Das Geheimnis der Mode
Wenn man den Namen Barbara Vinken hört, kann man sich schon mal eine Kanne Tee kochen, die Brille putzen und bequeme Klamotten anziehen. Die Literaturwissenschaftlerin hat Wissenschaftsprosa auf einem Level gemeistert, das zum schmökern einlädt. Literarisches „Infotainment“ will man schon sagen, wenn das nicht so sehr nach einer Wissenschaftssendung auf einem privaten TV-Sender klänge.
Vinken hat sich mit „Angezogen“ dem Geheimnis der Mode gewidmet, wie der Untertitel verspricht. Weißer Umschlag mit bestrumpfhosten Frauenbeinen umhüllt ein pinkes Hardcover: der Verlag scheint sich von vorne herein auf ein „weibliches“ Publikum eingestellt zu haben und verortet das Thema Mode schon in der Gestaltung in klassisch feminisiertes Terrain. Das sieht aus wie ein esoterischer Ratgeber für intellektuelle Fashionistas, doch wer Vinken kennt, der weiß, dass unter der marketingverbrämten Hülle mehr steckt.
Sie ist dann auch ganz Literaturwissenschaftlerin, wenn sie in das Thema einsteigt. Die französische Revolution und der Beginn der Moderne sind für sie Ursprung und Sollbruchstelle der Koordinaten, an denen sich Mode in den nächsten Jahrhunderten abarbeiten darf.
Sie liest vergangene Trends und Moden gekonnt, kontextualisiert entlang von Geschlechternormen, Klassen- und Standesgrenzen, fährt kulturwissenschaftliche Geschütze auf und bleibt dabei immer in einem Stil, dessen Duktus einen schelmischen Spaß am Thema verrät. Fast schon zu genüsslich sind manche ihrer Beschreibungen, so sehr verrennt sie sich in Sätzen, in die sie alle ihre Gedanken packen möchte und bleibt am Ende doch unscharf. Umso beißender sind ihre Kommentare über die Diskursgeschichte der Mode in der deutschen Philosophie, die hier nichts weiter als ein exotisiertes, „orientalisches“ Phänomen ist.
Wer Zeitgenössisches oder allzu Theoretisches erwartet, der muss sich in der ersten Hälfte des Buches erstmal mit einem langen Exkurs über die Mode der Moderne zufrieden geben. Wenn man sich aber erstmal darauf eingelassen hat, bereut man nicht, durch das historische Wissen, süffisant aufbereitet, Seite um Seite besser zu verstehen wie Mode funktioniert.
Dass Mode einmal eine männliche und keine dominant weibliche Domäne war, legt Vinken mit Adlersaugen und scharfer Zunge in einem langen Kapitel breit dar. Am Beginn der bürgerlichen Ordnung steht die Abgrenzung vom alten Adel und dessen Prunksucht. An die Stelle von individualisierter und aufwendiger Toilette tritt jetzt im frühen 19. Jahrhundert die funktionale, auf Öffentlichkeit und Uniformität getrimmte Männlichkeit. Eine Männlichkeit, die keine Theatralik mehr duldet und dadurch vom „Phantasma des Schwulen“, wie Vinken es nennt, heimgesucht wird. Das Pendant dieses Phantasmas, das Grenzüberschreitungen in der Mode abstraft, ist auf weiblicher Seite die Hure. Die bürgerliche Ordnung schreibt sich auch in ihrem modischen Auftreten fest. Alles was sie auszuschreiben versucht, kann niemals gelöscht, nur gebrandmarkt werden. Es sind die Ängste dieses bigotten Regimes, die zeigen, wie fragil es eigentlich ist.
Gekonnt führt uns Vinken die heteronormative Logik entlang der Mode vor, zeigt, wie sehr politische und soziale Diskurse sich in der Mode niederschlagen und wie sehr wir alle auf der Haut tragen, was uns ideologisch prägt. Wer bis hierhin noch dachte Mode sei nichts anderes als ein vergängliches Phänomen ohne Bezug oder Aussage auf die Lebensrealität, lernt im Laufe der Lektüre von „Angezogen“, wie spannend es sein kann, Mode zu lesen und zu interpretieren.
Das Feuilleton hat sich, schaut man in die breite Rezeption, scheinbar mächtig über Vinkens kleine Stilkunde gefreut. Trotzdem fasst der deutsche Journalismus das Thema noch immer eher mit Gummi- denn mit Samthandschuhen an. Vinken wird zur intellektuellen Botschafterin einer Sphäre, die zwar ihre Sparte in den Ressorts der großen Zeitungen hat, aber trotzdem weiterhin fremd scheint. Besser könnte man Vinkens These vom Ausgeschriebensein des Männlichen aus der Mode in der Moderne fast nicht inszenieren.
Eine der spannendsten Thesen des Bandes ist die von der Mär der Unisexmode: Vinken konstatiert, dass Unisex eigentlich eine Maskulinisierung der Frauenmode bedeutet, die bereits bei Chanel in den 30er Jahren begann, als die Designerin männliche Schnitte auf den weiblichen Körper übertrug. Es gibt keine Angleichung der Geschlechter, sondern nur schrittweise Annäherungen, die die Hauptmerkmale ihrer gendertypischen Performance unangetastet lassen. Die Übertragung von weiblich codierten Schnitttechniken in die Männermode dagegen findet man selten, eine richtige universal-geschlechtliche Mode sucht man vergebens.
Trotz Vinkens Wendigkeit im Sprechen über und Decodieren von Schnitten, Formen, Farben, Mustern und Körperbildern - an ihr ist eine Modejournalistin verloren gegangen - muss es sauer aufstoßen, dass ihr Modebegriff, zumindest in der Anwendung, sehr auf große Designer fixiert ist. Sie verfolgt ein bestimmtes Narrativ, gleicht ihre theoretischen Ausführungen mit historischen und zeitgenössischen Belegen ab, aber ihre Material stammt weitestgehend aus den großen Modehäusern, von den großen Modeschauen und den kommerziell erfolgreichen Labels. Auch wenn sie selbst mit Sicherheit dem Einfluss von Streetstyle, der Kreativität von modischen Avantgarden und ihrer Rolle für die Entwürfe der großen Häuser, nicht bestreiten würde - ihre Rolle kommt in Vinkens Ausführungen nicht zum tragen. Das Geheimnis der Mode, die hier analysiert wird, ist ein Flickenteppich. Natürlich kann man nicht erwarten ein tatsächliches „Geheimnis“ auf knappen 250 Seiten Essay zu erhaschen, aber trotzdem scheint Mode, gerade in den letzten Dekaden, komplexer als das, was Vinken uns hier darlegt. Der Text zeigt uns Mode an der Schnittstelle zwischen Konsumgut und kultureller Praxis, von Fall zu Fall auch als avantgardistisches Unterfangen an der Grenze zur Kunst, bleibt aber immer in einem bestimmen Radius um das Zentrum der Mode gefangen. Die Peripherien und ihre impulsgebenden Momente bleiben weitestgehend nicht diskutiert, Subkulturen kommen nur als singuläre Fallbeispiele vor. Vinkens Leistung liegt eindeutig in der einleuchtenden historischen Analyse. Sie öffnet uns die Augen für die großen Diskurse, aber hier und da verliert sie sich in Details und verschwendet wertvollen Platz, auf dem sie tiefer auf zeitgenössische Dynamiken der Stilbildung und Trendformierung hätte eingehen können.
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