Zwischen Zorn und Zärtlichkeit
Antjie Krog ist Lyrikerin und hat bisher 12 Gedichtbände publiziert. Sie verfasste auch einige Prosabände, arbeitete u.a. als Journalistin. Aber sie ist weder Amerikanerin noch Kanadierin, sondern leidenschaftliche Südafrikanerin, was vielleicht eine Erklärung dafür ist, dass bisher kein Werk von ihr deutscher Sprache erhältlich war. Kein einziges. Bisher. Wohl gibt es wenige Gedichte in deutscher Übersetzung auf www.lyrikline.org zu entdecken, doch ist es dem Verlag Matthes & Seitz zu verdanken, dass wir mit „Körper, beraubt“ nun endlich die poetische Welt Krogs kennenlernen, einer Autorin, die, bekannt und anerkannt, u.a. 2013 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD war.
Das vorliegende Buch ist zweisprachig, links die Originale in Afrikaans oder Englisch (von Krog selbst und Karen Press aus dem Afrikaans übersetzt), rechts die deutsche Fassung. Es besteht aus drei Teilen, die alle Verlust, Ausgesetztsein und das Ringen um ein angemessenes Umgehen mit Gewalt poetisch ausloten.
Im ersten Teil setzt sich Krog, geboren 1952, schonungs- und tabulos mit dem alternden Körper auseinander, dem weiblichen, durch Menopause und Hormonverlust gezeichneten, und jenem des männlichen „du“, selten lamentierend, oftmals mit Ironie:
es muss allmählich passiert sein trotzdem
fühlt sie sich überrumpelt – ihr körper ist plötzlich
einfach lose als wolle nichts mehr
fest verankert und in form sein. zum beispiel
ihre zähne das haar alles bis runter zum
beckenboden ist lose selbst ihreaugen blubbern ...
Anderes, was lose sein sollte, wird fester, weniger beweglich. Das Gedächtnis versagt seinen Dienst, während die lyrik blutende wunden reißt. Das Nachlassen der Körperkräfte wie auch der Libido ist hier genauso Thema wie Krankheit, (Über)Forderung, Wut, Aggression, doch zeigt Krog auch das Reifen an der Gewalt
wie leute im schützengraben
haben wir angefangen aufeinander aufzupassen
die niederlage des einen ist
der untergang des anderen
Und wenn sie schreibt
ich weiß einfach nicht wie altern in der sprache klingen sollte
so zeigt sie gleichzeitig, dass und wie sie es weiß und den richtigen Ton trifft, kämpft sich dichtend zum vokabular des alters, das privat ist und gleichzeitig öffentlich, weil es jeden von uns (be)trifft oder treffen wird.
Im zweiten Teil des Buches lesen wir Gedichte zu den politischen Verwerfungen Südafrikas. Krog, die behütet in einer weißen Familie aufwuchs, hat bereits mit 17 Jahren in einem viel beachteten Gedicht das Ende der Apartheid antizipiert. Ihre Muttersprache und die Sprache ihrer Gedichte ist Afrikaans, das auch die Herrschaftssprache ist, jene der Täter. Als Journalistin begleitete sie die Umbrüche ihres Landes, das Ende der Apartheid und die Arbeit der Wahrheitskommission, deren Aufgabe darin bestand, durch Zeugenberichte all die unmenschlichen Grausamkeiten zu dokumentieren unter Verzicht auf juristische Verurteilungen. Als Endergebnis legte Krog das Prosawerk „Country of My Skull“ vor, hat die aufwühlenden Berichte über Gewalt aber auch zu Gedichten verarbeitet, von denen einige in diesem Band Aufnahme fanden. ich sage aus beginnt ein Gedicht, das, wie auch andere, Originalzitate aufnimmt und der Gewalt beklemmende Worte entgegenstellt, eigene Worte voll Empathie, die Tote nicht mehr lebendig, erlittenes Grauen nicht ungeschehen machen, aber kein Verstummen, kein Verschweigen mehr zulassen, sondern Benennen und somit Erinnern ermöglichen in einem Land des Leids und der Gnade.
am anfang ist sehen
eine ewigkeit sehen
den kopf mit asche füllen
keine luft
keine ranke
nun kommt zum sehen das sprechen hinzu
und das auge taucht ein in die wunden des zorns
fasst die woge der sprache bei ihrem weichen kahlen schädel
Das Ende der Apartheid ist nicht nur für Antjie Krog ein Wunder des friedlichen Wandels, das gleichzeitig den Anfang neuer Anstrengungen für ein Zusammenwachsen bedeutet.
was soll man tun mit dem alten ...
wie macht man sich frei fürs verstehen
wie macht man wieder gut
wie macht man einen klaren schnitt ...
Gegenseitiges Verständnis beginnt mit der Sprache. So übersetzte Krog etliche Werke südafrikanischer Sprachen ins Afrikaans, u.a. die Autobiographie Nelson Mandelas. Sie begann mit der eigenen Sprache zu experimentieren, übernahm Rhythmen, Worte und Klänge dieser anderen Sprachen in ihre Gedichte und erweiterte, bereicherte ihr Afrikaans damit. Im dritten Teil dieses Bandes werden aber auch andere Einflüsse wichtig und sichtbar, etwa Paul Celan. Krog bricht Satzbau, Worte und Silben auf, überrascht durch Neuschöpfungen (heikelhäutig; zitternachtblau; fleischträumte ich ...), findet verfremdende Töne, z.B. in den Essay-Abstracts:
ABSTRACT 2: verse im eigenen universum verstümmelter
syntax silbenaufbrechend neuwortend innerhalb alter
vokalzerraspelter atem übersetzung wird erweiterung und
radikale bedingung für begreifen lesen heißt übersetzen? es ruht
nie leicht auf der ethisierenden zunge
Ein Gedichtband, der Einblick in das vielseitige lyrische Schaffen Antjie Krogs gibt und Lust auf mehr macht.
Fixpoetry 2015
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