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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Weltkrieg und Karibik

Hamburg

Dass zu Hause, im Alltag, gerade im mittelmäßig erfolgreichen Berufsleben der literarische Tod droht, das fliegt dem einen oder anderen schon mal als Botschaft aus dem Jenseits zu. Burkhard Spinnens Held Zacharias Katz ereilt die Todesdrohung als Telegramm aus New York und er gehorcht mit willkommenem Schreck, um die reizlose Karriere am Broadway durch eine Existenz als Reisender abzulösen. Das stimmt nicht genau: Katz ist nicht selbst Reisender, sondern eher Beobachter, er tingelt auf einer Art Linienbus des Meeres, dem Hapag-Schiff „Präsident“ durch die Karibik und berichtet von den Fahrten der Reisenden, er ist quasi das Erzähler gewordene Schiff.

Spinnen hat die fast durchgängig in Ich-Form erzählten Episoden mit einem kleinen, Sympathie-schaffenden Rahmen durchschossen, in diesem liegt zu Beginn jedes einzelnen Kapitels der jovial-freundliche Journalist Katz am Ende von WK II schwer – nicht nur physisch – verletzt im Lazarett, ist nett zu den zugeteilten Pflege-Soldaten – die den Autor im Gegenzug dankbar und angemessen bewundern - und diktiert seine alten Notate über den Ausbruch von WK I, so wie sich das in der Karibik auswirkte und wie er es damals, am Anfang seiner literarischen Karriere niedergeschrieben hatte.

Auch Katz selbst ist eine Rahmenhandlung, Einsprengsel eines unentschiedenen jungen Mannes, der nicht recht wusste, wohin, sich nicht entscheiden konnte und wollte und an der Endstation der ‚Präsident‘ einfach sitzenbleibt, um wieder zurückzufahren. Spinnen tut wenig, um die Authentizität des Erzählers zu untergraben, die schönen Methoden eines Leo Perutz, der mit dem auktorialen Gestus des Ich-Erzählers so hintergründig spielte, vermisste ich hier, das ist nicht Spinnens Ansatz. Katz beobachtet die Passagiere und lässt sie erzählen, erst ganz am Ende, als das Interesse des Lesers an Katz schon fast ganz erloschen ist, greift er etwas hintergründiger in die Handlung ein. Indem er, um weitere Piraterie des Kahns zu unterbinden, auf dem er sich befindet, den Weltpolizisten USA zu Hilfe holt.

Das Buch baut sich aus den Erzählungen der Passagiere auf, Menschen auf der Flucht, auf der Suche, in merkwürdigen Experimenten oder nur von der Plage der Selbstmordneigung befallen. Der Kapitän des Schiffs, Donhauser, ist die einzige Konstante neben Katz selbst, er gewinnt noch am ehesten Farbe, die anderen Gestalten tauchen auf, erzählen ihre mehr oder weniger pathologischen Lebens-Story über einige Seiten und verschwinden wieder, Katz, so hat man sich vorzustellen, bewegt das alles in seinem Herzen, jedenfalls aber schreibt er es auf.

Der Krieg als solcher kommt in dem Buch erstaunlich gut weg. Mal ärgert sich zwar ein Kapitän, wenn die Präsident das Schiff als feindlich einstuft und versenkt, wird angeschossen, weil er sich wehrt, aber die ‚Fleischwunde‘ nimmt er schon nicht mehr übel. Die Kapitalisten machen sich Sorgen um ihre Geschäfte, aber im Wesentlichen ersetzt sich das schläfrig-karibische Laissez-faire mit Kriegsausbruch durch Tatkraft, die Leute werden munter, verzichten gerne auf überflüssigen Luxus, rücken kameradschaftlich zusammen und besetzen die Geschütze. Der müde Kapitän wird zum energiegeladenen und entscheidungsstarken Piraten, Katz selbst wächst zuerst zum Stubenältesten, dann zum Ausbilder und schließlich zum Hilfsfunker heran, einem Vertrauensposten und trifft sogar Entscheidungen.

Das Buch zieht vorbei wie ein rostiger Frachter in der Karibik, romantisch anzusehen, es schiebt sich Episode für Episode über den Horizont, aber die Geschichtenfolge will nicht recht haften, die gelangweilten Europäer, die feurigen Kolumbianer, die ruppigen Kreolen, so recht nahe rückt das alles nicht. Ein Roman von der Zeit der Leere, von einem satten, karibisch-planlosen Leben vor dem Krieg? Oder eher einer über die Sehnsucht nach dem Krieg?

Burkhard Spinnen
Zacharias Katz
Schöffling & Co
2014 · 344 Seiten · 21,95 Euro
ISBN:
978-3-89561-045-5

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