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Kritik

Zum Stern von Algier

Ein algerischer Musiker will hinaus & hoch hinauf

Moussa Massy lebt in Algier, eigentlich heißt er anders, doch als Sänger hat er sich diesen Namen zugelegt, ist 36 und hat große Ziele: ein Star zu werden wie Michael Jackson oder Prince, mit einer Musik zwischen Rock und Maghreb, seiner Heimat, der Kabylei, jedenfalls einer völlig neuen Musik und einem bislang nicht gekannten Gesang.

Der erste Erfolg stellt sich ein, obwohl die Rahmenbedingungen keineswegs optimal sind. Hatte Moussa anfangs nur auf Hochzeiten aufgespielt, wird er nun von einem Barbesitzer engagiert. Das Publikum ist von seinem Gesang begeistert, er verdient gut, kann sich das eine oder andere leisten. Und er unterstützt seine 14-köpfige Familie, die in drei Zimmern lebt, in einem heruntergekommenen Viertel. Nur vier Familienmitglieder verfügen über ein regelmäßiges Einkommen. Armut und Chaos herrschen in Algerien, mit einem Joint wird darüber hinweg gekifft.

Eine eigene Kassette aufzunehmen, davon träumt Moussa. Bis ihn eines Tages der Besitzer eines noblen Klubs singen hört und einen Vertrag anbietet. Dort verkehren jene Leute, die über Geld verfügen, die es sich leisten können, schick und nobel zu sein. Mit einem Mal findet er sich in einer anderen Gesellschaftsschicht. Locker kann er sich die modischen Bühnenanzüge leisten, alles funktioniert in diesem Club wie am Schnürchen, dem besten von Algier. Seine Bühnenshow wird immer besser, immer perfekter. Er hat den Aufstieg in die Oberliga geschafft. Die wichtigste Zeitung des Landes bringt lobende Artikel über ihn. Ein Agent produziert seine Musik, in der Hitparade des Radios werden seine Lieder gesendet. Bei den Tantiemen zieht er Moussa über den Tisch, manipuliert die Tonbänder, bis Moussa seine eigenen Lieder nicht mehr erkennt.
Allmählich ändert sich die Lage in Algerien, die radikalen Muslime werden immer präsenter und mächtiger. Den Sänger und seine Lieder sehen sie als Werk des Teufels. Beim Abkassieren und Mitpartizipieren des teuflischen Geldes sind sie weniger zimperlich. Aziz Chouaki schildert die beklemmende Atmosphäre äußerst diffizil, die Enge der Gedanken. Ein Islamit schlägt die Fliesen seines Badezimmers herunter, da es zur Zeit Mohammeds keine Fliesen gab. Die Wut der Straße und die Unzufriedenheit mit der Regierung bringt der „Islamischen Heilsfront“ immer mehr Anhänger ein. Bärtige Männer dominieren zunehmend den Alltag.

Allmählich verlassen seine Freunde das Land, wandern nach Kanada aus oder übersiedeln nach Paris. Ein Musiker seiner Band findet in Marokko einen Job. Alle bieten ihm ihre Hilfe an, versuchen ihn zu überreden, sich ein Visum zu besorgen und einen Flug ins Ausland zu buchen. Sämtliche Aufforderungen und Angebote ignoriert Moussa.

Im gleichen Maß wie der noble Club verkommt, dröhnt sich Moussa immer radikaler zu, seine Drogen werden immer extremer. Der Club steht vor der Schließung, er wird gekündigt. Seinen Frust reagiert er durch sinnlose Aggressionen ab. Als er sich dann doch entscheidet, weg zu gehen, ist es zu spät. Immer fehlt irgendein Papier. Als die Ausreise endlich in Ordnung zu gehen scheint, beleidigt ihn einer. Die Auseinandersetzung endet tödlich. Moussa wird zu 25 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis mutiert der einstmals weltoffene und liberale Musiker Moussa Massy zu einem strenggläubigen Moslem, der den Dschihad als einzig wahren Weg akzeptiert.

Dem einzelnen Individuum wird kaum eine Chance gewährt, dem Teufelskreis zwischen sozialen und politischen Randbedingungen zu entkommen. Aziz Chouaka, geboren 1951 in Algerien, selbst Musiker und in Paris lebend, hat ein aufwühlendes Buch geschrieben, das überaus beklemmend ist, indem Hintergründe und Wahrheiten offenbart werden, die ungefiltert unter die Haut gehen. Andererseits ist „Stern von Algier“ ein wunderbarer Musik-Roman, der anhand einer Biographie die politische Situation in Algerien der 1990er Jahre darstellt.

Aziz Chouaki
Stern von Algier
Übersetzung:
Barbara Gantner
Donata Kinzelbach
2010 · 198 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-927069923

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