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Kritik

Es war kein Tag wie jeder andere

Nachwendezeit in Rumänien, die sozialistische Diktatur ist besiegt. Und dennoch wirkt das Gift von Lügen und Zynismus der Mächtigen nach – bis in die heutige Zeit
Hamburg

Im Dezember 1989 war das bislang Undenkbare plötzlich Wirklichkeit geworden. In Rumänien war der bislang mit eiserner Faust regierende Diktatur Nicolae Ceauşescu gestürzt worden. Während seines letzten öffentlichen Auftritts war er von einer ungehaltenen Menge unterbrochen und ausgepfiffen worden. Die Lage im Lande war unhaltbar geworden.

Das ungläubig staunende Gesicht des kommunistischen Despoten, dessen Regierungszeit von einem bizarren Personenkult gekennzeichnet war, wurde Millionen von Fernsehzuschauern immer wieder vor Augen geführt. Ein Helikopter flog den völlig überraschten Nicolae Ceauşescu samt seiner vom Volk ungeliebten Gattin Elena in einer überstürzten Flucht in eine Sicherheit, die nur wenige Tage währte. Seine Vernehmung, Aburteilung und Erschießung war ebenfalls in Fernsehübertragungen ausgestrahlt worden. Als sollte im Lande Transsylvaniens auf garantierte Weise sichergestellt werden, daß der Vampir auch wirklich tot sei.

Tatsächlich ranken sich bis zum heutigen Tag in Rumänien die sonderbarsten Verschwörungstheorien. So war es bereits zu Lebzeiten des Diktators gewesen und so hatte es auch dessen gewaltsames Ende überlebt.

Der vorliegende Roman der 1955 in Lipova bei Arad geborenen rumänischen Schriftstellerin Carmen-Francesca Banciu, die seit 1990 in Berlin lebt, verdichtet diese Atmosphäre einer Gesellschaft, in der niemand niemandem trauen kann. Ein Ich-Erzähler mit dem Namen Radu Iosif stellt sich vor. Ein Gelegenheitsjournalist, der „Sammler“ genannt wird, da er die Eigenschaft besitzt, auf Tonbändern die Gespräche und Bekenntnisse seiner Bekannten mitzuschneiden. Eine gefährliche Eigenschaft in einem Land, das von Spitzeln des gefürchteten und allgegenwärtigen Geheimdienstes Securitate durchsetzt ist: „Jeder dritte ist einer von denen. Sagte man. Und wir maßen uns mit Blicken. Noch und noch. Jeder jeden“.

Ausgangspunkt der rumänischen Revolution war die Stadt Timişoara, die von den Ungarn im Lande Temesvar und von den deutschen Einwohnern Temeschburg genannt wird. Trotz gewaltsamer Bekämpfung konnten die Unruhen vom November 1989 dort nicht eingedämmt werden. Diese Tage der Ungewißheit und der Angst, die auch mit dem Ende des Diktators nicht endeten, bilden die Folie des Romans „Ein Land voller Helden“.

Carmen-Francesca Banciu, die in den letzten Jahren des Ceauşescu-Regimes nicht mehr veröffentlichen durfte, verfügt über ein Arsenal verschiedenster stilistischer Mittel, um das kreisende Fragen von Illina, Sandra, Maria-Maria, Artur, Maxim, Valer und wie sie alle hießen zu einem bohrenden Stakkato umzugestalten. Was war eigentlich geschehen, in diesem Land? Und was ist aus uns dabei geworden? Die Revolution vom Dezember 1989 – hat sie wirklich in der bekannten Weise stattgefunden – oder handelte es sich dabei wiederum um einen geheimen Winkelzug der Securitate, die den Diktator opferte, um die eigene Macht in transformierter Weise zu retten?

Schließlich hatten manche wie Artur auf Dissidenten in der kommunistischen Partei gehofft, die sich, von Gorbatschows Perestroika-Kurs in Moskau beflügelt, an die Macht bringen würden. Doch der XI. Parteitag der rumänischen kommunistischen Partei war diesbezüglich eine gewaltige Fehlanzeige. Während DDR-Bürger sich in Botschaftsflüchtlinge verwandelten und bewaffnete Securitate-Mitarbeiter auf Dächern postierten, wurde Nicolae Ceauşescu auf dem Parteitag als »strahlende Sonne der Karpaten« bejubelt.

Was war mit diesem Land passiert? Der Gelegenheitsjournalist Radu Iosif sucht in seinen Tonbändern: „Dabei geht es mir um jenen Tag, um den Moment Null und seine verborgenen Helden“. Die Verstümmelung jeglicher Authentizität, das »Leben in der Lüge« war nicht ohne Folgen geblieben. Tröpfelnd stellen sich Fragen ein, Vorstellungen und Visionen schleudern ein Karussell des Schreckens, Berichte aus Foltergefängnissen machen die Runde: „Wie werden aus lockigen Knaben dickbäuchige, stiernackige und großkotzige Männer? Wenn ich das herausbekäme. Fragte sich Maria-Maria. Oh, wenn ich das nur herausbekommen könnte. Dann wüßte ich das Geheimnis des Lebens“.

Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des „real existierenden Sozialismus“ zeigen die Massenproteste in Rumänien, daß der Drachen immer noch nicht ganz tot ist. Bereicherung, Korruption und blanke Lügen stellen die sichtbaren Anzeichen einer verinnerlichten Mentalität moralischer Verwahrlosung dar. Diebe und Zyniker haben die Stirn, sich als Vertreter der Nation darzustellen, während ihnen das Land vollkommen gleichgültig ist. Ein Phänomen, das sich in vielen ehemaligen Ländern des „realen Sozialismus“ beobachten läßt.

In Rumänien sieht es derzeit danach aus, daß das Volk sich dieses Maskerade nicht mehr länger bieten läßt. Die Fragen und Sorgen, welche die Menschen umtreiben, kann man in Carmen-Francesca Bancius Roman „Ein Land voller Helden“ nachlesen.

Der vorliegende Roman stellte eine überarbeitete Fassung auf der Grundlage der Übersetzung aus dem Rumänischen von Georg Aescht dar. Der aus Siebenbürgen stammende Georg Aescht, von dem bereits etliche wichtige Bücher aus dem Rumänischen übersetzt wurden, hat sein souveränes Können längst unter Beweis gestellt.

Carmen-Francesca Banciu
Ein Land voller Helden
Ullstein
2000 · 254 Seiten
ISBN:
978-3898340038

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