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Kritik

Vielleicht sind das auch nur nicht meine Träume

Wasser trägt Bettina Kaelin
Hamburg

"Hier ist eine Dichterin zu entdecken", sagt Beat Brechtbühl über Bettina Kaelin. Und eine Dichterin entdecke ich auch in den prägnanten, humorvollen extrem kurzen Gedichten, wie z.B. Drei-Akter 1.

Drei-Akter 1

Frau macht
Kind lacht
Mann wacht

Frau wacht
Mann lacht
Kind macht

Frau lacht
Mann macht
Kind wacht

Davon hätte das Buch mehr vertragen können, doch leider will es in knappen Sentenzen Lebensweisheiten vermitteln.

"Das Wasser trägt uns?" Hätten wir uns das mit dem Freischwimmer also schenken können? Ist eine bloße Behauptung schon ein Gedicht?

Ein bisschen müssen wir schon dazutun (sowohl beim Schwimmen als auch beim Dichten), und sei es mit Armen oder Beinen rudern. Da stellt sich doch gleich die Frage, ob nicht auch die Luft uns auf diese Weise trägt. Und auf Seite 62 angekommen lese ich, folgerichtig, im Titel gebenden Gedicht:

Das Wasser
trägt uns.

So lernen wir
fliegen.

und weiter:

Richtung und Ziel -
keine Bedeutung.

Das Fehlen der Balken
macht es uns leicht.

Doch manchmal
kehren wir um
und kreuzen.

Gegen den Wind.

Wenn Richtung und Ziel keine Bedeutung haben, wieso dann das Umkehren? Abgesehen davon, dass die Balken aus dem Spruch "Wasser hat keine Balken" arg abgenutzt sind.

Trägt das Wasser uns? "Stille Wasser sind tief", glaube ich sofort, ist aber auch nur so eine Volksweisheit wie die mit den Balken. "Das Wasser trägt uns" klingt, als hätte ich es schon oft gehört. Da ist schon der Titel schwierig und so ein Buch würde ich überhaupt nur kaufen, wenn ich mir wirklich wünschte, dass das Wasser mich trägt. Aber ist das mein Traum? Jesus geht bekanntlich über das Wasser. Will ich gottgleich sein?

Das Vorwort von Beat Brechbühl setzt ebenfalls in himmlischen Sphären an:

"Sie [die Autorin] benennt Unbenennbares und macht das alles uns zugänglich." - Ist vielleicht die Autorin gottgleich oder gehört sie einer Sekte an, frage ich mich sogleich.

"Sie benennt Unbenennbares und macht das alles uns zugänglich." Das ist ja das Schlimme. Das Unbenennbare wird durchs Benennen benennbar und verschwindet. Ich fühle mich des Zaubers, den Wasser haben kann, von dem Gedicht beraubt.

Aber es gab zugegebenermaßen auch mal eine Zeit, in der ich auf solche Gedichte stand, als ich noch nicht wusste, was diese großen, alleinstehenden Wörter (Sehnsucht, Traum, Himmel, Liebe, Gott) alles bedeuten können. Wenn jemand mit fester Stimme solche Sätze sagte, war ich beeidruckt, aber das hatte mehr esoterische als literarische Hintergründe. Mit wachsender Lebenserfahrung war mir der Wunsch nach Differenzierung und die Fähigkeit, zu staunen und immer wieder neu zu sortieren, wichtiger.

Ist vielleicht all das bloß eine Geschmacksfrage? Könnte nicht jemand finden, je größer, allgemeiner, allumfassender die Worte, umso besser die Poesie?

Unbenennbares benennen... Der genau umrissene Kuss, die exakt abgemessene Sehnsucht, bleiben eben zwischen zwei Satzzeichen, lösen beim Leser weniger aus, als (und das sogar mit verpöntem Reim):

Sehnsucht gab mir ihr weites Kleid,
Seine Naht ist lang wie die Ewigkeit.
oder:

Streicht die Sehnsucht um das Haus,
Trocknen die plaudernden Brunnen aus;

(Max Dauthendey, vor fast 100 Jahren)

Die im Klappentext (nochmal Beat Brechtbühl) versprochenen "Doppelwände" (Je stärker die Verse faszinieren, desto fragiler tauchen Doppelwände auf) tun sich für mich nicht auf. Doppelwände... eher doppelt dicke Wände, denn so doppelbödig, hintertürig, geheimnisvoll sind die Texte nicht, eher bedrängen sie mich mit ihren Anspielungen (Doch so heiß wie geträumt lebt es sich nicht) und ich muss mich genau an dieser Stelle in Acht nehmen, nicht den Kochtopf im Hintergrund zu sehen und an das Wort "Hausfrauenlyrik" zu denken, was ja eigentlich ein unmögliches Wort ist, weil sowohl "Hausfrauen" als auch "Lyrik" für mich uneingeschränkt positiv besetzt sind.

Letztenendes bleiben die Gedichte bei den Noten - ein Bild, was gern verwandt wird - und eben nicht bei den Tönen oder gar dem Gehörten, dem Hörenden, dem Musizieren, der Musik. (Die Noten / die du mir spielst / stehen Schlange / auf dem Weg / zu mir // Im Gedränge / wächste eine andere Melodie... Bei diesem Bild wird mir schwarz vor Augen.

Aber vielleicht sind das auch nur nicht meine Träume.

Bettina Kaelin
Das Wasser trägt uns
handgedruckter Umschlag
Waldgut
2013 · 72 Seiten · 17,00 Euro
ISBN:
978-3-03740-300-6

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