Weiterfliegen!
Ein Gedicht wartet
auf seinen Autor.Keine Eile.
Es hat Geduld.
…..lese ich in „Versflug“, dem anlässlich des 70.Geburtstags von Axel Kutsch im Ralf Liebe Verlag erschienen Sammelband mit köstlichen und galligen Kostproben seines lyrischen Schaffens von 1974 bis heute. Ich dachte: so gelassen kann nur ein Autor sich äußern, der die Lyrik selbst ernst, seine eigene Person und Rolle mitten darin jedoch nicht tierisch, nicht bierernst nimmt (oder wie man sonst die eher unsympathischen Formen des „typisch deutschen“ (?) Ernstes nennen will). Einer, dem die wohltuende Distanz der Ironie oder der scharfen sarkastischen Demaskierung mehr liegen, als Emphase, Pathos und Preziöses. Der - an Ikarus wird in „Versflug“ mehrfach erinnert – unprätentiös zu einem lebenslangen lyrischen Flug abhebt, um lächelnd, ohne hymnischen Ton und Idolatrie auch überm Poetenolymp zu kreisen, mal lakonisch, mal sarkastisch das poetische Geschäft kommentierend (nun ja: ein Geschäft ist mit dieser, einst als höchste literarische Gattung verehrte, nun in den hinteren Nischen der Buchläden ihr Dasein fristende Kunst ja nicht gerade zu machen), gern mit spitzer, nie mit hämischer Feder. Kutschs Blick will nicht vernichten, aber demaskieren (man lese nur das böse Karnevalsgedicht Rheinland erwache: Pappnasiger Sauf/ gesülze Möhnengekläff/ Rülpsendes Brauchtum/ Jetzthaunwir Joviale/ Politikerversagen Jetzthaunwir/ Jetzthaunwiraber Kalender/ exzeß Kotzender Frohsinn/Auf die PaukediePauke/ Schnapskadaver Ent/ hemmte Bürovorsteher Augen/ aufschlag Schlag auf die/ Augen Blaulichtorgien/ Schamlippennacht/ Bismorgenfrüh Bums - Wort- und Syntaxverstümmelung als poetisch präzise Phänomenologie trunkener Jeckenseligkeit, dem „Immi“ sei Dank!), und dabei schauen ihm wertgeschätzte große Vorgänger in Sachen lyrischer Leichtigkeit nicht nur über die Schulter, sondern, in vielen literaturgeschichtlichen Assoziationen, auch zwischen den Zeilen hervor, Freund Heine lässt grüßen! Denn der Autor ist, versteht sich, auch ein leidenschaftlicher Leser, zudem gewiss in irgendeiner der von ihm edierten Lyrik-Anthologien auch „unser aller Herausgeber“, er betreibt Poesie mit Passion, fein zu unterscheiden von der „Obsession“, deren zwanghaft-fanatischer Charakter ihm nicht liegen dürfte, sie hätte auch vor der subversiven Kraft seiner Ironie wenig Bestand.
„Versflug“, nicht chronologisch, sondern thematisch zentriert gegliedert, stellt Kutschs Versreflexionen übers Verseschmieden an den Anfang (später weitet sich der thematische Horizont), eitle Werkstatt-Nabelschau, emphatische Feier oder trockene Poetologie findet jedoch nicht statt. Augenzwinkernd und leichtfüßig, allem Gravitätischen abhold, kommen die poetischen Betrachtungen einher, votieren , immer skeptisch gegenüber metrischen Korsettagen („sonst haben Sie/morgen Anapäst“) für die Vielfalt von Form und Perspektive, erinnern ohne erhobenen Zeigefinger an die peinliche Tatsache, dass auch schlechte Gedichte sich nicht von allein schreiben. Manchmal wird „herumgejandelt“ oder „gemorgensternt“, stets den Hintersinn im Widersinn beschwörend, respektlos auch vor den ganz Großen (so in „Ohne g“: Foethe/ fand Feranien/ fräßlich.// Feranien/ waren Foethe/ ein Fraus.// Wef mit/den Feranien/ safte Foethe.// Für Feranien/geb ich kein/ Feld mehr aus); manchmal ergibt gerade die paradoxe Umkehrung, die Potenzierung der Absurdität Sinn (wie in „Don Quijote“ oder in „Als wir noch Könige hatten“.). Da, so mein Eindruck, wandelt einer im Poetenhain, weil er diesen Mischwald liebt, den täglichen Spaziergang darin nicht missen möchte; tut dies ohne falsche Ehrfurcht und ohne sich an dem zu berauschen, was er alles kennt und kann, nimmt lieber die verdächtige formale Glätte eines durchkomponierten Sonetts oder anderen schönen, allzu geschönten Schein aufs Korn, macht ihn sich auch schon mal souverän, wie im „Gedicht mit Schnee“(das man nicht nur gelesen, sondern gesehen haben muss), durch grafische Effekte zunutze. Auf Idylle oder rein „Stimmungsvolles“ trifft man in diesen Versen selten, selbst der Herbst-Blues spricht sich so knapp aus („Die Pranken/ des Sturms.// Die Verse/ ducken sich („Herbstliches“), wie das Drängen des Frühlings: „Die Nacht scharrt/ mit den Hufen/ junger Pferde. („Vorfrühling I“) - die sprichwörtliche Würze der Kürze feiert Triumphe. Doch wer meint, hier wolle einer nur heiter, knapp und treffend übers Schreiben, dies einsame und unnütze (?)Geschäft, sinnieren, sieht spätestens im Kapitel „Himmel und Boden“: Axel Kutsch kann auch anders. Mit großem Ernst, ja engagiert, wird hier den Kriegslügen heimgeleuchtet und in „Im Krieg mit Ernst Jünger“ (in Anlehnung an dessen „In Stahlgewittern“ verfasst) zynisch die ebenso morbide wie perfide Ästhetik des falsch verstandenen Heldentums dekonstruiert: Machen Sie es sich bequem/ in diesem blutigen Fest./ Legen Sie sich entspannt hin./ Sterben Sie in weich hingegossener Haltung./ Sehen Sie, die Schrapnells zerplatzen/ zierlich wie Knallbonbons./ Und wie die Handgranaten fliegen – /die reinste Schneeballschlacht./ Sind Sie schon tot? Noch nicht?/ Dann lauschen Sie mit/ ungläubiger Ehrfurcht den/ langsamen Takten des Walzwerks der Front./ Liegen Sie gut? Entspannen Sie sich./ Sterben Sie in weich hingegossener Haltung.
Ein Schritt sei es oft nur vom „Erhabenen“ zum „Lächerlichen“, heißt es. Für Axel Kutsch, dem das „Erhabene“ dafür wohl zu suspekt, das Amüsante aber gewiss Freund ist, gilt, in wohlverstandener Abwandlung, dass zwischen dem Lächeln des Dichters und seinem Zorn (respektive seiner Trauer) manchmal nur eine Seite steht. Ich habe diesen „Jubiläumsband“ jedenfalls mit großem Vergnügen gelesen, oft geschmunzelt, laut gelacht. Und wurde still über jenen Gedichten, in denen das ernste Sujet Zeilen von großer Überzeugungskraft hervorbringt. Wenn ich mich abschließend für den Dreizeiler „Philosoph“ bedanke, so hat das, zugegeben, auch persönliche Gründe: Ich schlage/die Trommel/des Denkens, heißt es da, und das ist auch schon alles. Nicht viel Anderes, denke ich, tun auch die Dichter, wenn sie unsere Augen unermüdlich für neue An-Sichten öffnen.
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