Französisch-deutscher Versschmuggel
Die Buchreihe „VERSschmuggel“, die seit einigen Jahren in Kooperation mit der Literaturwerkstatt Berlin und weiteren Partnern jeweils im Heidelberger Wunderhorn Verlag und einem ausländischen Verlag erscheint, verfolgt ein globalisierendes Lyrikprojekt, das Dichter und Leser über kulturelle und Ländergrenzen hinweg zusammenbringt, und das trotz mancher inhaltlicher Schwäche zweifellos zu den wichtigsten und ambitioniertesten überhaupt gehört. Nach Ausflügen in die irische, portugiesische, polnische, spanische und arabische Lyrik macht die Edition einen Schwenk zurück zu ihren Wurzeln und widmet sich einmal mehr dem Französischen.
Zwölf Dichter – sechs aus Deutschland, sechs aus Frankreich – trafen sich im Sommer 2011 in Berlin, um sich gegenseitig zu übersetzen, nicht obwohl, sondern gerade weil sie der Sprache ihres jeweiligen Gegenübers nicht mächtig sind. So entsteht, zumindest darf man das vermuten, eine höchst intime Übersetzungsarbeit, in der nach der Vorarbeit durch eine Grobübersetzung, die Gedichte Stück für Stück betrachtet, hinterfragt und in der anderen Sprache weniger übersetzt als vielmehr neu gedichtet werden. Das verlangt viel Fingerspitzengefühl und eine große Offenheit, zumal zahlreiche der Gedichte schon allein sprachlich nicht gerade „einfach“ sind, sondern selbst erfahrenen Übersetzern komplexe Hürden aufbürden.
Christian Filips, Marion Poschmann, Ulrike Almut Sandig, Tom Schulz, Uljana Wolf und Judith Zander übersetzten Édith Azam, Arno Calleja, Linda Maria Baros, Albane Gellé, Pascal Poyet und Dorothée Volut – und umgekehrt, und ermöglichen so nicht zuletzt den Lesern Einblicke in die Arbeitsweise der jungen Lyrikszene des jeweils anderen Landes. Auffällig ist hierbei, dass – ganz im Gegensatz etwa zur arabischen oder polnischen Lyrik – sich Deutsche und Franzosen gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. Zumindest, was die vorliegende Auswahl betrifft.
Ein großer Teil der Gedichte beider Seiten bedient sich einer komplexen, akademisch angehauchten Sprache mit Formulierungen, Metaphern und Formenspielen, die sich hermetisch geben, oft nach innen gewendet sind und entweder nach Entschlüsselung suchen oder sich ihr verweigern – während manche (etwa Linda Maria Baros oder auch Arno Calleja) nach klaren Bildern streben und in einer prosaischen Sprache Momentaufnahmen oder ganze Geschichten darbieten. Was auffällt ist, dass bei mehr als der Hälfte der Franzosen die äußere Form keine Rolle mehr zu spielen scheint, dass Gedichte im Blocksatz daherkommen und auf Akzente setzende Versumbrüche keinen Wert legen. Während die deutschen Dichter bemüht sind, auch diese Nicht-Form zu übertragen, zeigen die Franzosen umgekehrt wenig Respekt vor der Versstruktur ihrer deutschen Counterparts. Der optische Eindruck zwischen Original und Übertragung variiert mitunter gewaltig, teils werden nicht nur versformal sondern auch in Bezug auf die Zeichensetzung gänzlich neue, andere Lösungen gefunden. Es wäre gerade hierbei interessant gewesen, Gründe zu erfahren, Einblick in den Übersetzungsprozess zu erhalten, doch das wird verweigert.
Dabei ist stets ein Kommentar der Dichter angefügt, der Gelegenheit gäbe, diese Fragen zu lüften, doch kein einziger wird konkret, liefert einen Sekundärtext, der Licht ins Dunkel bringen könnte (und dies ist, nebenbei bemerkt, das größte Manko der gesamten „VERSschmuggel“-Reihe). Alles bleibt sehr vage und in Anspielungen verhaftet, selten bekommt man wenigstens ein Gefühl für Atmosphäre, aber zu belastbaren Aussagen, anhand derer der Leser die sicher höchst unterschiedlichen Arbeitsprozesse nachvollziehen könnte, lässt sich kein einziger der Dichter hinreißen. Woran liegt das? Angst davor, einen Gebrauchstext zu formulieren? Man erfährt es nicht, dabei wäre gerade hier ein dokumentarischer Aspekt, ein Blick hinter die Kulissen, interessant und aufschlussreich. Stattdessen verlieren sich die kurzen Kommentare in Beliebigkeit, man wird den Eindruck nicht los, dass die Akteure sich hinter ihrer Sprache versteckten anstatt sie zu nutzen, was hier noch bedauernswerter ist als sonst wo.
Trotzdem gewährt die Anthologie einen guten ersten Eindruck dessen, was junge französische Lyriker umtreibt und liefert zudem auf zwei begleitenden Audio-CDs die Stimmen der Dichter, wie sie ihre Werke lesen, analog zum Buch und ebenfalls zweisprachig, und so manches Geheimnis der Gedichte vermag sich hierbei zu lüften, neue Aspekte und Lesarten ergeben sich durch die von den Autoren angestrebte Akzentsetzung im Vortrag.
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