Alter Wein in neuen Schläuchen
Alter Wein in neuen Schläuchen ist diese Doppel-CD, eines der von seiner Stiftung bei Hoffmann und Campe wieder aufgelegten Hörbücher mit Arno Schmidts „Radio-Dialogen” aus den 1950erjahren.
„Irdisches Vergnügen” war 1955 die erste dieser Rundfunkvorstellungen. Der Titel ist an die bekannteste Gedichtsammlung des barocken Naturlyrikers Barthold Heinrich Brockes angelehnt, die „Irdisches Vergnügen in Gott” heißt und in 9 Bänden über einen längeren Zeitraum, 1721 bis 1748, auf 5.500 Seiten erschien. Diese physikotheologischen Texte priesen die Schöpfung als bis in die kleinsten Zusammenhänge durchdachtes Zeugnis von Gottes Vernunft, indem sie anhand detaillierter Beschreibung der scheinbar unwichtigsten Dinge und Lebewesen – „Die kleine Fliege” – so genannte teleologische Gottesbeweise erbrachten.
Der mit Arno Schmidt gleichaltrige Peter Rühmkorf hatte den Titel ebenfalls verballhornt, zu seiner Gedichtsammlung „Irdisches Vergnügen in g”. Beide Männer waren noch nicht einmal 30, als sie sich in der angeblich verklemmten Adenauer-Ära von dem Hamburger Patrizier Brockes (1680 bis 1747) beeindruckt zeigen.
Auf CD 1 ist nach der Einleitung zu Arno Schmidts Radio-Hör-Essay selbiger zu hören. Es geht u.a. um den uneingestandenen Widerhall des (später selten gelesenen) Dichters Brockes in seinen Nachfahren, etwa bei Stifter.
Erinnern an Brockes wird bei Schmidt zu einer Warnung vor dem Gewohnten. Sie lässt sich als Ermutigung zum Entdecken des Eigensinnigen lesen:
„Die uns geläufige Naturlyrik, die recht eigentlich mit dem jungen Goethe beginnt und dann von so vielen, vor allem Eichendorff, fortgesetzt wird, kennt diese seltsam präzise Schwärmerei nicht, sie befasst sich viel weniger mit der Natur, mit dem Erfassen ihrer Sensationen im Wort, als vielmehr mit Auskünften über den eigenen Seelenzustand im Bild von Mond, Waldrand, Herbst und Frühling. ,Der Mond ist aufgegangen‘ - damit sind wir aufgewachsen – ,Füllest wieder Busch und Tal‘ oder ,Es war als hätt' der Himmel | Die Erde still geküsst', es war sehr schön und bliebt es – aber wir haben uns eine Empfindung, die wir doch wohl lieber eine ästhetische Routine nennen wollen, angewöhnt, die uns meinen lässt, es ginge nur so."
Schmidt enthält sich kaum seines Enthusiasmus. Auf den ersten Blick ist das verwunderlich, denn Brockes, der als Vertreter des Establishments seiner Zeit ein mustergültiger Ratsherr, Diplomat und Familienvater war, gibt sich outriert gottgefällig und in manchen Beschreibungen so genannter kleiner Dinge bis zur Peinlichkeit detailverliebt. Die „präzise Naturschwärmerei” des Mannes, der schon begraben war, bevor Goethe das Licht der Welt erblickte, will, so Schmidt, gewürdigt sein.
„Die Zeit” nennt Schmidts Fan-Gemeinde, darunter den Einführenden zum Essay, Jan Philipp Reemtsma, seine Apostel. Diese widmen ihre gescheit schmunzelnden – was man mögen muss, mir erscheinen die Brauen manchmal zu hoch gezogen – Brockes-Betrachtungen v.a. der Frage: Wie rechtfertigt man Verehrung für einen Dichter, der nach jeder Naturbetrachtung ein Kratzefüßchen Richtung Gott-der-Schöpfer vollführt? Die Antwort, die sie geben, lautet: Wer das stets und auffällig tut, der kann es nicht wirklich gemeint haben; vielmehr sollte damit dem gehorsamen Geist der Zeit Folgsamkeit gezollt werden, wie von einem Bürger erwartet. Die Floskel hat nichts zu besagen, umso mehr, als Brockes als Dichter wie ein einsamer Fels in der Landschaft der üblichen Dichtung seiner Epoche steht, ein „Solitär”, wie das bei Schmidt und Co heißt. Wie wahr. Goethe und Hölderlin, Brockes Urenkel, die als junge Rebellen gegen die Verzopfungen der Aufklärung aufbegehrten und griechische Götter um Hilfe riefen, waren deswegen ja auch keine Heiden!
Was einem bei Brockes-Gedichten gleich auffällt – entgegen der Behauptung, kein Mensch kenne sie, wurden sie mir und meinen KlassenkollegInnen im Gymnasium vermittelt – ist das Meditative. Viel später habe ich das als typisch japanisch kennengelernt: Beschreibungen der Natur unter Ausklammerung von Menschen, um eines Natur-Werts willen, der diese Wirklichkeit als beschreibenswert achtet. Dieser frühaufklärerische Vor-Realismus ist dem Barockgedicht, das wir aus der Not des Dreißigjährigen Krieges kennen, wo es um den Menschen in seinen jämmerlichen Verhältnissen geht, genießerisches Klammern ans vergängliche Leben eingeschlossen, diametral entgegengesetzt.
Brockes – man bekommt einige Gedichte, gelesen von Joachim Kersten, untermalt von sorgsam gewählten Musikstücken in Querflöte (Wally Hase) und Gitarre (Thomas Müller-Pering) auf CD 2 zu hören – beschreibt Garten, Nachtigallengesang oder den Zahnschmerz. Geläufiger, aber nicht vertreten, ist „Kirschblüte bei Nacht”, ein umso japanischerer <!> Titel, worin ein Kirschzweig beschrieben ist:
Barthold Hinrich Brockes (1680-1747)
Kirschblüte bei Nacht
Ich sahe mit betrachtendem Gemüte
Jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte,
In kühler Nacht beim Mondenschein;
Ich glaubt', es könne nichts von größrer Weiße sein.
Es schien, ob wär ein Schnee gefallen.
Ein jeder, auch der kleinste Ast
Trug gleichsam eine rechte Last
Von zierlich-weißen runden Ballen.
Es ist kein Schwan so weiß, da nämlich jedes Blatt,
Indem daselbst des Mondes sanftes Licht
Selbst durch die zarten Blätter bricht,
Sogar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat.
Unmöglich, dacht ich, kann auf Erden
Was Weißers aufgefunden werden.Indem ich nun bald hin, bald her
Im Schatten dieses Baumes gehe,
Sah ich von ungefähr
Durch alle Blumen in die Höhe
Und ward noch einen weißern Schein,
Der tausendmal so weiß, der tausendmal so klar,
Fast halb darob erstaunt, gewahr.
Der Blüte Schnee schien schwarz zu sein
Bei diesem weißen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht
Von einem hellen Stern ein weißes Licht,
Das mir recht in die Seele strahlte.
Wie sehr ich mich an Gott im Irdischen ergetze,
Dacht ich, hat Er dennoch weit größre Schätze.
Die größte Schönheit dieser Erden
Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.
Ja: Manchmal lohnt das Neu-Pressen alter Platten. Und: Alter Wein ist immer gut.
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