„Zärtlichkeit und Aggression”
Das Verhältnis des Philosemiten zu dem (!) Juden ist intrikat – eine Verklärung, deren Stereotype jenen des Antisemiten manchmal ähneln. Wer sich hierfür interessiert, der lese Doron Rabinovicis Ohnehin (Frankfurt/M. 2004), worin ein Vortrag, der auf Jiddisch gehalten wird, sei’s politisch korrekt oder philosemitisch, jedenfalls aber falsch übersetzt wird; ein Rabbiner, der vom Aufstand im Warschauer Ghetto berichtet, und davon, dass es aufgrund der Aussichtslosigkeit der Schlacht und des Vernichtungswillens der Deutschen richtig gewesen wäre, die Verluste möglichst zu minimieren, also mit der jiddischen doppelten Verneinung die „Partisanen […] nicht keine Heroen und keine Geistesgrößen“ nennt, wird von der dolmetschenden Judaistik-Studentin, die das gar nicht glauben kann, systematisch falsch übertragen, es seien ihr zufolge die Aufständischen eben just die Helden und Genies gewesen: was den Juden, die den Rabbiner hören, ebensowenig wie den Philosemiten, die der Übersetzerin lauschen, auffällt. Ihre Einigkeit in der Zustimmung zum Gehörten ist kurzum höchst dissonant.
Nicht unbedingt zu lesen braucht er hingegen Arnon Grünbergs Der jüdische Messias, worin es fast ausschließlich hierum geht, worin aber die Tiefe wie auch der Witz der fast allegorischen Szene von Rabinovici auf über 600 Seiten nicht erreicht wird. Der Inhalt ist rasch erzählt: Ein Jüngling aus einer Familie, deren nationalsozialistischer Großvater ein düsteres Geheimnis der Eltern ist, die dementsprechend zwänglerische Konzepte des Juden vertreten, also den Antisemitismus bloß zu invertieren suchen, lernt den Sohn eines fragwürdigen Rabbiners, der offenbar keiner ist, kennen. Während die Juden, die er kennenlernt, quas Assimilation und Säkularisation ihre Auslöschung betreiben, eine Art demographischer Shoah, wie der Text andeutet, wird der Jüngling zum Juden, stets „Klezmermusik im Hintergrund”. Die Freundschaft bekommt sexuelle Züge, während die beiden – als Geschäftsmodell – eine Übersetzung von Mein Kampf ins Jiddische unternehmen.
Die Beschneidung, die der Protagonist vornehmen lässt, endet mit einer Hoden-Amputation; ob man die Halbierung der testes als eine Reduzierung des biblischen Kontextes auf ein Testament lesen kann..? Jedenfalls führt das abgenommene Teil als „König David” fortan eine quasi „selbständige Existenz” in einem Glas.
Stets wird die Hauptfigur mit ihrem Philosemitismus, bei dem wie auch in allem anderen, was der Held tut, „Zärtlichkeit und Aggression aus demselben Stoff” zu sein scheinen, herausgefordert, bis er aus Liebe zu Abstrakta jenem „Du-weißt-schon-wer”, also Hitler, dessen Name in seiner Familie eben einer unheilvollen damnatio memoriae unterliegt, gleicht, der seinen Großvater einst verführte... Diese Konfrontation trägt sich aber auch gegenüber dem Leser zu, den Grünberg permanent mit Provokationen behelligt, die eben darum, weil die Strategie so durchsichtig ist, aber eben mehr Behelligung als Provokation ist. Sie rufen nichts hervor.
Man kann und muss Grünberg im Einzelnen Witz attestieren. Mein Kampf auf Jiddisch, das ist böse und intelligent; wie auch der Satz das Pathos Hitlers zerbröckeln lässt, wonach als alternativer Titel „Mein Haus [...], verkaufstechnisch gesehen, [...] eine Katastrophe gewesen” wäre... Aber auf diese Passagen verlässt sich Grünberg zuwenig; und das Ergebnis ist so, dass das Buch letztlich nicht recht überzeugt. Rabinovici – als ein Beispiel – ist diesem Buch darum allemal vorzuziehen.
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