiten führten ihn an die Universitäten Tel Aviv und Jerusalem. Seine zahlreichen englisch- und deutschsprachigen Publikationen sind unter anderem bei Oxford University Press, Wallstein und C. H. Beck herausgekommen. Zuletzt erschien sein Buch "Unmögliche Heimat. Eine deutsch-jüdische Geschichte der Bundesrepublik" (DVA, 2007), das im In- und Ausland starke Beachtung fand und als Standardwerk gilt. Zur Zeit unterrichtet er an der Keele University in England und forscht an der Universität München. Er lebt in München und in der Nähe von Stoke-on-Trent. (Quelle: Berlin Verlag)
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